laut.de-Kritik

Der "Sexy Motherfucker" mutiert zum Teebeutelschwenker von nebenan.

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Am Tag, an dem Larry Graham Prince nach zweijähriger Diskussion zu den Zeugen Jehovas konvertierte, starb der Sex im Funk des Purple Ones. Den hohen Moralprinzipien seiner Religionsgemeinschaft folgend, wurde aus dem "Sexy Motherfucker" der freundliche Teebeutelschwenker von nebenan, der gerne mit ihnen über Gott reden möchte. Für das Genre, das seine rallige Energie aus der Erotik speist, ein Todesurteil.

Das stört den Woody Allen des Funk nicht. Bis auf eine kurze Pause zu Beginn des Jahrzehnts bringt er Jahr um Jahr, ungestört von äußeren Einflüssen, ein Album nach dem anderen heraus. Ohne je eine wirklich grottenschlechte Platte veröffentlicht zu haben, hat er sich auf einem verlässlichen Level eingespielt. Prince kann nur noch gut, okay oder langweilig. Der Ausnahmemusiker hat es sich im Mittelmaß bequem gemacht.

Auf dem gerade einmal vor drei Monaten auf Jay-Zs Tidal veröffentlichen "HITNRUN Phase One" variierte er seine Formel etwas, setzte aktuelle Beats, zahlreiche Gastmusiker und Autotune ein. Die zweite Phase, die zunächst auch ausschließlich über den Streamingdienst angeboten wird, gibt den Menschen, was sie wollen. Den Prince der Achtziger und der frühen Neunziger. Gespickt mit so vielen Selbstzitaten, dass das Unterfangen fast schon zur Parodie verkommt. Analog, Organisch und mit der New Power Generation eingespielt. Nostalgisch, heimelig, aber eben auch etwas langweilig.

"Peace is more than the absence of war." Das bereits kurz nach den Ausschreitungen in Baltimore auf Soundcloud veröffentliche "Baltimore" verfeinert Prince, wie den Rest des Albums, mit den 16 köpfigen NPG Hornz. In der düsteren Realität tötete die Polizei die zwei Afroamerikaner Michael Brown und Freddie Gray. In dem mit Zucker auf Hochglanz polierten Pop-Song setzt sich Prince für Friede, Liebe und Verständnis ein. Das wohl eingängigsten Stück auf "HITnRUN Phase Two" hätte eine ebenso gute Figur auf "Around The World In A Day" gemacht. "If there ain't no justice / Then there ain't no peace."

Die zum Teil neuen Tracks, zum Teil schon über Jahrzehnte alten Stücke funktionieren als ganzes Werk, lassen sich aber auch munter auf andere Longplayer des Künstlers verteilen. Dort würden sie sich gut ins Gesamtkonzept einfügen, aber nicht heraus strahlen. "2 Y. 2 D."? Rauf auf "Diamonds And Pearls". "Xtraloveable"? Packen wir auf "1999". Der klassische George Benson-Jazz-Funk "Look At Me, Look At U" lohnt sich wegen der Flöte, schreckt mit dem Achtziger-Saxofon ab und versöhnt mit der "Even Ray Charles can see / Stevie Wonder can too"-Zeile.

"We used to go onstage in our underwear", singt Prince in "Stare" und lässt seinen Wachturm gerade so weit aus der Hose, wie es Jehovas Zeugen zulassen. Das reicht schon, um mit einem grandiosen Graham-Basslauf und straffen Bläsern einen bullenheißen Funk zu erschaffen. Nur das angestrengte "Kiss"-Zitat stört mehr, als dass es bereichert.

"RocknRoll Love Affair", ein Zwitter aus "Take Me With You" ("Purple Rain") und "Raspberry Beret" ("Around The World In A Day") klammert sich viel zu ängstlich an seine Vorlagen, um ein Eigenleben zu entwickeln. Mit dem klebrigem Rock-Boogie-Schlonz "Screwdriver" findet sich auf "HITnRUN Phase Two" nur ein einziger Totalausfall, der sich allerdings schmerzhaft in einer Klischeefalle nach der anderen verheddert. "I'm your driver / You're my screw / Dobidubidoo."

Das komplette Gegenteil gelingt Prince mit dem über sieben Minuten langen "Black Muse". Während der "Welcome 2 America"-Tour noch von den Backgroundsängerinnen Elisa Dease, Shelby J. und Liv Warfield gesungen, übernimmt der Maestro nun selbst den Platz im Rampenlicht. Dabei vergisst er jedoch nicht, den drei Damen weiterhin genug Raum zu lassen. Was als unverfänglicher Pop-Funk startet, beginnt in seiner Mitte zunehmend zu einem Fusion-Jazz im Stil von Herbie Hancock und Weather Report auszufransen. Nur um dann wieder zu seinem Ausgang zurück zu finden. "Rock'n'roll and jazz / So you know we're built to last / It's cool."

"HITnRUN Phase One" und "HITnRUN Phase Two" offenbaren zwei Seiten von Prince. Mit dem ersten Album zeigte sich der Musiker noch nach vorne gewandt, verwirrte mit dieser Entscheidung so manch einen Fan. Mit dem Nachfolger spielt er brav aber natürlich auf hohem Niveau seine Trademarks aus. Die wahre Kunst wäre es gewesen, einen interessanten Mittelweg zwischen diesen beiden Extremen zu finden.

Trackliste

  1. 1. Baltimore
  2. 2. RocknRoll Love Affair
  3. 3. 2 Y. 2 D.
  4. 4. Look At Me, Look At U
  5. 5. Stare
  6. 6. Xtraloveable
  7. 7. Groovy Potential
  8. 8. When She Comes
  9. 9. Screwdriver
  10. 10. Black Muse
  11. 11. Revelation
  12. 12. Big City

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LAUT.DE-PORTRÄT Prince

Wenn jemand nach dem Unterschied zwischen Soul und Funk fragt, genügen als Demonstration zwei Songs: "Let's Stay Together" von Al Green - und "Sexy Motherfucker".

5 Kommentare mit 4 Antworten

  • Vor 8 Jahren

    ER klingt endlich wieder nach Prince. Weg vom Computer und die Instrumente ausgepackt. Wieder mehr Experimente , Songs grandios zusammen gestellt. Gerade die jazzigen Stücke zeigen seine Stärke und seinem Alter angepasst. Prince muss nichts mehr neues erfinden , denn er ist jetzt schon eine Legende. Herausragende Stücke sind Baltimore , Groovy Potential , Screwdriver , Black Muse und vor allem Revelation. Keine Schwachstellen . Bedeutend besser als Phase I !! Ich als Fan seit über 30 Jahren bin mehr als zufrieden , eher überrascht das nochmal so ein Album rausgehauen wird. Prince Songs lebt man , fühlt man.

  • Vor 8 Jahren

    Und wo genau kann man das Ding erwerben geschweige denn mal reinhören? Ich finde es echt nirgends.

  • Vor 8 Jahren

    Inzwischen neben dem merkwürdigen Tidal auch auf iTunes zu haben und sonst überall dort, wo man es zum Probehören finden, äh, will. Es existiert wirklich und wahrhaftig (zumindest bis zum Dreikönigstag 2016) nur als Stream oder Download, nicht als CD (wie etwa Phase One). Meine Hoffnung geht dahin, dass es mit Phase Three ein CD-Doppelalbum (Phase 2 & 3) geben wird, haha, niemand weiß, was Prince wirklich machen wird. // Bis auf das komische PlectrumElectrum sind seine jüngeren Alben eigentlich alle ziemlich super, da gibt es nichts zu deuteln. Phase One ist eben Dance, Phase Two eben mehr Swing - beides aber immer extrem viel Prince, Prince, Prince...

  • Vor 7 Jahren

    Phase One hab ich rauf und runter gehört, und Plectrumelectrum, welches ich zeitgleich gekauft habe, lag eine zeitlang nur so rum. Man muss sich dort vielleicht erst mal reinhören. Seit einigen Wochen höre ich es nun fast täglich. Auch vorgestern nachmittag hatte ich es sehr laut über Kopfhörer gehört, als mich kurz darauf diese traurige, unfassbare Nachricht über seinen Tod erreichte. Prince benötigte wahrlich keine Mainstream Hits mehr, um der Welt zu beweisen, was für ein großer Mensch und Musiker er ist/war. Like it or leave it. Er war für mich einer der absolut größten. Werde mir jetzt Phase Two bestellen. Freue mich, und bin zugleich unendlich traurig...

  • Vor 5 Jahren

    Ich kann mich nicht erinnern, wie oft ich dieses Prince-Album seit dem 21. April 2016 tatsächlich gehört habe. Aber nach gefühlt mehreren 100 Durchläufen ist dieses Album für mich eines seiner feinsten. Übrigens dicht gefolgt von "The Rainbow Children". Und damit in meinem persönlichen Ranking deutlich vor den sonst üblicherweise genannten Großtaten.

    Drei *** sind als Wertung eine absolute Frechheit. Und wäre die Welt ein wenig gerechter, hätte es dieses Meisterwerk ohne Umwege an die Spitze der Charts schaffen müssen ...