laut.de-Kritik
Das Unplugged-Album, das es nie gab.
Review von Philipp KauseAls Warner im Juni zum 60. Geburtstag von Prince diese posthume CD ankündigte, witterte man sie noch nicht: die Geschäftemacherei und auch Heuchelei, die sich nun beim Anhören herauskristallisieren. Dabei liefert der Longplayer hohen künstlerischen Wert. Denn er bietet die Chance, Prince von einer unbekannten Seite zu entdecken.
Trotzdem hapert es an der Umsetzung. Drei tolle Tracks enthält das Album. Doch in der Summe stellt sich "Piano & A Microphone 1983" als schludrig hin fabriziert dar. Ganz so, als wolle das Label einem seiner schwierigsten Vertragspartner nachträglich eine reinwürgen: Es ereignete sich an seinem 35. Geburtstag, dass er sich im Streit mit Warner den Namen "(Love) Symbol" verlieh. Damals ging es offiziell nie um dieses Album, obwohl die Aufnahmen zu jener Zeit schon zehn Jahre alt waren.
So lieblos, wie Prince im Konflikt um Geld und Urheberrechte seine letzten Alben für den Weltkonzern ablieferte, so enthält jetzt - quasi als Retourkutsche - "Piano & A Microphone 1983" etliche Fragmente, Bruchstücke von Songs. Dagegen wende ich bei diesem speziellen Tonträger erst mal gar nichts ein - wenn man ihn denn sauber produziert. Und wenn man berechtigt annehmen dürfte, dass der Artist das Werk selbst zur Veröffentlichung frei gegeben hätte.
Mehrere Aufnahmen kommen jeweils nur auf um die 1:30 Minuten Länge. Statt einem zusammenhängenden, flüssig gemastertem Medley brechen die Songs mal mitten im Takt oder der unvollendeten Kadenz ab. Oder der Nachhall des letzten Pianotons klingt noch in der Luft - wumms, kommt der Schnitt, und der nächste Track beginnt. Der Grund: Hier baute jemand lauter verkehrte Cue-Punkte ein. Das sind die Stellen, an denen Vinyl eine Leerrille bekommt, an denen der Laser des CD-Players eine neue Tracknummer abtastet. Mag sein, dass das Ausgangsmaterial nicht genügend hergab.
Doch Warner Brothers ist ein multinationales Riesenunternehmen, spezialisiert auf Unterhaltungselektronik. Leidet der Konzern etwa unter Fachkräftemangel und sucht händeringend nach Toningenieuren und Cuttern? Könnte man meinen. Fakt ist: Das Album ist ein ADD, analog auf Cassette aufgenommen, eindigitalisiert, digital abgemischt und geschnitten, schließlich digital finalisiert.
Um fair zu urteilen: Der Opener "17 Days (Piano & A Microphone 1983 Version)" erklingt in einem ganz anderen Sound-Gewand als bisher. Im Intro fragt Prince wohl "Is it my echo?", doch der Satz hört sich an wie "Sag mal ...", für deutsche Ohren etwas irritierend. Dieser Track gehörte in der Studioversion zum "Purple Rain"-Soundtrack. Seinen typischen 80er-Drum Machine-Sound in einer zeitlosen Version nur mit Stimme und Klavier zu bekommen – das alleine rechtfertigt bereits die Veröffentlichung der ganzen CD.
In den USA setzte er sich seinerzeit in einigen kleinen R'n'B-Radiostationen als Airplay-Hit durch. Auch DJs ließen den aus heutiger Sicht blechernen und rhythmisch recht aggressiven Track begeistert rotieren. Hier erscheint er nun als wunderschöne Soul-Ballade.
Darüber hinaus reißt vor allem das unzerstörbare "International Lover (Piano & A Microphone 1983 Version)" als schönes Mini-Drama mit. Im Rückblick fällt auf, wie selten sich andere Bands an Coverversionen solcher Songs wagten. Prince zeigt, dass der Song kein Schlagzeug, keine Gitarren, keine Synthesizer benötigt. Dafür löst Mister Paisley Park den Mangel an Instrumenten mit Human Beatboxing. Mit Lippen, Zunge und Kehlkopf zaubert er ein paar fantastische Songzeilen.
Auf dem Klassikeralbum "1999" finden wir "International Lover" als Schlusssong, und dort gerät er vor allem laut. Witzig: Auch die Unplugged-Version zeichnet sich durch starke Präsenz, Stimmgewalt und Drama aus und bleibt laut im Ohr zurück.
Andererseits liefert "Piano & A Microphone 1983" auch einige intimere Momente. Lautmalerei begegnet uns oft, statt Text ein Hahaha oder Dshu Dshu Dshu. Dadurch wirkt der unnahbare Workaholic Prince etwas menschlicher als gewohnt. Er covert "Mary Don't You Weep", gleichwohl er sonst offiziell keine Coverversionen spielte. Über seinen persönlichen Musikgeschmack wusste die Welt eher wenig.
"Purple Rain (Piano & A Microphone 1983 Version)" findet dann nur angedeutet statt, ein kleiner Fetzen des Songs - schade! Im Track "Wednesday (Piano & A Microphone 1983 Version)" berührt die Falsettstimme. Auf dem völlig unbekannten "Cold Coffee & Cocaine (Piano And A Microphone Version 1983)" nutzt Prince das Klavier als Rock-Instrument. Hier spürt man den Blues als Wurzel seiner Musik, ein seltener Moment und für Freaks sicherlich reizvoll.
Die Fassung gewinnt auch Charme durch seinen rauen Sprechgesang, sehr nah am Mikrofon, kehlig, mit Atem- und Seufzgeräuschen. Prince erinnert hier an Voodoo-Experte Dr. John. Er quengelt einen Dialog, zu dem die Dialogpartnerin fehlt. Das Ende des Tracks orchestriert Prince genial: Aus dem Piano holt er zugleich den Bass (die eine Hand hämmert Kontrapunkte) und die Bass Drum (über das Pedal) heraus. Mit dem Mund deutet er rasselnd einen Teil des Schlagzeugs an, während er über die andere Klavierhand die Melodie spielt: Da ist er, Prince, TAFKAP, Symbol, der Multi-Instrumentalist, der Selbermacher.
Über seine 80er-Jahre-Zugehörigkeit hinaus hören wir diesen Künstler zweieinhalb Jahre nach seinem plötzlichen Tod hier so, dass er nicht nach jenem Jahrzehnt klingt. Klar, er ging mit der Zeit und stellte als einer der ersten anno 1998 auf digitalen Eigenvertrieb um, nahm Bandcamp lange vorweg. Doch musikalisch blieb er den 80ern treu. Genau das kostete ihn auch den Erfolg - so lautet zumindest mein Befund.
Der medienwirksame und heftige Streit mit Warner entbrannte kurz, nachdem er dort eine Vertragsverlängerung unterschrieben hatte: Die Energie floss in juristische Querelen. Manche Quellen wie der Guardian und das Online-Portal Goldies Parade haben Fakten und Zahlen gesammelt, die zeigen, dass Prince den Streit selbst vom Zaun brach. Doch er verpasste es, auszunutzen, wie viel Erfolg andere Stars in jener Phase, 1992 bis 1994, mit den damals neuartigen "MTV Unplugged"-Alben hatten. Mariah Carey ebnete das Format den Weg.
Hätte Symbol aka Prince sich mit Warner damals auf dieses "Piano And A Microphone"-Album geeinigt, wie viel mehr Zuspruch hätte er in den 90ern wohl erfahren? Wie viele Probleme hätten sich in Luft aufgelöst? Das Album kommt zu spät.
4 Kommentare
Großartige Review, obwohl ich bisher noch nicht reingehört habe, aber die Thesen schwirren mir auch durchaus im Kopf bezüglich der Veröffentlichung.
kann ich mich nur anschließen - schöner text.
dennoch vermute ich, dass das nichtausbügeln mancher soundschnitzer hier weniger an warners unwilligkeit läge, sondern daran, dass ihnen rechtlich womöglich lediglich die nutzung gestattet ist und keine direkte veränderung.
Ziemliche Fledderei.
Mal abgesehen von der lausigen Aufnahmequalität sollte man doch lieber die Toten in Ruhe lassen.
Das Andenken vom Kollegen Pränz wird bestimmt nicht gut dadurch gepflegt, indem verstaubte Demotapes aus den Schubladen hervorgekramt und verwurstet ($$$) werden...
Ein einzigartiges Dokument.
Grossartig das nichts daran verändert worden ist , denn der Fan will so nah wie möglich bei ihm sein. Prince offenbart uns hier einen Einblick von 1983 und das kann sich hören lassen auch im Jahre 2018.
Das dieser Musiker ein Riesenloch hinterlassen hat sind scih alle bewusst.
ich bin Prince Fan seit 1999 !!!
Prince hört man nicht, Prince fühlt man.
In diesem Sinne - Peace and be wild