12. Oktober 2022

"Es gibt keine Liebe ohne Zorn"

Interview geführt von

Southside, Hurricane, Appletree Garden, Lollapalooza: Provinz waren 2022 überall. Wir sprachen mit ihnen über ihr bislang erfolgreichstes Jahr.

Ruhe, Heimat und Familie helfen Provinz, all das Erlebte zu verarbeiten. In den letzten beiden Jahren blieb ihnen dafür wenig Zeit. Dafür spielten Vincent, Moritz, Robin und Leon auf den Festivalbühnen des Landes und konnten dabei einen Traum erfüllen. Mit dem Lollapalooza stand kürzlich der letzte diesjährige Auftritt im Freien an.

Keyboarder Robin fehlt zwar beim Interview, hat aber seine erste Solodarbietung auf dem neuen Album "Zorn & Liebe". Wie das zustande kam, wie die Zusammenarbeit mit ihrem früheren Idol Casper war, was Snoopy in einem ihrer Texte sucht und welche neuen Ziele gesetzt sind, erzählen Vincent, Moritz und Leon in entspannter Atmosphäre beim Zoom-Interview.

Zunächst Glückwunsch zum Release von "Zorn & Liebe" und zu Platz 2 in den Albumcharts. Habt ihr beides gefeiert oder würde das langsam Überhand nehmen?

Leon: Danke! Es nimmt wahrscheinlich überhand, aber wir haben trotzdem gefeiert. Wir waren für unseren Albumrelease im kleinen, familiären Rahmen, das war ganz schön und gestern waren wir auch zufällig auf einer Party.

Letztes Jahr die ausverkaufte Tour, EP und 1Live Krone als "Beste Band", dieses Jahr das neue Album und jede Menge Festivals. Welches Ereignis war unter all diesen der bedeutendste Meilenstein?

Leon: Bei uns im Süden ist das Southside so das krasse Ding, das einzig wirklich große Festival in der Umgebung. Wir waren da früher privat und das war immer so der Meilenstein, dort einmal zu spielen. Und dieses Jahr haben wir einen Haken dahinter setzen können.

Moritz: Für mich auch die Auftritte auf dem Southside und Hurricane.

Vincent: Und natürlich die Krone, also alle beide. Aber die Meilensteine dieses Jahr oder generell?

Vor allem die der letzten beiden Jahre.

Vincent: Dieses Jahr war schon extrem krass. Wir waren aufgrund der zwei Jahre Pandemie die Festivals nicht gewohnt. Dieses Jahr ging es wieder und das hat uns positiv übermannt.

Wie verarbeitet ihr all die Ereignisse?

Leon: Das passiert in Phasen, in denen wir Ruhe haben, nicht auf Tour sind, nicht im Studio. Demnach haben wir dieses Jahr noch nicht so viel verarbeitet. Das kommt nach der Tour schätze ich mal. Sonst ist es immer, wenn man wieder nach Hause kommt und die Familien sieht. Das ist dann auch so ein Erdungsmoment, wo man in Relationen setzt, was alles passiert ist.

Vincent: Da hat jeder seine eigene Taktik, die gilt es auch noch teilweise herauszufinden. Aber Ruhe, Heimat und so, das hilft immer.

Moritz: Klar, du denkst dir immer: 'Krass, was ist da denn passiert'. Dann sitzt du hier und kommst gar nicht mehr hinterher mit dem Erzählen. Das ist schon verrückt.

Welche Emotion beschreibt da eure Gefühlslage momentan am besten?

Moritz & Leon: Zorn & Liebe (lachen).

Darauf wollte ich natürlich hinaus, so heißt ja euer neues Album. War Liebe & Zorn auch eine Option?

Vincent: Absolut, jedes Mal eine Option.

Moritz: Es klingt nicht so schön.

Vincent: Ach du meinst die Reihenfolge.

Ja, genau.

Vincent: (lacht) Es war so, dass der Song "Zorn & Liebe" als erstes da war und wir nicht mal wussten, dass das Album so heißt. Ich fand diesen Slogan immer schon cool und dachte, das wäre doch mal was für einen Song. Erst danach haben wir gemerkt, das ist eigentlich etwas, das man zu unseren Leben, unserer Entwicklung und unserer Kunst immer sagen kann.

"Uns war auch immer wichtig, dass wir die DNA von Provinz beibehalten"

Ihr habt auch im Vorfeld gesagt, dass der Titel eben den allgemeinen und euren ganz persönlichen Zustand während der letzten zweieinhalb Jahre beschreibt. Was ist trotz Stillstand, Melancholie und Sehnsucht euer wichtigstes Learning aus dieser Zeit?

Vincent: Das Wichtigste ist einfach unser Zusammenhalt als Team und Familie. Dann ist es auch egal, was außerhalb passiert. Das gilt für die schlechten und guten Sachen. Bei uns sind es zum Glück viele gute Sachen, doch die können auch manchmal einfach überfordernd sein. Wenn man untereinander klarkommt und funktioniert, dann macht man sich gegen die Äußerlichkeiten immun.

Leon: Ich glaube auch, dass man so banale Sachen wie Rausgehen oder Freunde treffen wieder mehr zu schätzen weiß.

Ich muss da direkt an "Verrate Deine Freunde" denken. Da habt ihr die Line "Eines Tages werd'n wir sterben, doch an allen andern nicht". Meint ihr damit die bekannte Konversation zwischen Snoopy und Charlie Brown?

Vincent: Genau. Ich schaue manchmal zum Einschlafen das "Literarische Quartett" im ZDF an. Da werden auch teils solche Sprichwörter gedroppt und dieses ist mir hängengeblieben (lacht).

Das Album sei in jeglicher Hinsicht "Next Level Provinz". Besonders der neue elektronische Einschlag mit Synthies und treibenden Beats fällt auf. War das ein natürlicher Prozess oder eine bewusste Entscheidung?

Vincent: Es ist eher eine Entwicklung. Irgendwann will man nicht immer das gleiche machen und irgendwann hört man andere Musik. Man entwickelt sich auch da weiter. Wir haben dann ganz automatisch angefangen mit Synthie-Sounds, Beats, elektronischer oder programmierter Musik zu experimentieren. Dann ist das so entstanden und uns wurde auch erst im Nachhinein klar, dass es ein neues musikalisches Level erreicht hat, das aber auch wieder in sich schlüssig ist. Uns war auch immer wichtig, dass wir im Kern die DNA von Provinz beibehalten. Ich finde, das ist uns ganz gut gelungen.

Definitiv. Ich habe aber auch das Gefühl, dass gerade die Features mit Nina Chuba ("Zorn & Liebe") und Danger Dan ("Unsere Bank") bei euren Fans gut ankommen. Da scheint ihr also eine passende und bewusste Wahl getroffen zu haben.

Vincent: Schon.

Moritz: Aber eigentlich war es eher spontan.

Leon: Es war auf jeden Fall nicht so, dass wir gesagt haben, wir wollen ein Feature haben, es sollen Danger Dan und Nina sein und deshalb schreiben wir jetzt einen Song dafür. Es war schon andersrum, dass der Song erst da war und wir dann dachten, da mal nachzufragen.

"Unsere Bank" handelt von der Vergänglichkeit des Lebens, "Zwei Menschen" von der Vergänglichkeit alter Lieben. Fällt es euch schwerer über solche Themen zu schreiben als über jugendliche Eskapaden und der Unbeschwertheit auf dem Land?

Vincent: Das kann ich gar nicht so sagen. Manchmal gibt es Themen, die sind einfach da, dann beschäftigt mich das und daraus entstehen Lieder. Wenn das in dem Moment dringlich ist, fällt das leicht. Und dann fällt das auch leicht, über schwere Themen zu schreiben. Es kommt immer auf die Stimmungslage an.

Textlich thematisiert ihr so ziemlich alles, womit sich gerade jüngere Generationen identifizieren können. Gibt es auch Themen, die ihr bewusst auslasst?

Vincent: Was schon noch ansteht, ist, mehr politisch zu werden. Das wird vielleicht in Zukunft Thema. Ansonsten nehmen wir alles wie es kommt.

Moritz: So wie die Feste fallen, fallen auch die Themen für die Songs aus.

Gibt es eigentlich einen neuen Ort, wo die Kids später ihre Drogen nehmen?

Leon: Safe.

Vincent: Die sind da ja immer relativ kreativ.

Leon: Es ist ja auch nicht so, dass die Bank dieser perfekte Ort war. Das war einfach der Ort, wo man abgehangen ist und ich bin mir sicher, so einen findet man wieder. Außerdem gibt es auch noch viele andere Bänke.

"Casper ist einfach so ein lieber, nahbarer Typ"

Du, Leon, meintest vor zwei Jahren bei uns im Interview, dass ihr eine krasse Casper- und Marteria-Phase hattet. Nun habt ihr mit Casper das Feature "Betäub Mich". Wie war die Zusammenarbeit, wenn ihr eben selbst mal Fan wart?

Leon: Das ist ein bisschen absurd gewesen. Einerseits hat er uns alle eine Zeit lang musikalisch geprägt und vielleicht auch eine neue Welt eröffnet. Dadurch hat man immer dieses Bild von der Person. Dann haben wir ihn kennengelernt, im Studio abgehangen und er ist einfach so ein lieber, nahbarer Typ. Das war irgendwie so ein getrenntes Gefühl von dem Bild, das man damals hatte.

Vincent: Aber es ist natürlich komplett verrückt, weil er immer so ein Idol war und jetzt auf der eigenen Platte drauf ist.

Moritz: Ich glaub das ist auch noch nicht realisiert. Das kommt erst noch.

Ein anderer Song, der mir auch aufgefallen ist, ist "Robin Skit". Hier beweist euer Keyboarder Robin sein gesangliches Talent. War das daher klar, dass er einmal solo singt?

Vincent: Das ist auch ganz spontan entstanden. Wir wussten, dass Robin viel Musik schreibt und gut singt. Dann kam er mit dem Lied um die Ecke und wir waren alle komplett geflasht und dachten, der muss natürlich aufs Album.

Leon: Es war nur eine Frage der Zeit, bis er mal selber singt und irgendwo richtig drauf ist. Und jetzt ist es passiert.

Und ihr, Moritz, Leon, werdet auch mal singen?

Leon: Wir sind im Moment nur die Background Vocals. Aber sag niemals nie. Wir sind auf jeden Fall offen.

Moritz: Es kommen noch ein paar Alben (lacht).

Sei es realistisch oder nicht, mit wem würdet ihr gerne zusammenarbeiten?

Moritz: Beatles, also noch Paul McCartney und Ringo Starr.

Leon: Kendrick Lamar. Ich weiß nicht in welcher Welt man das musikalisch vereinen würde, aber das fände ich geil.

Vincent: Ich fände auch ein Feature mit Zoe Wees gut.

Was ist nun letztlich stärker, Zorn oder Liebe?

Leon: Definitiv Liebe. Ich glaube, das ist auch immer so ein bisschen Co-abhängig. Es gibt keine Liebe ohne Zorn und umgekehrt.

Moritz: Also die Liebe wird durch den Zorn größer.

Vincent: Wie meinst du das?

Moritz: Wenn man sich streitet, liebt man sich danach mehr. Denn ohne Streit gibt es keine Reibungspunkte.

Ihr habt diesen Sommer auf vielen Festivals gespielt. Welcher Moment ist euch besonders in Erinnerung geblieben.

Moritz: Appletree Garden war richtig krass.

Vincent: Appletree Garden war echt geil. Aber auch Pangea, Southside und Hurricane.

Moritz: Verrückt war es beim Pangea. Da wussten wir nicht, dass Konfettikanonen abgefeuert werden. Wir waren so überrascht, das ist schon mit am meisten im Kopf geblieben von den ganzen Shows.

Vincent: Da hatte auch Mike, unser Fotograf, Geburtstag und die abertausenden Menschen haben mit uns für ihn gesungen.

Southside hat schon mal geklappt. Was ist euer nächstes Ziel?

Leon: Rock am Ring und Rock im Park natürlich. Das ist nochmal ein Step draufgesetzt.

Moritz: Kennt ihr das Sziget? Da sind auch teils deutsche Acts.

Leon: Oder das Fusion. Ich weiß gar nicht, ob wir da reinpassen. Das ist so ein interessantes Mysterium, da hätte ich Bock drauf.

Nach den Festivals ist vor der nächsten Tour. Was erhofft ihr euch von den Shows?

Leon: Ich glaube der schönste Unterschied zwischen Festivals und Tour ist, dass man auf der Tour auch viele ruhigere Songs spielen kann, da nur Leute dort sind, die ein Provinz-Konzert sehen wollen. Da kann man sich mehr austoben und Dynamik reinbringen. Ich glaube da wird es ein paar schöne, intime Momente geben. Da freuen wir uns auf alle Fälle sehr drauf.

Und danach? Pause?

Moritz & Leon: Ja!

Danke für eure Zeit, eine gute Show heute Abend und eine schöne Tour.

Leon: Sehr gerne und danke auch.

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