laut.de-Kritik

Konfetti und nackte Aufblaspuppen zu Weihnachten.

Review von

Das Hammersmith Odeon ist nicht die Stadthalle. Im Dezember 1975 hatten es Queen nicht mehr nötig, muffelige, für den örtlichen Musikverein vorbehaltene Kleinstadt-Hallen zu bespielen. Ein Jahr vorher traten sie auf der "Sheer Heart Attack"-Tour dagegen noch ungeniert in der Stadthalle Singen auf, wie ich im Hause eines örtlichen Konzertveranstalters mal ungläubig von einem gerahmten Konzertplakat ablesen durfte.

In diesen 12 Monaten passierte bei Queen aber auch einiges: "Bohemian Rhapsody", eine verrückte Mixtur aus Operette, Heavy Metal und Vaudeville-Theater, kletterte auf Platz eins der britischen Charts. Das Ende November 1975 erschienene "A Night At The Opera" strotzte vor wagemutigen Ideen und Selbstvertrauen. Und, wie Brian May sich in der neuen DVD-Doku "Looking Back At The Odeon" erinnert: Das Fernsehen hatte Queen entdeckt, "was in erster Linie bedeutet, dass du auf der Straße erkannt wirst".

Für das seinerzeit aufgrund eines Knebelvertrags aus der Anfangsphase noch nicht in Saus und Braus lebende Quartett war es also eine große Sache, als die BBC kam und sagte: Leute, wir übertragen euer Weihnachtskonzert im Hammersmith Odeon live in der Sendung "The Old Grey Whistle Test" und im Radio läufts auch. 3500 Zuschauer sollen damals die größte Menschenmenge gewesen sein, vor der Queen bis dato spielten, auch wenn sie gerade ein paar Wochen zuvor schon fünf Abende hintereinander dort spielten. Nun ja, war vielleicht nicht ausverkauft, jedenfalls war der Gottesdienst am 24. Dezember '75 angerichtet, und wem gehuldigt wurde, wird ab Sekunde eins klar.

Wie die Menschen vor 40 Jahren haben auch wir heute die Wahl, uns die Show anzuhören (CD) oder am TV anzusehen (DVD/Blu-ray), beides ist ganz großer Rock'n'Roll-Zirkus. Queen sind perfekt eingespielt und so tight wie Freddies Hintern im weißen Satin-Ganzkörperfummel. Da wundert es nicht, dass die Show das angeblich meistgebootlegte Queen-Konzert darstellt, wobei es scheinbar nie komplett oder unzerstümmelt auf die Plattenbörsen kam.

Von ihrem nagelneuen Studioalbum spielen Queen nicht fünf Songs, nicht drei, sondern genau einen: "Bohemian Rhapsody", wie in den Folgejahren auch arrangiert als Live-Medley, das vor dem Chorteil abbricht, und in einen anderen Song übergeht, hier in "Killer Queen". So richtig verstehen können Roger Taylor und Brian May das 40 Jahre später auch nicht mehr, wahrscheinlich wollte Freddie Mercury es so. Er hatte oft das letzte Wort, was der Gruppe insgesamt gesehen sicher nicht geschadet hat. Auch auf die eher zusammenhanglosen Rock'n'Roll-Covers im Zugabenteil bestand offenbar Freddie, zum Runterkommen nach dem ganzen ernsten Stuff.

Seine damals arg Eisenherz-mäßige Frisur verstärkt noch das Bild von Mercury als verrücktem Superbegabten in einer Gruppe voller Einzelkönner. Die Rhythmusabteilung Taylor/John Deacon nagelt ein Fundament, auf dem eigentlich eh schon nix mehr schief gehen kann, aber auch May ist kein tumber Fiedler und haut Spitzensoli raus, etwa in "White Queen". Herzergreifend hier natürlich auch, wie Freddie im Mittelteil ganz neue Pianoläufe improvisiert. Gut, ein sechseinhalb Minuten langer Gitarrensolo-Auftritt ist für jemanden, der nie Joe Satriani-Konzerte besucht, schon harter Tobak.

Wie schon auf "Live At The Rainbow" walzt "Sun And Daughter" mit seinen tonnenschweren Sabbath-Riffs über Raum und Zeit hinweg und leitet über in den ersten Queen-Hit "Keep Yourself Alive". Damit auch vor den Radiogeräten Stimmung aufkommt, macht Mercury sogar den Animateur: "So Leute, jetzt alle schön den Refrain mitsingen. Helft uns, ihr könnt auch eure Sachen ausziehen."

Als Rausschmeißer fungiert damals "In The Lap Of The Gods", der epische Closer mit Lalala-Part, zu dem Taylor anmerkt: "Es war unser 'Champions' vor 'We Are The Champions'". Danach regnet es Konfetti und Luftballons und nackte Aufblaspuppen aufs Publikum, die Band kommt umgezogen auf die Bühne zurück: Brian als distinguierter Kunststudent mit langem Schal überm Anzug, Freddie im Kimono, den er aber bald ablegt, um in kurzer Turnhose und barfuß abzuhotten, Roger mit bunter Perrücke, nur auf John hatte mal wieder keiner geachtet, so dass er sich einfach ne Basecap aufzog. Spielte keine Rolle: Drei Tage nach der Show stand "A Night At The Opera" an der Spitze der britischen Charts.

Überhaupt muss ich hier mal anmerken, dass das Standing von Taylor und May, die ich aufgrund ihrer überflüssigen Queen-Liveshows, ihrer komischen Studioalben mit anderen Sängern und Resteverwertungen oft an den Pranger stelle, in meiner Gunst gerade wieder steigt. In der vorliegenden Doku kommen sie als absolute Sympathen rüber, die tatsächlich Lust haben, über diese spezielle London-Show zu sprechen. Und letztlich sind exzellent remasterte und wieder aufbereitete Livescheiben von 1974 und 1975 genau das Gold, wonach Fans schürfen. Show must go on!

Trackliste

CD/DVD

  1. 1. Now I'm Here
  2. 2. Ogre Battle
  3. 3. White Queen (As It Began)
  4. 4. Bohemian Rhapsody
  5. 5. Killer Queen
  6. 6. The March of the Black Queen
  7. 7. Bohemian Rhapsody (Reprise)
  8. 8. Bring Back That Leroy Brown
  9. 9. Brighton Rock
  10. 10. Guitar Solo
  11. 11. Son And Daughter
  12. 12. Keep Yourself Alive
  13. 13. Liar
  14. 14. In The Lap Of The Gods... Revisited
  15. 15. Big Spender
  16. 16. Jailhouse Rock Medley
  17. 17. Seven Seas Of Rhye
  18. 18. See What A Fool I've Been
  19. 19. God Save The Queen

DVD Live in Japan '75

  1. 1. Now I'm Here
  2. 2. Killer Queen
  3. 3. In The Lap Of The Gods... Revisited

Looking Back At The Odeon (Interviews)

Preisvergleich

Shop Titel Preis Porto Gesamt
Titel bei http://www.amazon.de kaufen Queen – A Night At The Odeon – Hammersmith 1975 (CD) €14,42 €3,00 €17,42

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Queen

Ende der 60er Jahre spielen Brian May (Gitarre) und Roger Taylor (Drums) in der Londoner College-Band Smile, bis ein Kerl namens Farrokh Bulsara auftaucht, …

1 Kommentar mit 4 Antworten