laut.de-Kritik
Jubelnde Fans unter verschmierter Linse.
Review von Michael SchuhSehr gut, kaufen! Leider reichen drei Worte selten aus, um meinen Chefredakteur zufrieden zu stellen. Bei einem alten Live-Auftritt einer längst nicht mehr existenten Band, den zu 90% sowieso nur Queen-Fans kaufen, hätten sie allerdings mal ausgereicht. Obwohl ein Schwachpunkt festzustellen ist: beim hier erstmals in voller Länge veröffentlichten Konzert aus Milton Keynes von 1982, ist tatsächlich eine der Hauptkameras farbverschmutzt. Somit sieht man die Band oftmals zwischen lila Streifen performen, also ungefähr so, als hätte Freddie kurz zuvor mit Lippenstift noch munter Linsen-Küsschen verteilt.
Passend zum im Dezember in Köln startenden, von Robert De Niro co-produzierten Musical "We Will Rock You", darf man sich also anhand zweier DVDs noch mal erinnern, wie es 1982 war, als die Band gerade ihr elektronisches Funk-Experiment "Hot Space" veröffentlichte. Queen am Zenit ihres Schaffens, wie die Plattenfirma schreibt. Nun ja. Zwar stimmt es, das Freddie und Co. mit "Another One Bites The Dust" und der Bowie-Koop "Under Pressure" auch im neuen Jahrzehnt dicke Hits einfuhren. Eine weitere Tatsache ist aber, dass beinharte Queen-Fans das aktuelle Album, das im Fieber der synthetischen Disco-Bewegung in München aufgenommen wurde, mächtig verwünschten. Sheer Heart Attack!
Die Band selbst ahnte schon so etwas, wie man im Interviewblock auf der zweiten DVD erfährt. Am Rande des Wien-Auftritts, der der Album-Veröffentlichung voraus ging, äußert sich Brian May schonungslos und realitätsnah: "Viele werden schockiert sein". Im Konzert ist dies freilich alles vergessen: Freddie Mercury eröffnet mit der Soundtrack-Nummer "Flash", und die Hütte brennt sofort. Dennoch muss selbst der Sänger vor "Staying Power" noch einmal auf die damals wohl endlosen Album-Diskussionen zu Sprechen kommen: "Hey, it's only a bloody record, people get so excited about these things." Der angesprochene Song kommt live, wie im Übrigen auch "Action This Day", richtig dreckig rüber, selbst die 70er Rock-Fraktion müsste das heute zugeben.
Spätestens aber bei "Now I'm Here" sind alle Ex-Nörgler vereint: die Menge in Milton Keynes jubelt bis Reihe 100. Hardrock der Marke Queen, was anderes wollte seinerzeit niemand. Natürlich gibt Freddie wieder alles, schwitzt und blutet für seine Songs, ersinnt neue Intros ("Somebody To Love") oder spielt Klavier mit seinem Allerwertesten. Ebenso amüsant wirkt Drummer Taylors Konterfei auf der Bassdrum oder Basser Deacons türkiser Bühnendress, der damals aber wenigstens noch modern war, ganz im Gegensatz zu Mays uferlosem Gitarrensolo, das an den Effektgerät-Piano-Irrsinn "Get Down Make Love" anschließt.
Die als nie dagewesenes Lichtspektakel gepriesene Show geht aus heutiger Sicht als niedliche Buntlicht-Veranstaltung durch, zumal die Band noch bei Tageslicht die Bühne betritt. Höhepunkte, die auf dem bekannten Wembley '86-Mitschnitt nicht vorkommen, ist neben den "Hot Space"-Titeln vor allem "Dragon Attack", dessen züngelnder Bass live ein Erlebnis gewesen sein muss. "Teo Torriatte" aus Tokio zeigt außerdem einen seltenen Moment mit May am Piano, während die Songs aus Wien das Gütesiegel "Liebhaber-Aufnahmen" verdienen. Wer noch keine 5.1-Anlage zu Hause stehen hat, kann sich auch die gleichnamige Doppel-CD besorgen, auf der das komplette '82er Konzert vertreten ist.
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