laut.de-Kritik
Versöhnliches Spätwerk zwischen Melancholie und Heiterkeit.
Review von Toni HennigReinhard Mey veröffentlichte seine Alben früher im verlässlichen Ein- bis Zweijahrestakt und zuletzt im Dreijahrestakt so pünktlich wie die Tagesschau. Für das nun erscheinende Studio-Werk "Das Haus An Der Ampel" ließ er sich vier Jahre Zeit.
"In Hinblick auf die Vergänglichkeit" hatte der Berliner Liedermacher das zusätzliche Jahr letzten Endes dazu genutzt, um "ein bisschen Abstand zu nehmen" und "mit den Enkelkindern viel Zeit" zu verbringen, verriet er kürzlich Deutschlandfunk Kultur. Irgendwann kam dann der Punkt, dass er wieder den Drang "zum Schreiben" verspürte. Trotzdem waren ihm die Lieder nicht nur "ein Jahr", sondern "ein Leben lang" ein Anliegen, lässt er uns auf seiner Homepage wissen. Die kreisen um seine Vergangenheit und um die Gefühle von "Aufbruch" und "Heimkehr" .
Dabei gewährt Mey in "An Meinen Bleistift" auch einen Einblick, wie seine "Verse" am Schreibtisch in seiner Dichterstube entstehen, wenn er von seiner persönlichen Beziehung zu seinem Bleistift singt. Die Musik komponiert er danach. Während der Arbeit an den Demos hatte er dieses Mal die Idee, die Lieder in den Teldex-Studios unter optimalen Bedingungen in ihrer pursten Form, also nur mit Stimme und Akustikgitarre, aufzunehmen, so wie er sie auf der Bühne spielen würde. Die Aufnahmen befinden sich auf der zweiten CD, die er "Das Skizzenbuch" nennt. Für das Haupt-Album gewann er einige enge Bekannte und ein großes Ensemble an Musikern und Musikerinnen unter der Leitung von Manfred Leuchter.
Das ergänzt die Arrangements im besten Falle wie in "Bleib Bei Mir" um festliche Streicher, die in ihrer Bedächtigkeit mildes Leonard Cohen-Flair versprühen. Im schlimmsten Falle schießt die Band mit Rock-Klängen in "Ich Liebe Es, Unter Menschen Zu Sein", die hüftsteifer kaum sein könnten, oder mit nervigem Gitarren-Gedudel in der kitschigen Neueinspielung von "Scarlet Ribbons", die Mey zusammen mit seiner Tochter Victoria-Luise zum Besten gibt, sehr über das Ziel hinaus.
Meist aber zieht sie sich zu Gunsten der textlichen Stimmung in den Hintergrund zurück. Die fängt der mittlerweile 77-jährige auf dem "Skizzenbuch" noch ein wenig stimmiger ein, lässt er doch gerade durch seine sparsame Vorgehensweise die heiteren Momente umso heiterer und die melancholischen Momente umso melancholischer klingen. Im Grunde genommen hätte es mehr als diese Version nicht unbedingt gebraucht.
Insgesamt fällt das Album persönlicher aus als zuletzt, wodurch die Schönheit der Melodien, die wie eine warme Decke den Hörer umhüllen, besonders gut zum Tragen kommt. So nimmt uns der Liedermacher im Titelstück mit sehnsüchtigem Blick in sein Elternhaus zurück, erzählt von den Menschen, die sich dort aufhielten und davon, dass es "zu spät" war, "noch etwas Richtiges" zu lernen, da er schon immer "gern" Lieder machen "wollte", obwohl er die zwölfte Klasse wegen unter anderem schlechter Noten in Deutsch noch einmal wiederholen musste. Er sollte es ja trotzdem zu etwas bringen.
Dass man dafür Lampenfieber vor einem Auftritt in Kauf nehmen muss, davon handelt "In Wien". Dort durfte nämlich Reinhard Mey zu Beginn seiner Karriere auftreten, weil ihn jemand "als Außenseiter gewettet" hatte. Den Respekt vor jedem Konzert hat er sich bis heute bewahrt. Dafür "gibt es keinen dunklen Tag", wenn er von der Bühne aus beobachtet, wie in "Der Vater Und Das Kind" ein Mann "das schwächste seiner Kinder" über mehrere Stunden in die Höhe hält. Dementsprechend besinnt er sich auf die Magie des Augenblicks.
In "Menschen, Die Eis Essen" kommt dann noch die Sehnsucht nach Entschleunigung dazu, wenn die Großstädter an der Eisdiele für kurze Zeit ihren hektischen Alltag vergessen. Die haben nämlich "so etwas Geduldiges". Im nächsten Song heißt es dann mit ausgelassener Stimme sogar: "Ich liebe es, unter Menschen zu sein." Natürlich betont der Berliner das nicht ohne Ironie, wenn er sich mit den Unannehmlichkeiten des täglichen Lebens konfrontiert sieht.
Dennoch lautet es zum Schluss, als der FC-St.-Pauli-Block verhindert, dass es zu einer blutigen Auseinandersetzung mit einem Neonazi kommt: "You never walk alone." Jedenfalls kann man sich in der richtigen Situation auf die Solidarität seiner Mitmenschen immer noch verlassen, wie auch auf gute Freunde, selbst wenn man ihnen wie in "Glück Ist, Wenn Du Freunde Hast" als Kind "die Schaufel auf den Kopf" gehauen hat.
Eine viel tragischere Geschichte hat dagegen "Gerhard Und Frank" zum Thema, nämlich die eines älteren Männer-Paares. "Frank" möchte jedenfalls aufgrund eines "klaren" Befundes "selber gehen, wenn es Zeit ist, zu gehen", sieht aber auch die vielen Ausflüge, die er zusammen mit "Gerhard" noch unbedingt in die Tat umsetzen wollte. Am Ende nimmt er "ein einziges Ticket nach Zürich, One-Way". Dies kleidet Mey in empfindsame, feinfühlige Worte, die seine besondere Beobachtungsgabe erneut unter Beweis stellen, so dass das Lied den berührenden Höhepunkt der Platte bildet.
Sein Leben fasst er in "Was Will Ich Mehr" mit ganz bescheidenen Worten zusammen: "Ich habe alles gehabt, was will ich mehr?" Wenn schon auf sein Leben zurückblicken, dann mit Dankbarkeit. Am Ende bleibt ein sanftes Spätwerk, das versöhnlich, aber nicht "geschönt" anmutet.
10 Kommentare mit 15 Antworten
Ich muss zugeben, dass mir Reinhard so als Typ einfach recht sympathisch ist. Der ist locker, in Interviews auch mal selbstironisch und (im Gegensatz zu vielen Anderen in der Szene) auch kritikfähig. Dazu kommt, dass ich seine Stimme mag und das Soundgerüst wirklich passt. Dass das natürlich technisch nicht A-Liga ist sollte klar sein.
Mein erstes Album von ihm war Ich Liebe Dich.
Seitdem bin ich Fan.
Nach Ich Liebe Dich hab ich mir noch die alten Alben zugelegt. Mag eher diese Phase als die neueren Album. Aber aus Erfahrung kann ich sagen, dass die Alben nicht immer beim ersten hören total zünden. Also am besten anhören und nach einiger Zeit nochmal hören. Und nochmal. Dann macht's auf einmal Klick und man möchte es nicht wieder missen.
Das finde ich so genial an MEINHARD REY.
Schwinger dreht nur noch am Comedy-Rad. Steht dir aber gut. Ich wusste immer, dass du das Zeug dazu hast!
*keineironie* sondern *schleim*.
Ich hab ja nichts dagegen, das Objekt deiner Liebe zu sein. Doch, hab ich.
Schön, dass dir meine Rezi zu Katatonia so gut gefallen hast, dass du sie als Vorlage weiter verbreitest. Ich fühle mich geehrt und hab dich ganz doll lieb!
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Ich muss zugeben, dass mir MannIN so als Typ einfach recht sympathisch ist. Der ist locker, in Interviews auch mal selbstironisch und (im Gegensatz zu vielen Anderen in der Szene) auch kritikfähig. Dazu kommt, dass ich seine Stimme mag und das Gedankengerüst wirklich passt. Dass das natürlich technisch nicht A-Liga ist sollte klar sein.
Ich muss zugeben, dass mir Craze 2.0 so als Typ einfach recht sympathisch ist. Der ist locker, in Interviews auch mal selbstironisch und (im Gegensatz zu vielen Anderen in der Szene) auch kritikfähig. Dazu kommt, dass ich seine Stimme mag und das Gedankengerüst wirklich passt. Dass das natürlich technisch nicht A-Liga ist sollte klar sein.
Ich muss zugeben, dass mir Jerome K. so als Typ einfach recht sympathisch ist. Der ist locker, in Interviews auch mal selbstironisch und (im Gegensatz zu vielen Anderen in der Szene) auch kritikfähig. Dazu kommt, dass ich seine Stimme mag und das Gedankengerüst wirklich passt. Dass das natürlich technisch nicht A-Liga ist sollte klar sein.
Ich muss zugeben, dass mir SirPsycho777 so als Typ einfach recht sympathisch ist. Der ist locker, in Interviews auch mal selbstironisch und (im Gegensatz zu vielen Anderen in der Szene) auch kritikfähig. Dazu kommt, dass ich seine Stimme mag und das Gedankengerüst wirklich passt. Dass das natürlich technisch nicht A-Liga ist sollte klar sein.
Ich muss zugeben, dass mir Xavier Naidoo so als Typ einfach recht sympathisch ist. Der ist locker, in Interviews auch mal selbstironisch und (im Gegensatz zu vielen Anderen in der Szene) auch kritikfähig. Dazu kommt, dass ich seine Stimme mag und das Gedankengerüst wirklich passt. Dass das natürlich technisch nicht A-Liga ist sollte klar sein.
Ich muss zugeben, dass mir Ken Jebsen so als Typ einfach recht sympathisch ist. Der ist locker, in Interviews auch mal selbstironisch und (im Gegensatz zu vielen Anderen in der Szene) auch kritikfähig. Dazu kommt, dass ich seine Stimme mag und das Gedankengerüst wirklich passt. Dass das natürlich technisch nicht A-Liga ist sollte klar sein.
Wobei bi letzterem stimmts wirklich.
Dieser Kommentar wurde vor 4 Jahren durch den Autor entfernt.
Das Haus an der Friedhofsmauer
Ich finde es wäre an der Zeit für einen Meilenstein für Reinhard Mey.
Dieser Kommentar wurde vor 6 Monaten durch den Autor entfernt.