laut.de-Kritik
Paul McCartneys bester Schüler.
Review von Franz MauererDer zweittraurigste aller Kanadier ist zurück, mit seinem 17. Werk "The Vivan Line". Die Frage, ob die allumfassende Pandemie auch Auswirkungen auf das wahlweise wahnsinnig konsistente oder immer gleiche Werk von Ron Sexsmith hatte, entbehrt nicht eines gewissen Reizes. Nur ist der Kanadier schon immer ein recht zurückgezogener Typ, was sich durch den Umzug kurz vor dem Vorgänger "Hermitage" ins rurale Kanada kaum geändert haben dürfte. Allerdings nahm Sexsmith "The Vivian Line" in Nashville mit Brad Jones auf, der sich in den letzten Jahren zurecht einen Namen als exzellenter Folk-Produzent machte und als Bassist schon auf früheren Alben von Ron mitwirkte, mit ihm aber über ein Jahrzehnt keinen Kontakt hatte. Die Zutaten für ein Überraschungsmenü wären also durchaus vorhanden.
Der Opener "Place Called Love" stellt dann jedoch klar, dass sich zumindest hier genau gar nichts geändert hat beim Barden aus Ontario. Das ist leicht trauriger, aber nie verbitterter Pop-Folk, bei dem alles genau dort sitzt, wo es hingehört. Und während man zu Beginn noch die Hoffnung hat, dass der Song schief abbiegen könnte, wenn die Zitter einfällt, gibt er sich dann doch routinierten, handwerklich schlicht perfekten Mustern hin.
"What I Had In Mind" macht es zunächst ähnlich, gerät durch seine flottere, von Zupfinstrumenten verstärkte Melodie aber schnell in noch bessere Fahrwasser. Der Refrain bietet mehr Kontrast, als man es von Sexsmith gewohnt ist. Und auf "Flower Boxes" hört man dann raus, was der Pressetext mit "Barock-Pop" meint, für den laut Sexsmith vor allem Jones verantwortlich sei. Die reiche, warme Instrumentierung verdrängt den Sänger kein bisschen, sondern reichert an und verstärkt seinen Charme und seine – vom Abwechslungsproblem abgesehen ja hochwillkommene – Wärme. Nach zweieinhalb Minuten ist dann auch schon Schluss. Sexsmith zögerte zwar noch nie lange herum, auf "The Vivian Line" erreicht aber über die Hälfte der Songs nicht mal die 3-Minuten-Marke. Eine gute Entscheidung, so fühlen sich die Songs enorm kurzweilig an.
Das bezaubernde Albumhighlight "Outdated And Antiquated" ist flott und besitzt Tiefe, in der man fast versinken kann. Nur "Diamond Wave" stammt nicht aus der jüngsten Vergangenheit, sondern aus 1988, als Sexsmith ihn vor Freude über seine Nicht-Entlassung als Kurier schrieb. Hier sind es die Percussions, die den Song gekonnt anreichern. Die Qualität lässt nicht nach, "Powder Blue" baut sich schön auf um einen Frauenchor, Bläser und Percussions. Jones geht dabei durchaus vorsichtig zu Werke, man kann sich aber bei vielen Songs vorstellen, wie viel spartanischer und etwas weniger unterhaltsam sie ohne das Plus der Produktion – das zwar wunderbar eingearbeitet, aber doch erkennbar als Zusatz konstruiert ist - ausfielen.
Sexsmith täte gut daran, den Kontakt zu Jones nicht mehr abreißen zu lassen, gelingt ihm hier doch sein bestes Album seit "Cobblestone Runway". "One Bird Calling" lebt vom Refrain, "Country Mile" dagegen überzeugt sofort. "This, That And The Other Thing" fällt ein Stück zu gezwungen beschwingt aus, "When Our Love Was Young" ist entwaffnend direkt und sticht ins Herz.
"The Vivian Line" ist das 17. Bemühen von Ron Sexsmith, Songs im Stile von McCartney neu zu interpretieren. Und das schafft er auch. Die Songs strotzen vor schönen kleinen Geschichten wie die vom Vogel in "One Bird Calling" oder die Reality-TV-Hommage "A Barn Conversion". Sogar der Albumname selbst bezeichnet eine Straße in Stratford, die Sexsmith benutzt, um auf die Autobahn zu kommen. Eine wärmere Decke als Ron Sexsmith wird man kaum finden, sogar die Selbstironie auf "Outdated And Antiquated" gerät nie beißend, sondern liebevoll. Ein Album für die letzten Wintertage.
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