laut.de-Kritik

Mit der Vergangenheit besser bedient als mit der Gegenwart.

Review von

Gestern Abend in der Kneipe meines Vertrauens: ich sitze mit Kollege Lambrecht, einem bekennenden und praktizierenden Schwedophilen, bei einem Bier zusammen und wir diskutieren die pophistorische Relevanz von Roxette. Ich bin der Meinung, das schwedische Duo endet langfristig als Fußnote in der Geschichte. Dann unterstreicht Lambrecht aber, dass Roxette wohl der zweitgrößte Popexport Schwedens nach ABBA und deren logische Konsequenz seien.

Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr muss ich ihm Recht geben. Das Paar lebt auch von der Spannung zwischen den Geschlechtern, ähnlich wie bei ABBA, und die Musik zeichnet sich durch ein solides, wenn auch mäßig innovatives Songwriting aus. Warum ich überhaupt über Roxette diskutiere? Sie waren prägender Teil meiner popmusikalischen Sozialisation. Ich muss gestehen: ich war jahrelang so etwas wie ein Devotee, ich fand Per cool (!) und Marie sexy.

Was bietet "Hits!" also einem wie mir, der die Singles erst vor kurzem in den Keller verfrachtet hat? Zuerst einmal zwei neue Songs, "One Wish", die obligatorische Single, und "Reveal". Beide Songs rahmen die Hits ein, "One Wish" entpuppt sich als ein wenig interessanter Synthie-Overkill mit Pers Stimme im Vordergrund, während "Reveal" eine hingebungsvolle Ballade mit Marie und einer Klarinette in den Hauptrollen ist.

Die Songs, die im Spotlight stehen, die Hits, sind tausendmal gehört und ebenso oft nachgesungen mit ausgedachten Texten auf Grund von mangelnden Englischkenntnissen, ganz so, wie Rocko Schamoni es in seinem Buch "Dorfpunks" beschreibt. Und wie es scheint, sind die Songs auch schon tausendmal erschienen. 1995 kam nach fünf Studioalben mit "Don't Bore Us Get To The Chorus" das erste Best-Of auf den Markt, es folgen "Baladas En Español" ein Jahr später, "The Ballad Hits" 2002 und wiederum ein Jahr später "The Pop Hits".

Nach dem 1994er "Crash! Boom! Bang!" (übrigens das erste Album, dass ich mir nach einjährigem USA-Aufenthalt zurück in Deutschland kaufte) sind also nur zwei Studioalben ("Have A Nice Day" 1999 und "Room Service" 2001) erschienen, dafür wirft die Plattenfirma mit "Hits!" schon die dritte Best-Of in Folge auf den Markt. Es muss sich lohnen, anders ist "Hits!" nicht zu erklären. Eine Zusammenstellung der größten Hits der zweitgrößten Popband aus Schweden hat durchaus ihre Daseinsberechtigung, nur wenn die Tracklist sich über weite Strecken mit der von "Don't Bore Us Get To The Chorus" deckt (weil chronologisch, also völlig uninnovativ vorgegangen wird), frage ich mich, ob der Hörer verarscht und abgezogen werden soll.

Was fehlt also? "The Big L." und "Church Of Your Heart" haben es (dieses Mal) nicht in die Top 20 geschafft, völlig unberechtigt, andererseits war "Joyride" auch das Album der Hits. Und so lange "Fading Like A Flower (Every Time You Leave)" dabei ist - für mich der Überhit von Roxette, mag man sich kaum beschweren. "Queen Of Rain" hätte ich erwartet, dafür könnte ich gut auf die offensichtlich überbewertete erste Single vom "Tourism"-Album "How Do You Do!" mit seinen schlecht klingenden Synthie-Horns verzichten.

Auch überflüssig: die "Almost Unreal"-Singlenummer vom "Super Mario Bros."-Soundrack (ja, das waren die Neunziger!). Dafür hätte man eine Nichtsingle wie das starke "Cinnamon Street" von der "Tourism" nehmen können. "Crash! Boom! Bang!" hatte ich nicht als so guten Song in Erinnerung. Danach verlassen sie mich.

Geht "Wish I Could Fly" noch gerade so durch, ist "Stars" nur noch eine stumpfe, peinliche Eurodance-Nummer, ich glaube, es war richtig, nach besagter "Crash! Boom! Bang!" auszusteigen. Ab jetzt dokumentiert sich der Niedergang von Roxette und ich spüre Fremdscham. Die Singles von "Have A Nice Day" und "Room Service" belegen, dass Roxette nicht in der Lage waren, einen zeitgemäßen Sound für die Endneunziger bzw. das aktuelle Jahrzehnt zu fabrizieren und auch sich selbst nicht treu bleiben.

Das Erfahrungskondensat ist eingekocht: Die Zeitreise besitzt durchaus Unterhaltungswert, warum Roxette aber nur noch aus Zeitreisen bestehen, erklärt sich, wenn man die neueren Songs hört. Man ist mit der Vergangenheit besser bedient als mit der Gegenwart.

Trackliste

  1. 1. One Wish
  2. 2. The Look
  3. 3. Dressed For Success
  4. 4. Listen To Your Heart
  5. 5. Dangerous
  6. 6. It Must Have Been Love
  7. 7. Joyride
  8. 8. Fading Like A Flower (Every Time You Leave)
  9. 9. Spending My Time
  10. 10. How Do You Do!
  11. 11. Almost Unreal
  12. 12. Sleeping In My Car
  13. 13. Crash! Boom! Bang!
  14. 14. Run To You
  15. 15. Wish I Could Fly
  16. 16. Stars
  17. 17. The Centre Of The Heart
  18. 18. Milk And Toast And Honey
  19. 19. A Thing About You
  20. 20. Reveal

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