laut.de-Kritik

Ein Moralapostel mit der Brechstange.

Review von

Dieser 71-jährige Kalifornier hat noch lange nicht genug: Ry Cooder veröffentlicht sechs Jahre nach dem polit-kritischen Werk "Election Special" sein 14. Studioalbum. Auch auf "The Prodigal Son" gibt er den Mahner und Grummelbär. Seine Kritik zielt auf das marode Moralsystem der USA, dem er mit einer Mixtur aus Gospel, Folk, Blues und Country-Rock zu Leibe rückt.

Wie der Albumtitel vermuten lässt, geht es um Religion und Spiritualität. Das Werk ist getränkt von Geschichten und Metaphern aus der Bibel, und auch Buddha findet seine Erwähnung. Musikalisch verpackt Ryland das Ganze größtenteils entspannt und mit der Aura eines weisen, rüstigen Großvaters. Dabei zitiert er nicht nur seine eigenen Erlebnisse, sondern interpretiert einige Gospel- und Countrysongs von Blind Roosevelt Graves ("I'll Be Rested When The Roll Is Called"), Blind Willie Johnson ("Nobody's Fault But Mine") oder den Stanley Brothers ("Harbor Of Love") neu.

"Straight Street" eröffnet relaxt mit einem Banjo und dem ziemlich typischen Bild, nur Gott weise den rechten Weg, weg von den Sünden. Wer in den erlauchten Kreis der Gesegneten vorstößt, gelangt mit dem Schiff des Herrn in den "Harbor Of Love": eine verträumte und einnehmende Ballade.

Der Titelsong, klassischer Country-Rock, beschreibt die biblische Erzählung vom verlorenen Sohn, die Cooder mit einem Verweis auf den Steel-Gitarristen Ralph Mooney verknüpft: "Now the father asked the prodigal / 'Did you smell the sweet perfume and hear the angel band?' / He said, 'Daddy! Dim lights, thick smoke, and loud, loud music / Is the only kind of truth I'll ever understand!'"

Das musikalisch anspruchsvollste Stück "Nobody's Fault But Mine" überrascht mit verhuschten, überlagerten Flötentönen und Gospel-artigen Hintergrundvocals. Mit tief betörender Stimme erzeugt Cooder eine mystisch-sakrale Atmosphäre, das absolute Herzstück des Albums.

Reichlich übertrieben hat er es jedoch mit "You Must Unload": ein Sittenwächter mit der Brechstange. Er mahnt die heuchlerischen Christen an, ihre protzigen Konsumgüter zu verteilen, da sie sonst nicht in den Himmel kämen: "You'll never get to heaven in your jewel-encrusted high-heeled shoes / ... / And you power-loving Christians in your fancy dinin' cars / We see you drinkin' whiskey and smokin' big cigars / You must, you must unload." Eine durchaus fragwürdige Konklusion, dass Konsumgesellschaft und christlicher Glaube nicht miteinander vereinbar seien. Sind wir doch ehrlich: Jeder steht sich selbst am nächsten.

Cooders restliche Kritik erstreckt sich auf diverse Gebiete: die bösen Google-Männer, die den weniger betuchten Menschen die Häuser wegnehmen ("Gentrification"), zu wenig Nächstenliebe bezüglich Fremden ("Everybody Ought To Treat A Stranger Right") und eine freundliche Anti-Kriegsballade ("Jesus And Woody").

"The Prodigal Son" reiht sich nahtlos ins qualitativ hohe Œuvre Ry Cooders ein, ohne besonders hervorzustechen. Das musikalisch abwechslungsreiche Album strapaziert textlich ab und an über die Maßen das Bild des religiös-mahnenden Moralapostels. Generell ist das Thema Glaube nicht jedermanns Sache. Die eingängigen Melodien vereinfachen allerdings den Zugang.

Trackliste

  1. 1. Straight Street
  2. 2. Shrinking Man
  3. 3. Gentrification
  4. 4. Everybody Ought To Treat A Stranger Right
  5. 5. The Prodigal Son
  6. 6. Nobody's Fault But Mine
  7. 7. You Must Unload
  8. 8. I'll Be Rested When The Roll Is Called
  9. 9. Harbor Of Love
  10. 10. Jesus And Woody
  11. 11. In His Care

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