laut.de-Kritik

Eine Afrika-Reise macht die Musik noch lange nicht afrikanisch.

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Dass Santana sich noch einmal neu erfinden würde, hätte wohl niemand gedacht. Doch nun hat er mit Concha Buika u.a. erstmals durchgehend Frauen das Mikro auf allen Songs überlassen. Und der einstige Samba-Experte holt nach, was ihm schon früher auffiel und was er genauer wissen wollte: Dass Afrika sich mit Polyrhythmik und Voodoo-Trance in der brasilianischen oder der kubanischen Musik wiederfindet. Und dass umgekehrt Elemente aus Lateinamerika und der Karibik in afrikanische Traditionsmusik und den Afrobeat eindrangen, z.B. mit Call- & Response-Gesang und Rumba-Rhythmus.

"Africa Speaks" heißt folgerichtig der Albumtitel. Nun ja. Die Verschmelzung der psychedelischen Optik mit einer afrikanischen Maske auf dem Cover trifft den Kern des Albums schon besser als der Name. Denn nicht nur das Erscheinungsdatum zum 50-jährigen "Woodstock"-Jubiläum erinnert an Phase 1, den "Black Magic Woman"-Santana. Diese Zeit taucht in Form von "Paraísos Quemados" auf brillante Weise wieder auf.

Die Jazz-Rock-Fusion der 70er aus Santanas Phase 2 überträgt sich auf "Africa Speaks", den Titelsong und Opener. Phase 3, den seichten Pop, den er nur mit E-Gitarre verziert, zu finden seit "Supernatural" überspringt Carlos Santana hier - zum Glück. Bei Santana 4.0 geht es um einfache Kriterien: Spaß. Lust. Neugier.

Mit Produzent Rick Rubin verwirklichte Santana einige lange aufgeschobene Wünsche: In die afrikanische Seele der Musik soll es gehen, mit der jungen britischen Gospel-/Vocal Jazz-Queen Laura Mvula und mit Flamenco-Neuerfinderin Buika im Team.

Dass Santana ein offenes Ohr für Musikerinnen pflegt, von denen die eine seine Tochter, die andere seine Enkelin sein könnte, ehrt ihn. Seine Ehefrau Cindy trägt ebenfalls zum Album bei. Das funkelnde Bratzeln lädt sich mit der Reibungsenergie aus dem Zusammenspiel der beiden auf. Cindy gibt Carlos Gitarrensoli als Drummerin Kontra. Ringsherum musizieren sieben weitere Profis, und da beeindruckt besonders die Hammond-Orgel.

Was sie da kredenzen, klingt schön, aber recht wenig afrikanisch. Wie der Fusion-Jazz von Volker Kriegel kommt etwa "Blue Skies" herüber, sanft, gleitend - und doch im Ursprung etwas ganz anderes. Der Song heißt eigentlich "Chant Of Mother Earth", stammt vom nigerianischen Funk-Rock-Trio BLO. Das Perfide an Santanas Adaption ist nun aber: Ginger Baker von Cream fand bei seinen Nigeria-Reisen Anfang der 70er heraus, dass BLO wiederum Carlos Santana als Vorbild hatten. Doch damit setzt sich der Weltstar auf "Africa Speaks" gar nicht auseinander: Er hat die afrikanische Rock- und Funkmusik doch selbst stark beeinflusst. Für solche Reflexionen war wohl keine Zeit. Aufnehmen, was das Zeug hielt, war die Devise, den ersten Funken einfangen.

An "Luna Hechicera" etwa bewährt sich die freie Herangehensweise ohne Denkschranken. Das Lied gehört zum großen Salsa-Repertoire Kubas, als liebliches, romantisches Beispiel für Salsa. Vom Original lässt die Combo kaum noch was übrig, Santana, Buika und Band basteln eine schroffe Kreuzung aus Progressive Rock und Flamenco daraus. Doch muss man einiges hinzu fantasieren, um den Reiz zu spüren. Hört man nicht genau zu, verhallt der Titel eher als in sich gekehrte jazzige Improvisation.

Weitaus näher am Afrika-Thema entfaltet sich "Candombe Cumbele". Candombe, nicht zu verwechseln mit dem Candomblé aus dem brasilianischen Karneval, ist ein Tanz aus Uruguay, aus dem sich der argentinische Tango entwickelte. Die spanische Krone rekrutierte afrikanische Sklaven im 19. Jahrhundert als Soldaten für Uruguay, gegen die indigene Bevölkerung der Guaraní. Daraus entwickelte sich das Selbstverständnis der 'Afro-Uruguayer', an der Seite der Staatsmacht die Nation Uruguay mitgegründet und verteidigt zu haben. Entsprechender Stolz drückt sich im Trommelspiel des Candombe aus und erklärt auch die erhabene Haltung dieses Stücks. Als Schlusstitel bricht "Candombe Cumbele" mit dem Rest des Albums, weil es der vokalhaltigste Song ist und der einzige, der ohne umständlichen Vorspann auskommt.

"Breaking Down The Door" liegt eine Komposition von Manu Chao zugrunde. Instrumentiert mit Akkordeon im Intro und mit sportlich gespielten Congas, weich tönendem Saxophon und mit Carlos E-Gitarre klingt dieser Song zwar anders als im Original (mir gefällt die Version von Calypso Rose gesanglich besser). Afrika oder gar die Karibik finden sich aber auch hier nicht erkennbar wieder.

Auch wenn die Kernelemente der vielen afrikanischen Musikstile fehlen: Die Idee, afrikanische Perlen aufzuspüren, klingt verlockend. Die ausgewählten Songs, alles Coverversionen unbekannter Titel, zeigen: Santana drückt fremden Songs seinen Stempel auf und lotet eine große Bandbreite aus. Der Voodoo-Zauber in der fünften Minute von "Batonga" reißt einen mit, und der flehende Gesang Buikas am Ende von "Oye Este Mi Canto" über dem leichten karibischen Flair fasziniert.

Solche Musiktitel sind schnell mal ein Aufreger-Thema fürs Feuilleton und ein paar Wochen später schon wieder vergessen. Als Folge von Afrika-Reisen eine Platte aufzunehmen, macht die Musik jedoch noch lange nicht automatisch afrikanisch.

Trackliste

  1. 1. Africa Speaks
  2. 2. Batonga
  3. 3. Oye Este Mi Canto
  4. 4. Yo Me Lo Merezco
  5. 5. Blue Skies
  6. 6. Paraísos Quemados
  7. 7. Breaking Down The Door
  8. 8. Los Invisibles
  9. 9. Luna Hechicera
  10. 10. Bembele
  11. 11. Candombe Cumbele

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