15. Juli 2010

"Für die Hausfrau mit dem kribbelnden Tanzbein"

Interview geführt von

Das Mastermind des New Yorker Dance-Funk-Disco-Monsters über Segen und Flüche des Nachtlebens, den Musikkritiker Elton John und das neue Album "Night Work".Sämtliche Zweifel ob dieser möglicherweise zickig-exzentrischen New Yorker verfliegen sofort, als der nette Babydaddy in seinem Stuhl im Kölner Hyatt fläzt. Innerhalb der Schwulenszene würde man ihn wohl als "Bär" einsortieren – gemütlich, umgänglich, sanft und ausgeglichen. Dass er Mitglied und Mastermind einer explosiven Disco-Combo ist, merkt man seinem ruhigen Sprachduktus kaum an.

Das Eis bricht schnell, als er schon aus fünf Metern Entfernung einen Anhänger meiner Kette entdeckt – rein zufällig eine silberne Schere, die er zunächst grinsend auf Produktpiraterie überprüft – schließlich haben die Scissor Sisters einen ähnlichen Fan-Artikel zum Verkauf. Wichtiger aber: Das neue Album, "Night Work".

Würdest du zustimmen, dass "Night Work" ein bisschen technisierter klingt - schwerer und härter? Was hat sich im Scissor Sisters-Kosmos in den letzten Jahren getan?

Das aktuelle Album ist auf jeden Fall viel elektronischer, das ist durchaus gewollt. Mit unserer letzten Platte (Ta-Dah, d. Red.) haben wir gemacht, was manche Leute ein Rock'n'Roll-Album nennen würden – zumindest für unsere Verhältnisse. Vor jedem unserer Alben stand ein gewisser Knoten, der erst platzen musste.

Damals ist uns aufgefallen, dass wir ja eigentlich eine gute Band sind und vielleicht eine noch bessere sein könnten, wenn wir uns alle stärker auf das Spielen unserer Instrumente konzentrieren. Der gemeinschaftliche Gedanke war: Hey, lasst uns ein richtiges Ensemble-Album machen!". Aber diesmal wollten wir hauptsächlich ein Album schaffen, zu dem die Leute von vorne bis hinten tanzen können.

So, wie das Album angelegt ist, wird das wohl definitiv klappen. Habt ihr euch für die Arbeit auch von deutscher Clubkultur beeinflussen lassen? Jake war doch eine Weile in Berlin, oder?

(Jake schneit fröhlich rein, ein völlig anderer Typ als Babydaddy: Sprudelnd, aufgedreht, extrovertiert. Er durchwühlt ein paar Taschen und ruft aus einer Ecke des Raumes: "German Drug Culture, uuuh, ein ganz heißes Eisen!" - Babydaddy, seelenruhig: "CLUB Culture, mein Freund!" - "Oh, äh, achso. Die gibt's natürlich auch.")

Naja, irgendwie hängt das eine ja mit dem anderen zusammen, nicht?

Exakt, ja. In unserer Band sind insbesondere Jake und ich große Fans von Dance Music in allen Facetten. Wir haben in unserer ganzen Karriere über und über Dance gehört, natürlich verstärkt in den letzten Monaten. Aber es gibt doch so viele Dinge, in denen die echte Erfahrung unschlagbar und nicht imitabel ist! Du kannst nicht theoretisch tanzen gehen oder auch nur das Gefühl erzeugen. Während des Schreibprozesses hatten wir neue Perspektiven bitter nötig. Jake, der große Teile der Musik geschrieben hat, beschloss, für ein paar Monate nach Berlin zu ziehen. Er wollte ein bisschen loslassen und einfach nur ausgehen, unter Leuten sein und gleichzeitig doch für sich. Ich hab ihn dort für ein paar Wochen besucht, und wir sind weggegangen wie bekloppt – es war der Wahnsinn, echt. Diese aufregende Zeit wollte ich auf dem Album festhalten - Jake schleppte mich schließlich überall hin. Der Geist des Nachtlebens ist unendlich spannend – Verantwortung abgeben, wachbleiben, das Leben feiern. Dazu muss ich sagen, dass das für mich eher eine Laborsituation war, denn ich bin eigentlich ein großer Freund des langen Schlafs. Ich bin eher gemütlich veranlagt und war daher heilfroh, dass ich Jake als meinen Pfadfinder und Animateur dabei hatte, aber in Berlin muss und kann man sich eben schnell von alten Mustern losreißen.

Erzähl mal, was hast du dir angeguckt?

Ich hab natürlich das Berghain gesehen, unglaubliche Szenen, unglaubliche Abende. Ich hatte vorher schon Kontakt zum Ostgut – früher ein legendärer Technoclub und Vorgänger des Berghain; aber im jetzigen Club war ich bisher nie. Wir hatten dort einen fantastischen Abschluss, weil wir an unserem letzten Berliner Abend da gespielt haben. Das war sogar Neujahr – Neujahr in der Panorama Bar! Dann gab's noch tausend andere kleine Bars und Clubs, bei denen mich vor allem diese Spontanität der architektonischen Zwischennutzung fasziniert hat. Man hat das Gefühl, ein Haus wird abgerissen, man dreht sich einmal um und zack, ist es ein Skaterpark, eine Bar oder eine Stadtgärtnerei. Sehr aufregend! – Abgesehen davon haben wir viele gute Freunde, die da leben und offenbar alle auflegen, designen oder sonst irgendwas Spannendes zu tun haben. Wir haben jedenfalls unsere Erinnerungen und Marken dort gesetzt und haben eine echte Verbindung zu dieser Stadt.

Das mit dem Feiern ist ja schön und gut – aber dann kamt ihr zurück und habt ein fast fertiges Album für nichtig erklärt. Denn ihr hattet ja schon einen ganzen Packen Songs fertig, die ihr dann sofort wieder eingestampft habt, oder?

Stimmt, allerdings ist das etwas, was wir relativ oft tun: Musik schreiben, immer mehr und mehr, und dann den alten Kram schrittweise entsorgen. In diesem Fall spielte auch Elton John eine Rolle – ich fragte ihn, was er von dem neuen Material hält, und gab einen Daumen nach unten. "Das kann's ja wohl nicht sein", meinte er nur. Dieser lapidare Kommentar war zwar nicht ausschlaggebend, aber doch sehr hilfreich. Elton John ist vor allem ein Richtungsgeber - spezialisierten Rat erhält man von ihm eher selten. Aber er findet schnell die richtigen Worte, wenn es um Entscheidungen geht.

Das war also kein besonders ernüchternder Prozess für uns. Wir stellen eben einen sehr hohen Standard an uns. Klingt abgedroschen, ich weiß, aber: Wir müssen doch Alben machen, die wir alle aufrichtig lieben – schließlich hängt man ja auch lang genug mit den Songs rum: Du nimmst sie mit auf Tour, du musst sie promoten und ständig drüber reden, daher mussten wir eben einmal aufräumen und etwas machen, was uns nicht schon nach zwei Wochen Urlaub in Berlin auf die Nerven geht. Wir brauchten eine neue Richtung, die auch eine Evolution für die Band darstellt. Zugegeben, wir haben tierisch lange gebraucht, um diese diesmal zu finden, um uns zufrieden zu stellen. Ich glaube, ab dem Punkt, an dem Stuart Price ins Spiel kam, fügte sich alles zusammen. Er half uns, zu fokussieren.

Wie habt ihr ihn getroffen?

Er hat uns auf unsere allererste Tour mit seiner großartigen Band Zoot Woman mitgenommen, das müsste jetzt sieben Jahre her sein. Und er macht eine Menge Remixes für uns, wir stehen in Kontakt und sind gute Freunde. Außerdem hat er uns schon bei der Produktion für unser letztes Album ausgeholfen. Also, der Name stand schon ziemlich offensichtlich im Raum - vielleicht zu offensichtlich. Dann hat Neil Tennant von den Pet Shop Boys vorgeschlagen, es doch mal komplett mit ihm zu versuchen. Das tat uns gut, wir waren damals ziemlich frustriert und leer. Als wir dann anriefen, hat er sich fast überschlagen vor Freude, das war schon mal eine gute Ausgangsposition.

Du hast von Erfahrungen und Tapetenwechsel gesprochen. Ist das Album abgesehen von eurem Berlin-Ausflug trotzdem wieder in deinen Discoball Studios in New York entstanden?

Nur ein bisschen, wir waren vor allem zum Schreiben da. Das meiste entstand allerdings in London. Es war diesmal ein ziemliches Vor und Zurück, eine beachtliche Hightech-Produktion – mal in London, dann ein paar Songs in vier verschiedenen Studios in New York, und dann hab ich viel über's Internet hin- und hergeschickt, was mir bis dahin immer komisch erschien - auch wenn ich ein Technikfreak bin. Und letztendlich gab's auch Aufnahmen in der Karibik. Stuart kennt dort einen tollen Studiokomplex und bestand darauf, dort mal mit uns hinzufliegen. Und es war wirklich ein fantastischer Ort zum Arbeiten – einfach, weil es einerseits wunderschön ist, anderseits auch nichts zu tun gibt. Wir hatten also richtig lange Tage im Studio, konnten aber trotzdem noch gegen Mitternacht ins Meer hüpfen, bei lauwarmem Wasser und schwarzem Himmel. Ein grandioser Trip, wir waren ungefähr eine Woche da.

Was habt ihr so gehört, als ihr aufgenommen habt?

Alles mögliche, Jake und ich haben vor allem das neue LCD Soundsystem-Album gehört, nein: konsumiert. Ich finde, das ist ein wahnsinnig cooles und sehr interessantes Album mit wie üblich cleveren Ansätzen und Ideen. Ansonsten eben alle Sound, der die Band voranbringen könnte, insbesondere Elektro-Kram. Wir haben viel Nighttime-Dance-Musik dabeigehabt, also dunkles, schweres Zeug und wir haben uns auch lange durch die Vergangenheit gegraben. Außerdem haben wir oft New York Artrock aus den 80ern gehört – Talking Heads, Grace Jones, aber auch KLF und Neunziger-Sachen. Querbeet also einfach alles Elektronische ... also, wenn du die Talking Heads als Elektroband betrachtest ...

In ihrer Art und Weise sind sie das ja schon.

Ja, oder? Sie haben es in sich, definitiv! Ich liebe einfach Bands, die Leute zum Tanzen bringen. Außerdem hören wir beide wie immer viel Popmusik, tanzbares, fluffiges Zeug.

"Das US-Radio weiß nicht, wohin mit uns"

Der Po auf dem Cover gehört ja passenderweise auch einem Tänzer, oder? Ein sehr passendes Bild für ein Club-Album – gäbe es noch Plattenläden, würde man das sofort im Regal erkennen, es ist sehr auffällig und energetisch.

Danke - ja, der Mann auf dem Foto heißt Peter Reed, er war ein Balletttänzer in den 80ern, der an AIDS gestorben ist – genau wie sein Fotograf - das war der berühmte Robert Mapplethorpe. Jake hat eine starke Verbindung zu dem Bild gespürt, und natürlich zu der Welt um dieses Bild herum. Das entwickelte sich zur Idee, dass dieses Album ein Stückchen Tradition fortführt, einer Szene vielleicht sogar neues Leben einhaucht. Es war eine turbulente Zeit, an die wir erinnern möchten: in der die Menschen plötzlich reihenweise an AIDS gestorben sind, in der sie sich noch mit konservativen Gesetzen herumschlagen mussten, Clubs schlossen und trotzdem ein unbändiger Lebenshunger zu spüren war. Die Leute in New York erzählen dir heute noch, dass New York nach den 80ern nie wieder dieselbe Stadt war. Wir wollten mit "Night Work" ein bisschen von der Dekadenz und ders unbekümmerten Hemmungslosigkeit zurückbringen, die diese Dekade damals geprägt hat.

Was denkst du über die New York-Szene oder überhaupt über die Schwulenszene in Amerika heutzutage?

Tja – da würde ich ein schlechter Richter sein, weil ich einfach nicht viel weggehe. Ich treffe mich gern mit Freunden, ich geh ab und zu mal in eine Bar, aber das richtige Clubbing ist einfach nicht so mein Ding. Komischerweise – wenn ich es doch mal mache, dann meistens außerhalb von New York. Ich möchte gar nicht sagen, dass ich es scheiße dort finde, weil ich es ja schließlich nicht versucht hab - aber mein Beziehung zu NY ist eher eine Arbeitsbeziehung. Wir schreiben da Songs, wir hängen im Studio rum, ich gehe ins Fitnessstudio, treffe Freunde – aber im Nachtleben bin ich einfach nicht so präsent, wie man denken würde. Ich hab den Glitter auf Tour, in New York ist eher arbeitsames Alltagsleben angesagt.

Ist es eigentlich immer noch so, dass ihr in England locker die Wembley-Arena füllt, aber in Amerika nicht so richtig weit kommt? Und hat man da manchmal das leicht pieksende Gefühl als gebürtiger Kentucky Boy: Schön und gut, aber ich will den Erfolg irgendwann nach Hause holen?

Och naja, so furchtbar ist das alles nicht mehr. Unsere letzte Show in New York war auch vor knapp 7000 Leuten, also – es ist nicht schlecht da, nur anders. Du musst bedenken, dass wir in Amerika einfach ein riesiges Territorium abzudecken haben. In Europa können wir uns eben immer auf ein Land konzentrieren, und dorthin immer wieder für die ein oder andere Kampagne zurückkommen – mal Frankreich, mal Deutschland, das geht alles recht fix. In Amerika ist es einfach verdammt schwer, überall hinzukommen.
Noch wichtiger: Wir sind keine Band, die so richtig im Radio gespielt wird, und nur das bringt Bands bei uns richtig zum Zünden. Wir haben leider kaum Airplay in den USA.

Nein? Komisch – hier im Radio nämlich schon, zumindest seit "I don't feel like dancing".

Ja, das liegt in Amerika daran, dass alles in sehr rigiden Formaten ausgestrahlt wird. Da gibt’s Sender, die ausschließlich neuen Country spielen, nur Ibiza-Clubzeug, oder gitarrenlastige Westcoastbands und so weiter. Die wissen einfach nicht, was sie mit uns anfangen sollen: Wir sind verwirrend. Wo sollte man einen Song wie "Laura" hintun? Pop? Disco? Contemporary? Und dann wiederum ein Song wie "Take your Mama", der würde im Gegensatz zu "Laura" auf einem Adult Contemporary-Sender laufen und nicht auf einer Pop-Station. Das ist das Problem: Da unsere Musik so inkonsistent ist, da lassen die Herren von der Playlist lieber gleich die Finger davon. Dort verkrüppelt und beschränkt uns das ein wenig, aber dafür haben wir eine echt geile, loyale Fanbasis dort, spielen tolle Shows – und haben auch ein paar Alben verkauft. Eine halbe Million - das sind nicht drei Millionen wie in England, aber hey, ich beklag mich nicht.

Kannst du mir ein paar der Songs auf dem Album erklären?

Klar!

Die erste Single, "Fire With Fire"?

Der Song klingt nicht so wie die anderen und ist ganz besonders wichtig für uns. Er spiegelt genau wieder, wie Jake sich zu der Zeit fühlte, als wir merkten, wie wir als Band mit dem Album weiterkommen. Es ist ja ein sehr selbstbewusstes Statement und ein Song, der vom Siegen handelt. Als Jake den Song geschrieben hat, haben wir, glaube ich, unseren Weg mit dem Album gefunden. Ich finde, den Song kann man sehr stolz und mit breiter Brust vor einer Menge singen – als Statement, dass wir zurück sind, und zwar nicht grundlos. Er ist unsere ganz persönliche Reunion-Feier: Wir gehen selbstbewusst damit um, was wir zurückgebracht haben – nämlich hoffentlich ein starkes Album.

Gibt es noch einen Song, auf den du ganz besonders stolz bist?

Einige, aber "Invisible Light" ist einer davon, vielleicht mein liebster.

Das ist doch der mit dem Spoken-Word-Teil von Gandalf ...

Sir Ian McKellen, oh yeah. Das ist ein Song, an dem wir ewig laboriert haben, mir liegt viel daran. Es lag schon eine Weile rum, und wir haben immer wieder daran gefeilt. Manchmal zerfasert ein Lied dann oder verliert an Momentum, wenn man nicht mehr weiß, ob nicht die vorige Version doch besser war. Hier war es allerdings anders: Der Song ging durch verschiedene Stadien – ein bisschen clubbiger, ein bisschen weniger clubbig. Am Ende war er einfach schön, fertig und richtig, insbesondere, wenn man wusste wie viel Arbeit darin steckt. Als ich ihn gehört habe, kam er mir vor wie ein Stück, das durch viel Feilen und Verfeinern eine richtig wertvolle Handarbeit geworden ist. Es war uns mit diesem Album wichtig, ein Album für Nachtschwärmer zu machen; etwas, das in Clubs und in Bars gespielt werden könnte, ohne zwangsläufig einen Remix zu benötigen. Ich hoffe, nein – ich denke, das ist uns gelungen.

Wie zur Hölle kommt man denn da für einen Gastauftritt auf einen älteren Herrn, der einen Fantasy-Zauberer spielt?

Hm, das war wirklich einfach – ich wünschte, es gäbe eine bessere Geschichte. Aber wir haben uns einfach entschieden, dass wir ihn gerne wegen seiner tiefen Stimme dabeihätten und riefen ihn an. Das war's.
Und wir kannten ihn ein bisschen, weil er schon vorher auf ein paar unserer Shows war.

Also ist er ein Fan?

Tja, äh – offensichtlich . Ich glaube, er ist zumindest ein Fan von Jake (zwinkert vielsagend). Naja, wir haben gelesen, dass er gerade in einem Londoner Theater engaiert ist. Also sind wir hingefahren und haben ihn in einem kleinen Hinterzimmer aufgenommen. Es war unheimlich lustig und er sehr professionell. Sehr cool.

"Glitzer und Schampus, alles ist möglich"

Ich möchte nochmal auf einen eurer früheren Songs zu sprechen kommen: "Return To Oz". Da gibt es Zeilen wie: "There's a wind-up man walking round and round, What once was Emerald City is now a crystal town". Das klingt nun nicht nach ewiger Party, sondern nach deutlicher Kritik und hartem Runterkommen von Crystal Meth – eine Droge, die ja in der Szene recht verbreitet ist.

Hmm, den Song mag ich auch sehr gern.

Hier im Kölner Schwulenviertel hängen die Clubs nämlich immer diese Präventions-Plakate auf, gegen Meth-Konsum und GBL und was weiß ich. Nicht nur einmal hab ich mich mit Freunden darüber lustig gemacht, wie platt und hohl die doch sind. Die Sache in Ehren, aber ich glaube nicht, dass das einschlägt - es ist, als ob du Teenagern sagen würdest,...

... hört auf zu rauchen?! Genau! Dann scheinen die sich kaum von den Kampagnen zu unterschieden, die wir in den USA kennen. Es ist ja so: Pop soll ja eigentlich immer eine Illusion bleiben. Der perfekte Abend, Glitzer und Schampus, Spass und Freunde, alles ist möglich: Um sich diesen hedonistischen Illusionen hinzugeben, wurde doch unter anderem die Disco erfunden - und auch wir auf unseren Konzerten wollen das servieren. Andererseits muss man manchmal die Blase platzen lassen und etwas ernsthaftes loswerden, aber natürlich ohne diesen albernen Dogmatismus. Dieser Song, denke ich, gehört eben in die zweite Kategorie, es ist ein sehr ehrlicher Song. Er beschreibt, was wir um uns herum sehen, wie wir die Szene wahrnehmen, was sie für uns ist und was für Probleme die sogenannte Gay Experience immanent hat. Klar, sowas ist nicht exklusiv für Schwule reserviert, aber seien wir ehrlich: In der Szene sind Drogen ein integraler, großer Teil. Wir alle kennen Leute, die so unheimlich verloren sind, die sich einer Gruppe anschließen, nur um sich wie sie als Außenseiter zu fühlen.

Ich finde, von allen unseren Songs ist "Return To Oz" derjeneige mit der größten Verknüpfung zum aktuellen Album in der Thematik – die völlig ironiefreie Betrachtung der Tragik des Nachtlebens. Logo, wir alle lieben unser Nachtleben, und was passiert, wenn die Sonne untergeht – wir lieben die guten Seiten daran, aber man darf doch nicht verheimlichen, dass es auch eine traurige, enorm tragische Kehrseite daran gibt.

Das Album ist etwas ernster als die anderen ... die richtig albernen Seiten fehlen.

Absolut, ich stimme im Grunde zu... aber ich denke auch, dass es lustiger ist als die anderen, Ist sehr komisch, ein Album zu machen, dass sowohl ernster als auch lustiger ist, aber ich denke trotzdem, dass es beides ist. Es macht Spaß, einfach nur dazu zu tanzen – man muss nicht viel darüber nachdenken, man kann es in einem Rutsch durchhören und muss nicht wissen, dass es ernste Aspekte hat.

Und es wirkt sehr homogen.

Ja, das war das zweite Ziel, das wir mit dem Album hatten. Ziel eins war das Dancealbum, das zweite war, dass man das Ding durchhören kann und es aus einem Guss wirkt. Ich wollte, dass man das Gefühl hat, alle Songs kämen aus derselben Welt. Bei den anderen Alben hatten die Stücke oft so einen Charakter wie jemand, der am Radio spielt – man skippt von Sender zu Sender, von Geschichte zu Geschichte. Manche Songs gehen auch ineinander über. Ein bisschen wie ein DJ-Set.

Was wirklich erstaunlich an eurer Band ist: Es gibt nicht viele Gruppen, die eine so gemischte Fanbasis haben, oder? Zu euch kommen sowohl die hippen Kids als auch 40-jährige Hausfrauen. Und trotzdem scheint sich keiner für den anderen zu schämen. Ist diese sehr gemischte Struktur ein Problem für euch oder freut ihr euch darüber?

Als wir an unserem Biografietext gebastelt haben, noch bevor wir überhaupt einen Plattenvertrag hatten, haben wir gesagt: Wir möchten Musik machen für die hippen Downtown-Kids genauso wie für die Hausfrau mit dem kribbelndem Tanzbein. Es ist schon ziemlich lustig, wie exakt sich diese Beschreibung auf unsere tatsächlichen Fans übertragen hat. Von Anfang an ging es bei der Band um ein Vereinen, um eine einzige Welt. Wir haben uns entschlossen, eine verbrüdernde Kraft zu sein, wir sind der Club, der jeden reinlässt. Das ist also durchaus Absicht. Es geht schon um eine Vermittlung unserer Welt, aber die ist eben offen. Wir haben ja auch Freunde, die Hausfrauen sind oder junge Mädchen, daher trennen wir das nicht, Wir mögen Leute und wir mögen es, ihnen was vorzusingen. Das einzige Problem wäre vielleicht, bei einem Konzert die Leute nicht richtig schocken zu können, also nicht tun zu können, was man tun möchte.
Auch deswegen ist unser neues Album so wichtig für uns, weil wir versuchen, unser Ding durchzuziehen. Am Ende des Tages machen wir Musik für alle – das könnte vielleicht eine kleine Herausforderung für manche werden, aber nicht zuletzt auch für uns.

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