laut.de-Kritik
An den Haaren herbeigezogene gute Laune.
Review von David HilzendegenDrei unterschiedliche Bedeutungen kann "Bom Tempo" je nach Satzkonstellation und Kontext annehmen: "rechtzeitig" ist die eine, "ziemlich lange" und "eine Weile dauern" die anderen. Alle drei Möglichkeiten lassen sich direkt auf Sergio Mendes neusten Sommererguss beziehen - und passen sehr viel besser als die direkte Übersetzung "gutes Tempo".
Denn es dauert tatsächlich eine ganz gehörig lange Weile, bis endlich der erste einigermaßen ertragbare Song aus den Speakern hüpft. Erst "Caminhos Cruzados", durchbricht die vorhergehenden Ibiza-Gute-Laune-Liedchen. Durch und durch unwürdig ist es, was eine der größten Lichtgestalten des Bossa Novas dem Hörer bis dato in einer ziemlich langen, um nicht zu sagen extrem langen halben Stunde zumutet.
Seit geraumer Zeit ist Sergio Mendes nun schon bemüht, den Sound Brasiliens in einem frischen, vermeintlich modernen Gewandt in die Gegenwart zu führen. 2006 entstand daraus in enger Kollaboration mit den Black Eyed Peas "Timeless", bevor Will.I.Am zwei Jahre später schließlich "Encanto" produzierte. Diese Zeiten sind vorbei, Mendes besinnt sich auf seine eigenen Produktionskünste und trennt sich von den allgegenwärtigen Erbsen.
So manchem musikalischen Freund treibt es wohl die helle Freude ins Gesicht beim Gedanken daran, dass Fergie-Features endlich ausgestorben sind. Alleine dadurch wird "Bom Tempo" leider nicht besser. "Gute Laune, gutes Wetter, gute Tempi" sind die Ziele der Platte. Egal, wie schön das Wetter auch ist, diese überfrachteten Four On The Floor-Beats ersticken jeden Anflug von guter Laune bereits im Keim.
Dabei ist der Ansatz der Platte durchaus interessant, wenn auch nicht neu. Wie schon seine beiden Vorgänger umfasst "Bom Tempo" verschiedene Klassiker des Genres und referenziert immer wieder auf Songwriter wie Gilberto Gil oder Jorge Benjor.
Allerdings gelingt es wohl nur alten Mendesfans, beispielsweise "Maracatu Atomico" oder "Pais Tropical", die aus den Federn der beiden Genannten stammen, tatsächlich als Hommage anzuerkennen. Alle anderen sollen auf der Tanzfläche der Strandparty wohl irgendetwas geboten bekommen, was ihnen im Ansatz bekannt vorkommt. Dass Mendes dem Opener "Emorio" Samples seiner eigenen Klassiker "Mas que nada" und "The Frog" untermischt, passt dabei bestens ins Bild.
Mit "Caminhos Cruzados", einem ruhigen, harmlosen Bossa Nova-Stückchen, und dem nicht eben aufregenderem "Caxanga" schafft "Bom Tempo" wenigstens einen einigermaßen versöhnlichen Schlusspunkt abseits von an den Haaren herbeigezogener guter Laune. 70 Jahre alt wird Mendes nächstes Jahr. Bleibt zu hoffen, dass er zum Ende der Karriere seinem Modernewahn absagt und sich wieder auf seine klassischen Wurzeln besinnt. Es käme spät, aber gerade noch rechtzeitig.
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