laut.de-Kritik
In Zeiten wie diesen passt das wie die Faust aufs Auge.
Review von Kai ButterweckIn Zeiten wie diesen, in denen Krieg, Terror und Diskriminierung allgegenwärtig sind, passt ein neues Silly-Album natürlich wie die berühmte Faust aufs Auge. Einst von der geballten Lyrik einer Tamara Danz befeuert, rocken die Altherren Barton, Hassbecker und Reznicek seit nunmehr zehn Jahren mit der Schauspielerin Anna Loos am Mikrofon. Und die Goldene Kamera-Preisträgerin und Ehefrau von Jan Josef Liefers hat während dieser Zeit des Öfteren bewiesen, dass sie das Zeug dazu hat, eine ostalgische Rockinstituition in die Neuzeit zu hieven.
Mit "Wutfänger" präsentieren Silly nun das dritte Studiowerk der Loos-Ära. Mit brandenburgischem Charme regt die Frontfrau zum Nachdenken an. Das Leben finde schließlich "Zwischen Den Zeilen" statt, so Frau Loos. Begleitet wird sie dabei von knackigem Rock-Pop, der sowohl im Fernsehgarten als auch im Hinterhofclub funktioniert.
Auch in der Folge garnieren Silly ihren inhaltlichen "Blick auf die Welt" mit musikalischen Brückenschlägen. Wahlweise ruhig und melancholisch oder trotzig rockend teilen Anna Loos und Co kräftig aus. Es geht Neidern und Klugschwätzern genauso an den Kragen wie Kriegstreibern und Perfektionisten.
Zeilen wie "Wir sind frei. Dreh dich um und schau nach vorn! Gib mir deine Hand, schlag ein! Wir sind frei. Da ist nichts mehr, was uns hält, in dieser kleinkarierten Welt" ("Frei"), "Sie spucken ihr Gift und quatschen dumm, die Neider. Sie lieben das Leben der anderen. Träumen schlecht von dem, was sie nicht haben" ("Die Anderen") und "Jeder Fehler an uns zeigt, so schön ist Einzigartigkeit" ("Mona Lisa") sind klar und unmissverständlich. Anna Loos verzichtet auf kryptische Einwürfe und rätselhaften Pathos. Die Sängerin bringt die Dinge auf den Punkt. So wie einst Tamara Danz.
Mit der Wurlitzer-Orgel, einem alten Rhodes-Piano, akustischen und angezerrten Klampfen und einem Kinderchor (!) im Gepäck ziehen Silly ihre Kreise im Hier und Jetzt. Das erschüttert zwar weder die deutschsprachige Pop- noch die Rock-Branche in ihren Grundfesten. Aber es bleibt im Ohr und bringt den Hörer dazu, wieder in sich zu gehen. Was ist wichtig im Leben? Wofür lohnt es sich zu kämpfen? Und in welchen Gefilden sollte man der Gesellschaft mit dem erhobenen Stinkefinger begegnen? Silly liefern Antworten. Wieder einmal. Und dafür gebührt ihnen Dank.
8 Kommentare mit 10 Antworten
Ungehörte 1/5 sind hier alternativlos.
Auch gehört wird es nicht besser. Ganz klar 1/5. Und gleich mal wieder "Liebeswalzer" (aka "Zwischen unbefahrenen Gleisen") angehört. Silly waren mal wirklich gut und relevant. OK, zugegeben, kann man vielleicht nur nachvollziehen wen man damals dabei war.
@Johnn lenon:
Nein, kann man auch nachvollziehen, wenn man damals nicht mit dabei war.
Gruß
Skywise
Treffer. Versenkt!
Der galt Skywise!
Danke Skywise. Aber ich hätte schon Verständnis wenn ein natural born Wessie mit dieser Mugge nicht so viel anfangen kann. So manches, vor allem die Texte, erklärt sich halt nur aus Zeit und Ort.
@Johnn lenon:
Richtig. Da arbeitet man sich halt mal rein, das geht schon. Wo es mir beim besten Willen nicht gelungen ist, sind die Puhdys. Den Status, den die genießen, muß ich mir bei Gelegenheit mal von einem Ossi erklären lassen.
Gruß
Skywise
Die Phudys kann ich dir auch nicht erklären. Mochte ich damals nicht, heute sind sie mir herzlich egal. Haben (aus meiner Sicht) zwei starke Songs, "Geh zu ihr" und "Wenn ein Mensch lebt" und da stammen die Texte nicht ihnen sondern von Ulrich Plenzdorf.
Puhdys sind halt die Stadionrockversion des Ostens. Haben halt ein Lied zum mitsingen und vielleicht mal eins zum Nachdenken. Jetzt nichts, was furchtbar relevant gewesen wäre, aber dafür sehr erfolgreich. Silly, Lakomy, Stern Combo Meissen, Nina Hagen (die ja in den Westen auswanderte) usw. waren qualitativ eine andere musikalische Hausnummer.
@tonitasten:
Na gut, warum sollte es auch in der DDR anders laufen als sonstwo ...
Puhdys - haben nicht viel drauf, waren anscheinend nur mal zur richtigen Zeit am richtigen Ort und haben damit Publikum genug gezogen, um bis heute genug Platten und Tickets zu verkaufen, richtig?
Sozusagen die Nickelback des Ostens
Danke schön, ich leg' jetzt 'ne Schippe Karussell in den CD-Player.
Gruß
Skywise
Eher eingängig und systemkonform genug um vom Staat durchgewunken zu werden und den normalen, durchschnittlichen Hörer zu erreichen. Bei Klaus Renft war das wieder eine andere Sache und scharf unter staatlicher Beobachtung. Das Aufnahmestudio und Label war von oben vorgegeben und die Texte mussten in vielen Fällen von staatlicher Seite aus auf Systemkonformität überprüft werden. Erklärt vielleicht auch, warum vor allem in Polen und Jugoslawien man sowas wie einer experimentellen Musikszene sprechen konnte, während in der DDR Jugendkulturen zwar im Großen und Ganzen existierten, aber man von sowas wie einer musikalischen Vielfalt im Gegensatz zu manch anderen Ländern in Osteuropa kaum sprechen konnte.
Musste jetzt beim Bandnamen spontan an ein Nebenprojekt von Silla denken (Pop/Rock-Cashgrab-Gruppe mit seiner Freundin oder so)
da bin ich ganz beim Anwalt... Behauptete Individualität von der Stange. Traurige Platte.
Habe "Wurstfänger" gelesen und wurde enttäuscht. 1/5.
"Meine Freundin sie hat Sillis, Sillis, Sillis / Meine Freundin sie hat Sillis, Sillis, Sillis / Meine Freundin sie hat Sillis, Sillis, Sillis / Meine Freundin sie hat Sillis, Extensions und Brillis."