laut.de-Kritik

Vintage-Rub-A-Dub auf Deutsch.

Review von

Sista Argie ist eine Newcomerin, in ihrer Band bedient aber einer der dienstältesten Roots- und Dub-Musiker Deutschlands gleich mehrere Instrumente: Hene Marheineke. "Chapter #2 - Under Control" folgt auf "Chapter #1 - Revolution" und entstand zwischen Jever und Hildesheim. In Hildesheim steht ein altes Haus mit nie veröffentlichten Riddim-Tonspuren auf verstaubten Magnetbändern. Diese stammen noch aus Pionierzeiten mit einer anderen Band, etliche dieser Tonspuren digitalisierte Hene der Sista auf einem USB-Stick. Und diese Riddims fingen etwas ein, was allmählich dank Lila Iké wieder in Mode kommt: den bassschweren '80er-Rub-a-Dub-Sound. Sly & Robbie perfektionierten ihn für Artists wie Gregory Isaacs oder "Hotsteppa" Ini Kamoze.

Besonders in diesen Tagen, da alt gediente Vertreter dieser Musik ihre Protagonisten dahin sterben sehen (Mighty Diamonds, Israel Vibration, Misty In Roots, Aswad - die Liste ist lang), trifft Argies zweite EP ins Mark. Denn sie zaubert ein Wohlfühl-Vintage-Feeling, als könne man die Zeit zurückdrehen: in die Blütephase der Hammond-Orgel. In eine Ära, als Dub ein Ohren kitzelndes Gestaltungselement war und keine kühle Unterform von Techno. In eine Phase, als sich mindestens über das Schwester-Genre Lovers Rock so viele Frauen an der Rasta-Front tummelten, dass man heute nur neidisch zurückschauen und die rückschrittliche Gender-Dysbalance anprangern kann. Ihren Feminismus-Tune hat Argie, die auch viel beschäftigte Mum ist, schon mal mit dem Waschsalon-Video von "Cherry" raus gefeuert: "Ladies flexin' it to di max."

Die norddeutsche Songwriterin neigt durchaus dem Patois oder mindestens krass vernuscheltem Englisch zu (z.B. in "Don Cha"). Der eigentliche Kniff etlicher ihrer Songs besteht aber darin, dass sie diesen speziellen Rub-a-Dub-Style mit fetter Basstrommel und Offbeat auf deutsche Texte presst, und dies oft ganz plötzlich vom Refrain zur nächsten Strophe - und wieder zurück. Dazu performt die Sista mit einem in Mark und Beine fahrendem Vibrato, das man oft mit Horace Andy verbindet, das Kamoze drauf hatte, oder - aktuell - Lila Iké praktiziert.

Zum Zittern gesellt sich als zweite Technik das Hinüberfließen von einem Wort ins andere. Das hört sich wahlweise vage bekifft an (worum es in "Cornern" auch geht), klingt im Deutschen extrem ungewöhnlich und hat andererseits auch etwas Psychedelisches. "Ja, du liebst es, wenn die Dinge sich nur um dich dreh'n", solche Zeilen ("Misses Talker") verraten, aus welcher Stimmung heraus die Musik entsteht - beim Frust über Mitmenschen und deren Selbstdarstellung.

Das einzige, das man kritisieren könnte: Die Nostalgie wird so pur gelebt, dass nichts wirklich Neues drin steckt, außer dass manche Elemente neu kombiniert werden. "Bestenfalls dezente Plug-Ins" kommen auf technischem Level zum Einsatz, meint die Künstlerin. Zu dieser Sorte Musik mit Referenz an die Eighties gehört - Ehrensache! - die Dub-Version. Der "Rushing Dub" ist kein reiner pro forma-Track, sondern spannend gemacht, als Dialog zwischen Drums und Keyboards-Effekten, in den sich wiederum Stimm-Schnippsel einschalten.

"Do It Again" gerät noch altmodischer und würdigt das zu Unrecht oft vergessene Subgenre Rocksteady, eine Vorstufe des Reggae in den Sixties, und wählt eine halb-schnelle Tempostufe zwischen dem gemächlichen Steady-Style und Ska. Bläser stimmen sich sensibel auf die wichtigeren Keyboards ein, statt diese tot zu tröten. Weiterer Pluspunkte: Die an sich schon hohe instrumentale Versiertheit, die Spitzenqualität der Aufnahmen (dank Maschinenbauingenieur und Profi-Tontechniker in der Band) und die Earcatch-Stimme Sista Argies. Ein schönes Gesamtpaket.

Trackliste

  1. 1. Don Cha
  2. 2. Cornern
  3. 3. Do It Again
  4. 4. Misses Talker
  5. 5. Rush
  6. 6. Rushing Dub

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