15. Februar 2020

"Es ist absolut okay, nicht der Harte zu sein"

Interview geführt von

Northamptons Child spricht über tragische Ereignisse in seinem Leben und wie man diese in etwas Gutes umwandelt. Jürgen Klopp und seinen positiven Vibes kann der Liverpool-Fan dabei durchaus etwas abgewinnen.

"Du hattest wirklich so viele verschiedene Fragen aus verschiedenen Richtungen. Aber es hat mich auch selber wieder zum Nachdenken gebracht. Das war wirklich angenehm und ich danke dir wirklich sehr für die Zeit, die du mir ja geschenkt hast." Was für ein höflicher und netter Kerl dieser Tyron Frampton ist! Anders als sein Image vermuten lässt, sitzt da kein furchteinflößender und lauter Punk am anderen Ende der Zoom-Leitung, sondern ein komplett normaler Mitzwanziger in lässigen Sport-Klamotten.

Er ist genau an diesem November-Tag, am Vorabend der US-Wahl, komplett mit sich im Reinen. In einem nicht immer gut zu verstehenden und breiten Northampton-Dialekt äußerst sich Slowthai schon fast mit einer buddhistischen Ausgeglichenheit über die großen Themen seines Lebens und dem der Menschen da draußen. Nur beim Thema Fußball kommt er doch noch aus der Reserve und outet sich als Liverpool-Fan. Er sei ein riesiger Fan von "Genius" Jürgen Klopp und von dessen positiver Energie beeindruckt.

Ausgerechnet in dem Moment bricht die Anstandsdame vom Label das nun in Fahrt kommende Interview ab und verweist mit Nachdruck auf die nachfolgenden Interview-Slots. Doch auch so bleibt trotz der kurzen Zeit der Eindruck eines extrem aufgeräumten Menschen.

Hey Ty. Das letzte Mal (bei einer Pre-Listening-Session über Zoom, Anmerk. des Autors) saß genau an deinem Platz dein Cousin, der auch gleichzeitig dein Manager ist. Familie scheint dir ziemlich wichtig zu sein?

Ja, auf jeden Fall. Klar, da gibt es immer wieder Auf und Abs mit ihnen, und trotzdem ist es doch immer wieder der Platz, an den du zurückkehren kannst und an dem du dich geborgen fühlst.

Dein leider verstorbener Bruder, dem du "Feel Away" widmest, war dir auch sehr wichtig. Konntest du dadurch auch für dich mit dem Thema abschließen?

Ich würde das nicht so wirklich als Abschluss betrachten. Die Erinnerungen an meinem Bruder sind ja immer noch in mir, und ich bin einfach froh, ihn gehabt zu haben. Er ist leider nicht mehr hier, aber in diesem Song existiert er nun für die Ewigkeit. Ich habe da etwas sehr Trauriges, was mich viel beschäftigt, letztendlich in etwas Gutes umgewandelt. Seine Präsenz spüre ich immer mich herum, vor allem wenn ich Musik aufnehme und das Gefühl habe, dass er mir dabei auf die Finger schaut.

Mit solchen Themen ist dein neues Album "Tyron" ziemlich persönlich geworden und du gewährst einen intimen Einblick in dein Seelenleben.

Ja stimmt. Auf dem ersten Album habe ich eher Dinge, die um mich herum passieren, beschrieben und über Schicksale in meinem Umfeld geschrieben. "Tyron" ist mehr introspektiv und dreht sich sehr um meine mentale Gesundheit. Ich habe mir da diesmal weniger Gedanken um den Kram gemacht, der um mich herum passiert, als über mich. Warum ich bestimmte Dinge tue und wie sie mich zu dem Typen machen, der ich jetzt bin.

Hast du nicht Angst, dass du dich mit deinem sehr persönlichen Album angreifbarer oder sogar verletzlicher machst?

Hm nee, ich würde nicht "verletzlich" sagen. Aber ja stimmt. Es ist natürlich erstmal schon etwas beängstigend, den Leuten solch eine Seite zu zeigen, aber letztendlich ist es mir dann viel wichtiger, den Leuten als gutes Beispiel zu dienen. Wie ich mit all dem Druck umgehe und meinen Scheiß zusammen bekomme und ja: Es auch absolut okay, nicht der Harte zu sein.

"Du kannst nicht jeden verdammten Menschen auf diesem Planeten glücklich machen."

Gerade nach dieser Brit Award-Sache, wo du betrunken eine Moderatorin beleidigt hast, standest du nun plötzlich sehr im Fokus.

Ja, aber gerade solche schief gelaufenen Sachen machen dich doch erst erwachsen. Das war auf jeden Fall unangenehm für mich, aber ich lerne ja aus diesen Fehlern. Was soll ich machen, Mann? Es gibt immer Menschen, die dich scheiße finden, und du kannst nicht jeden verdammten Menschen auf diesem Planeten glücklich machen. Jeder von uns baut doch Scheiße, und wenn du daraus lernst, war es nicht umsonst und dann doch wieder eine gute Sache.

Wahrscheinlich nicht das schlechteste Mindset derzeit. Wir haben gerade wieder den nächsten Lockdown. Eine wirklich anstrengende Zeit ...

Ja, hier geht es auch wieder los. Es ist auf jeden Fall eine harte Zeit für die Menschen. Aber egal was nach diesem Mist kommt, es kann definitiv nur besser werden.

Viele Musiker stehen nun wirklich vor einem gewaltigen Problem. Gerade hier gibt es derzeit dringende Appelle an die Regierung, dass sie sich einfach zu wenig um den Kulturbetrieb kümmert und stattdessen Lobbyarbeit betreibt.

Ja, ich stimme da absolut zu und es ist hier genau das Gleiche. Wir steuern von einer Wirtschaftskrise in die Nächste. Auf eine Rezession kommt dann eine Depression, und die Billionen-Industrie bleibt trotzdem stabil am Leben. Es ist einfach für die Regierung und ihre Interessen zu wichtig, als das sie sich daran wagen würden. Und gleichzeitig ist es so extrem hart, und das nicht für den Künstler speziell. Da hängen ja noch so viele Sachen mit dran. Bühnenarbeiter, die Festival-Mitarbeiter. Die sind doch alle genau so wichtig und wie Zahnräder in einem riesigen Uhrwerk. Ohne sie oder uns würde das Ganze gar nicht mehr laufen. Aber eigentlich geht es nicht nur um die Kulturbranche an sich. Wir oder zumindest die meisten von uns stecken alle in der gleichen Scheiße, umso wichtiger, dass wir nun wirklich solidarisch bleiben und uns gegenseitig aus der Scheiße helfen.

Du sprachst gerade kurz die Regierung an. Du hast ja mit Boris Johnson wirklich deine Probleme, gerade auf dem ersten Album.

Es geht gar nicht so speziell um Boris Johnson. Aber klar, natürlich auch und verstehe mich nicht falsch. Boris ist keiner von den Guten oder verbreitet positive Vibes, aber ich habe eher ein Problem mit der Idee von so viel Macht an sich. Wenn du da oben stehst, kümmert es dich nicht wirklich noch, was in dem Leben anderer passiert. Machst du das noch wirklich für die Menschen oder ist es ein weiterer Karriereschritt, mit dem du angeben kannst? Ok, er hat mit dem Job als Prime Minister seinen guten bezahlten Job aufgegeben und verdient nun etwas weniger. Aber hat er seit seinem Amtsantritt irgendwas verbessert, Dinge zum Guten verändert? Nein! Aber es ist auch egal, ob nun Boris oder jemand anderes an der Spitze steht. Es bleibt alles gleich, auch wenn man natürlich trotzdem immer wieder auf den großen tollen Politiker hofft, der mal wirklich für Menschen und nicht zuerst für sich arbeitet.

"Keiner riecht so gut wie A$ap Rocky"

Was ich ja spannend finde, ist der Einfluss von amerikanischer Musik auf dein neues Album ...

So amerikanisch finde ich das gar nicht. Es sind eher so Einflüsse von überall mit drauf, nicht wirklich speziell aus Amerika. Es gibt ja auch so Sachen wie House-Musik aus Detroit, die dann zu uns nach England kam und dann wieder zurück nach Amerika. Ich habe mich einfach von dem Sound, der mich zu dem Zeitpunkt umgeben hat, beeinflussen lassen, und dann damit im Studio rumgespielt. Gerade die erste Hälfte zerstört ja alles. Mura Masa ist sofort drauf abgegangen und meinte, wenn ich den Sound auf einem Festival bringe, drehen sich die Leute auf den anderen Bühnen direkt um und denken "Moment mal! Das ist ja krass!". Gerade die erste Hälfte soll so wirklich ein Schlag in die Fresse sein und so ignorant und dreckig wie möglich klingen. Aber noch mal wegen amerikanisch: Wenn du es so nennst, habe ich damit auch keine Probleme und hey, unterschiedliche Auffassungen und Meinungen sind doch letztendlich das Ding, was diesen Planeten und die Dinge am Laufen hält.

Du sagst ja selber "Schlag in die Fresse". Hast du nicht ein wenig Angst, dass du die Leute zu sehr vor den Kopf stößt?

(lacht) Nee Mann, ich habe vor gar nichts Angst.

Etwas Angst macht mir der Ausgang der heutigen US-Wahl. Redest du eigentlich mit deinen neuen Kumpels wie Denzel Curry und A$ap Rocky darüber?

Haha, es ist schon schwer genug, die beiden am Phone zu erwischen. Die haben immer extrem wenig Zeit und ich ehrlich gesagt auch. Ich bin auch extrem verstört, was da drüben abgeht. Ich hoffe einfach, dass dort wieder alles normal verläuft und wir uns wieder unter normalen Umständen treffen können. Einfach ohne jeglichen Politikscheiß oder nervige Sachen eine gute Zeit erleben.

Die hattest du ja anscheinend auch schon bei A$ap Rocky. Du hast die Welt in der Pre-Listening-Session wissen lassen, dass er verdammt gut riecht.

Waaaaaaas??? (lacht laut) Ich erinnere mich gar nicht mehr an diese Aussage. Oh Mann! Aber ja! Er riecht wirklich verdammt gut, ich würde sogar sagen: Absolut keiner riecht so gut wie er!

Sehr schön! Ist er eigentlich so etwas wie der beste Kumpel oder vielleicht sogar ein Bruder-Ersatz für dich geworden?

Beides! Er ist aber auf jeden Fall ein Vorbild für mich, wie er sich selber in diesem Biz treu bleibt, und wenn er mir Ratschläge gibt, höre ich ihm einfach zu, weil er so viel mehr Erfahrung hat. Er hat schon so viele Dinge erlebt und hilft mir wie ein Mentor durch dieses harte Biz durch. Und was Bruder angeht: Ja, irgendwie ist es das schon. Ich kann ihm absolut vertrauen und über persönliche Dinge mit ihm reden. Das ist dann auch wie Familie für mich, wenn man so eine starke Verbindung zu jemandem hat, der wie ein Familienmitglied auf dich aufpasst und für dich da ist.

Fühlst du dich nun freier? Nach all dem Scheiß der hinter dir liegt und mit dessen Aufarbeitung auf deinem Album?

Hey, es geht tatsächlich nur darum, dass man glücklich ist und ich fühle mich super dabei, wenn ich geliebte Menschen um mich herum glücklich mache oder sehe. Aber scheiße ja, anscheinend muss man auch erstmal durch einen Haufen Mist, um überhaupt an diesen Punkt zu gelangen. Am Ende des Tages sind wir alle verletzlich, und es passieren jeden Tag hunderte negative Sachen, die dich extrem runter ziehen. Aber wenn du das überwindest und konstruktiv angehst, kommen wieder gute Dinge. Und ja ... dann erreichst du wirklich so eine Art Siegesgefühl und auch Freiheit.

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