laut.de-Kritik

Ob R'n'B, Trance oder Folklore - diese Platte macht süchtig.

Review von

Henriette Motzfeldt und Catharina Stoltenberg alias Smerz veröffentlichten mit "Okey" und "Have Fun" 2016 und 2018 zwei vielbeachtete EPs, die noch recht zugängliche Tracks zu bieten hatten. Die beiden Norwegerinnen haben sich in Kopenhagen an der Uni kennengelernt und für die Musik ihr Studium an den Nagel gehängt. An ihrem Debüt "Believer" arbeiteten sie ganze drei Jahre - und widmen sich nun deutlich kunstvolleren Sounds.

Die Platte entführt in eine Lars von Trier-inspirierte Klangwelt aus zugleich experimentellen wie sinnlichen R'n'B-Klängen und verschiedenen 90er-Jahre-Einflüssen, die auch Oper, Kammermusik und norwegische Folklore mit einschließt. Zudem lassen Henriette und Catharina ihre Chor- und Tanzerfahrungen als Jugendliche sowie Eindrücke aus der unberührten Natur Norwegens mit einfließen. So bedienen sie sich im Video zu den Tracks "I Don't Talk About That Much" und "Hva Hvis" beim Hallingdans, einem jahrhundertealten Volkstanz aus ihrer Heimat.

Dabei bildet der Computer ihr Hauptinstrument. Mit dem Ansatz eines klassischen Musikers komponieren sie ihre Melodien am Midi-Keyboard und nutzen die plastischen Klänge der Software, um aus natürlichen Instrumenten wie Streichern oder Harfen einen völlig neuen Sound zu kreieren.

Zudem erkennt man oftmals anhand der Songtitel, was man geboten bekommt. So besteht der Opener "Gitarriff" aus einem gleichbleibenden Gitarrenriff, umhüllt von glitzernden Keyboard-Sounds. In "Max" dreht das Duo den Verzerrer des Öfteren auf Anschlag, so dass der Song zwischen dahingesäuselten R'n'B-Vocals auf folkigen Instrumenten und bedrohlichen Großstadtbeats hin- und herpendelt.

Als Herzstück des Albums kristallisiert sich dann das Titelstück heraus. Es durchzieht ein düsterer Beat, der an Massive Attacks "Inertia Creeps" erinnert, während elektronische Störgeräusche schroffe Kontraste schaffen. Zwischendrin gesellen sich Björk'sche Streicher und unheilvolle Ambient-Keyboards hinzu. Je weiter der Track voranschreitet, umso mehr verdichten sich die verschiedenen Klangkomponenten zu einem suchterregenden, dramatischen Ganzen.

Textlich geht es um das Gefühl, sich einer neuen Beziehungswelt zu verschließen, da man sich nicht traut, den ersten Schritt zu machen. Dabei ziehen sich Gedankengänge, die Entscheidungen aufschieben, durch den ganzen Track. Immer wieder begegnet man dem Wort 'Vielleicht'. Vielleicht ist alles gerade gut so, wie es ist? Vielleicht ergibt sich alles irgendwann von selbst? Demgegenüber brechen Gefühle von Sehnsucht und Schmerz auf, etwa wenn es heißt: "Is this goodbye? You're not here to save me". Am Ende bleiben Einsamkeit und unbeantwortete Fragen: "Is this goodbye? You're not here to tell me who I am and where I've been".

Gesanglich ist dieser Zwiespalt grandios umgesetzt, wenn sich die Stimmen der beiden Sängerinnen immer wieder zärtlich annähern, nur um sich dann doch wieder kurzzeitig voneinander zu entfernen. Auch in einigen anderen Songs stellt dieses gesangliche Wechselspiel aus Annäherung und Entfernung ein Hochgenuss dar. In "Rain" überführt das Duo die Stimmung, die man bekommt, wenn man Sex haben möchte, in norwegische Gesänge, die sich oftmals zu einem dichten, intimen Geflecht verweben, das sich anschließend wieder löst und so eine gewisse Distanz zum Hörer wahrt. Dazu vernimmt man einen verschleppten Trap-Beat und melancholische Streicher.

Auf Widersprüche stößt man lyrisch im weiteren Verlauf regelmäßig. So geht es um den Kontrast zwischen Selbstbild und Fremdbild, das andere von einem haben. Etwa wenn man Probleme mit jemandem bespricht, mit dem man zuvor Intimitäten ausgetauscht hat, dem Zwiespalt aus emotionaler Stabilität und Selbstzweifel. Musikalisch präsentieren sich die beiden Norwegerinnen von ihrer ausgefallenen, nahezu überdrehten Seite. So verknüpfen sie in "Flashing" eine klassische R'n'B-Struktur mit Alice DJ-Gedächtnistunes und in "I Don't Talk About That Much" schmeißen sie eine ausgelassene Trance-Sause, nur um sich im folgenden Abschlusstrack "Hva Hvis" mit erdverbundener Folklore auf das Traditionelle zu besinnen.

Weiterhin finden sich einige klassische Intermezzi, die noch mehr Feingliedrigkeit ins Klangbild bringen. Besonders schön fällt "Sonette" aus. Der Track vermittelt mit sonettenhaften Tönen, einlullenden R'n'B-Gesängen und Final Fantasy-artigen Videospielsounds eine mondscheinartige Atmosphäre. Darüber hinaus geizt die Platte nicht mit interessanten instrumentalen Details, etwa wenn sich in "Glassbord" inmitten futuristischer Bassklänge einsame, traurige Violinentöne herausschälen.

Die Sounds dieses Werks entfalten ihre einnehmende Wirkung am besten späten abends und in der Nacht. "Believer" lädt zu einer bizarren Entdeckungsreise ein, auf der die Grenzen zwischen Tradition und Großstadtleben, Traum und Wirklichkeit verschwimmen. Derzeit atmet kaum eine Platte so sehr das Flair der späten 90er-Jahre und klingt gleichzeitig so innovativ und vorwärtsgewandt wie dieses Debüt.

Trackliste

  1. 1. Gitarriff
  2. 2. Max
  3. 3. Believer
  4. 4. Versace Strings
  5. 5. Rain
  6. 6. 4 Temaer
  7. 7. Hester
  8. 8. Flashing
  9. 9. The Favourite
  10. 10. Rap Interlude
  11. 11. Sonette
  12. 12. Glassbord
  13. 13. Grand Piano
  14. 14. Missy
  15. 15. I Don't Talk About That Much
  16. 16. Hva Hvis

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