laut.de-Kritik

Die Psychedelic-Metal-Gringos am Rande der Selbstüberschätzung.

Review von

Quo vadis, Sólstafir? Oder besser: Hvar ert þú að fara? Denn kritische Nachfragen klingen – wie überhaupt alles – einfach schöner, wenn man sie auf Isländisch formuliert. Nicht unähnlich dem letztjährigen Zusammentreffens der Insulaner mit der französischen Nationalmannschaft müssen aber auch Sólstafir dieser Tage aufpassen, dass sie sich nicht übernehmen – und am Ende gar dem eigenen Hype nicht mehr gerecht werden.

Setzte "Svartir Sandar" dem ewigen Geheimtipp-Dasein in der Metalszene 2011 ein jähes Ende, glich der 2014er Nachfolger "Ótta" wohl dem vielzitierten "kreativen Befreiungsschlag". Oder wie auch immer Promotexte mutig unkonventionelle, aber alles in allem wahrlich unterdurchschnittliche Alben zu umschreiben versuchen.

Entsprechend ungezwungen ging es auch nach der hässlichen Scheidung von Drummer und Bandgründer Guðmundur Óli Pálmason weiter: Eine Mini-Orchester-Tour mit Streichquartett und Piano sowie Soundtrack-Auftritte zum Vikinger-Kultstreifen "Hrafninn Flýgur" verschoben die Balance abermals in die ruhigere Hälfte des Dynamikspektrums.

Schon live wurde deutlich, dass Fan-Liebling Gummi den klassischen Sólstafir-Sound mit seinem allenfalls passablen Drummingqualitäten durchaus mitgeprägt hat – wenngleich nicht unbedingt in unverwechselbarer Ringo-Manier. Ersatzmann Hallgrímur Jón Hallgrímsson bleibt folglich keine andere Wahl, als sich dem bescheidenen Stil seines Vorgängers anzupassen – in Kauf nehmend, dass seine unschlampige Präzision zugleich auch ein höheres Maß an Monotonie mit sich bringt.

Entsprechend Böses ließ der Vorabtrack "Ísafold" erahnen. Plumpe Stampfer-Rhythmen, unspektakuläre Twin-Guitar-Momente wie frisch aus dem Proberaum der zweitklassigen Maiden-Coverband von nebenan. Dabei scheint das Jammertal zunächst in weiter Ferne: "Silfur-Refur" kommt mit traditionell schnarrend-halligem Gitarrenintro daher und lässt den dreckigeren, schleppenden Rockmomenten vergleichsweise freien Lauf. Eine Seltenheit auf "Berdreyminn", regiert doch sonst ach so oft die ewige Post-Punkerei.

"Ísafold", "Nárós", "Ambátt" – wie immer zieht eine ganze Stange von Songs ihre Kraft aus simplen Vier-Akkord-Wiederholungen. Per se nichts Verbotenes, denkt man zurück an den Pop-Favorite "Fjara" oder an "Goddess Of The Ages", dem ebenjene Repetition zu emotionalen Vulkanausbrüchen auf Sigur Rós-Niveau verhalf. Die auf simplen Kompositionen basierende atmosphärische Extravaganz, die Sólstafir zu "Köld"-Zeiten noch auf über 13 Minuten zu strecken wussten, strapaziert hier gähnbedingt aber schon nach durchschnittlich sieben Minuten die Kiefermuskulatur.

Die wirkliche Magie glückt Sólstafir auf "Berdreyminn" beinahe nur noch in ruhigeren Momenten. Beispielsweise im erfrischend luftigen "Hula", das massiv auf Piano, Background-Vocals und die äußerst präsente Orchestrierung setzt. Mit den angenehm zurückhaltenden Drums und feinfühlig-simplen Klavierleads streifen die einstigen Psychedelic-Metal-Gringos hier im Grunde schon Dream-Pop beeinflussten Post-Rock der Marke Hammock. Ein Lichtblick.

Hätte das Gitarristenduo Tryggvason/Sæþórsson Sólstafirs Trademark-Sound mit seinen sanft heulenden Sechssaitern nicht schon längst in Stein gemeißelt, könnte "Hula" tatsächlich als überraschende Reinkarnation einer einst wüsten Rockband durchgehen. Doch aus großem Instrumentarium folgt große Verantwortung. So bewahrt sich auch "Hvít Sæng" die angenehmen Benefits der gefestigten Zusammenarbeit mit einer ganzen Streicher-Riege. Verglichen mit dem eher interludiumsartigen "Miðaftann" auf "Ótta" beweist die Gruppe hier durchaus gekonnt, dass sie im Stande ist, mehr und mehr dynamische Tiefe in eine einzelne Komposition zu verpacken.

Zu sehr setzt die zweite Hälfte dann aber dennoch auf wahrhaft simple, aber nicht immer im erhofften Maße ergreifende Piano-Leitmotivik. "Ambátt" und "Bláfjall" misslingt, was der klassischen Vierer-Rock 'n' Roll-Besetzung auf "Köld" und "Svartir Sandar" oft mühelos gelang – der Aufbau einer unverwechselbaren, elegischen Magie, die mühelos über das de facto teils unspektakuläre Songwriting hinwegtäuschen konnte.

Überlagern tun sich die Instrumente auf "Berdreyminn" dabei so gut wie nie. Zumindest so viel Lob muss sein. Dass das Geschmackserlebnis wohldurchdachter Songs wie "Bláfjall" trotz Orgel-Einsatz und netter "Pursuit Of Vikings"-Reminiszenz eher einem abgestandenen Glas Sinalco denn einer guten Buddel des geliebten Jim Beam-Bourbons gleicht, zeigt, dass Sólstafir anno 2017 vor einem ernsten Problem stehen: Sie erkennen ihre eigenen Grenzen nicht mehr.

Trackliste

  1. 1. Silfur-Refur
  2. 2. Ísafold
  3. 3. Hula
  4. 4. Nárós
  5. 5. Hvít Sæng
  6. 6. Dýrafjörður
  7. 7. Ambátt
  8. 8. Bláfjall

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4 Kommentare mit 6 Antworten

  • Vor 7 Jahren

    Ihr bislang schlechtestes Album. Den Rand der Selbstüberschätzung haben sie leider unlängst überschritten.

  • Vor 7 Jahren

    So negativ würde ich die nicht einschätzen. Sólstafir klingen insgesamt etwas zurückgelehnter, bringen aber dafür auch mal paar floydigere Riffs und ambientere Parts ein. Das muss jedoch nichts Schlechtes heißen. Entwickelt seine Klasse erst nach und nach. Sehe das Album auch als Übergang zu einer neuen Phase. Der aktuelle Schlagzeuger klingt ein wenig monoton, bringt aber durchaus paar jazzigere Nuancen wie in "Hvit Saeng" und "Ambátt" mit ein.

  • Vor 7 Jahren

    Was soll da Selbstüberschätzung sein? Sólstafir machen Musik die ihnen Spaß macht und nicht was Laut-Redakteure wünschen. Ich brauche auch keinen guten Schlagzeuger. Andrew Eldtritch hat ja nicht umsonst gesagt: "Schlagzeuger sind hohl".

  • Vor 7 Jahren

    Schwächstes Album der Musikschaffenden bisher. Trotz alledem, in vielen Nuancen vielleicht teils nur Nanosekunden während, absoluter Musikgenuss. Abzuraten auf keinen Fall. Von pauschaler Diskretisierung einzelner Bandmitglieder halte ich ebenso wenig, wie einen Fokussierung auf scheinhaft überragende Individualisten.