laut.de-Kritik
Lieber unbequem als oberflächlich.
Review von Laura Sprenger"Ich bin keine Daily Soap, man muss sich schon ein bisschen Zeit für mich nehmen und drauf einsteigen. Sonst funktioniert es nicht. Blankes Entertainment ohne Rübe bin ich nicht", macht Sookee kürzlich in einem Interview mit Musikblog deutlich. Die 2015 in einem Vice-Artikel formulierte und oft wiederholte Kritik, ihre Songs klängen wie eine Vorlesung aus dem Soziologie-Grundstudium, hat sich die Berlinern zwar zu Herzen genommen – von belangloser Unterhaltungsmusik ist "Mortem & Makeup" trotzdem so weit entfernt wie Saudi-Arabien von der Einführung der Homo-Ehe.
Durchforstet man die Kommentare unter Sookees Musikvideos, Interviews oder Beiträgen in den sozialen Medien, bleibt sich nur zu wundern, dass sie nicht schon längst auf die im Opener "Q1" erwähnte "einsame Insel" geflohen ist, um dem Brechreiz verursachenden Wind aus sexistischer bis misogyner Herabwürdigung und Verachtung zu entkommen, der ihr seit den Anfängen als Rapperin entgegenschlägt.
Stattdessen übersetzt sie ihr Engagement gegen Sexismus, Homophobie und Fremdenfeindlichkeit aufs Neue musikalisch und bringt mittels veränderter Perspektiven und Blickwinkel neuen Schwung in die Angelegenheit. So lehrt der unterhaltsame Blick auf "Queere Tiere", dass sich Identität und Begehren unserer animalischen Artgenossen oft außerhalb des streng binär heterosexuellen Rahmens bewegen und entlarven die Vorwürfe der Widernatürlichkeit mit Verweis auf fehlende Fortpflanzung als Nonsens.
Im bereits erwähnten "Q1" prangert Sookee vieles von dem an, was politisch in jüngster Zeit schiefgelaufen ist: von A wie AfD bis S wie Steinbach, Sachsen und Selbstjustiz. Hier und da klingt das etwas stockend, verfehlt seine energische Wirkung aber keineswegs. Im Laufe der 14 Songs stolpert man zuweilen über einen holprigen Reim oder ein deplatzierend anmutendes Wort, was oft daran liegt, dass die studierte Linguistin jede Silbe sehr genau betont. Alles in allem hat Sookee in Sachen Flow und Technik aber eine Schippe draufgelegt und präsentiert sich unterhaltsam und abwechslungsreich wie nie.
In "Bilderbücher Konferenz" nimmt sie atemlos eine lächerliche Verschwörungstheorie nach der anderen aufs Korn und liefert zum bedrohlich vor sich hin wabernden Instrumental eine eindringliche Hook: "Die Ihr-wisst-schon-wer haben alles in der Hand, Chemikalien im Wasser bringen euch um den Verstand / Doch ihr bleibt stark und ertragt die Lügen, checkt die Sookee-Merchandise-Aluhüte / Die Dreiecke der Hipster sind allsehende Augen, vertraut mir: Ihr solltet niemandem vertrauen / Lest die Protokolle, der Plan geht endlich auf, und ich ziehe eine Line aus Chemtrail-Staub".
Die Beats von Danger Dan, Riffsn von Grossstadtgeflüster, LeijiOne und Majus sind durchweg genau auf die jeweilige Thematik der Songs zugeschnitten und zeugen von der engen Zusammenarbeit zwischen Sookee und den Produzenten. So ist "Kontrollverlust" lyrisch der vielleicht schwächste Song, macht mit ordentlich Hall, Fanfaren und Sirenen aber trotzdem Laune.
Gleich zweimal schlüpft Sookee in die Rolle eines Kindes: "Hüpfburg" erzählt von einem Jungen, der in einer Nazi-Familie aufwächst und kaum nachvollziehen kann, warum das Auswirkungen auf seine Freundschaft zum türkisch-stämmigen Yüksel hat. "Hurensohn" nimmt Sookee ganz wörtlich und führt ins Bewusstsein, warum man sich die beliebte Beleidigung manchmal besser verkneifen sollte. Im Gegensatz zum Großteil ihrer Kollegen braucht sie keine Schimpfworte, um ihren Unmut kund zu tun.
"You Only Die Once" mit gewohnt gallig-beißendem Part von Grim104 steht dem rotzig feministischen Refrain von Me And My Drummer-Sängerin Charlotte Brandi in "Who Cares" gegenüber. Beide Gäste fügen sich bestens in das heterogene Gesamtbild ein. Trotz neuer Herangehensweise, meist vom Kleinen ins Große, ist "Mortem & Makeup" inhaltlich sehr vollgepackt und kein Album, das sich zigmal hintereinander anhören lässt: Weil es immer wieder zum Nachdenken anregt, auch über sich selbst.
Dabei sieht Sookee auch ihr eigenes Verhalten kritisch: "Die Freundin Von" arbeitet das Aufwachsen als unsichere junge Frau auf, die, weit entfernt von der selbstbestimmten und engagierten Person, die sie heute ist, einfach nur dazugehören wollte. Ihr Werdegang zeugt wie der Langspieler davon, dass Veränderung möglich ist: Mit ihrem fünften Album meistert Sookee den Spagat zwischen Bedeutungsschwere und musikalischer Qualität und entführt den Hörer in eine Welt voller Ungerechtigkeit und "Absurdität". Ihre Gegenmittel? "Revolution, Likörchen, Liebe und Schnittchen."
5 Kommentare mit 14 Antworten
Holper holper...
Besser als gedacht ! Bilderbuch Konferenz ist sogar ganz witzig ansonsten gute Tracks : Kontrollverlust,Hurensohn schwach finde ich nur Hüpfburg
Ach, deshalb vergisst lauti in letzter Zeit ständig, seine #gromky-Termine wahrzunehmen. Mit Holofernes und Sookee binnen weniger Tage wird die Küchenrolle natürlich mal wieder auf eine harte Probe gestellt.
Und Lena nicht zu vergessen, die geile Fickstute.
Die Mette wächst allein durch den Hörgenuss?
Lauti ist audiophil.
Also bitte, lauti ist natürlich audiophiler als die Berliner Philharmoniker.
@Django, zum Hörgenuss gesellt sich ja auch die Vorstellung, Judith Homunkulus würde sich neben ihm im Bett räkeln und ihm das Gehörte ins Ohr säuseln. Mette -> Orbit
"Mette -> Orbit"
Oh Gott, Craze und ich im Einklang.
Mit mundi im Gleichschritt:
Mette -> Orbit
Dieser Kommentar wurde vor 7 Jahren durch den Autor entfernt.
Molten & Make out
Als ob das Ding 4 Punkte wert ist. Bitte jemand Anderes als Laura dazu äußern, danke.
Pumpe lieber weiter "Pimp Slap Daddy" von Haiyti und "Keep it G" von Suzi.
"homosexuality is found in over 1.500 species... homophobia only in one... which one seems unnatural now?" "rape ist found in over 1.500 species...consent only in one... which one seems unnatural now?"
Diese Argumentation unterschlägt, dass das eine gegen die Selbstbestimmung des Individuums geht, während das andere aus dieser erwächst.
Die Essenz ist aber, generell auf Basis von "Natürlichkeit" etwas zu begründen halt Schwachsinn ist, weil eben jene Natur, auf die man sich bezieht, keine moralischen Maßstäbe besitzt.
Von daher ist es schon dumm genug zu sagen, man dürfe nicht homosexuell sein, da es nicht natürlich sei, aber genauso blöd ist es zu sagen, dass man sich ein Beispiel an der Natur nehmen sollte. Klar kommt da Homosexualität vor, aber eben auch Pädophilie, Kindstötung, Nekrophilie, Treibjagden, Gruppenvergewaltigungen, Kannibalismus, fehlende Hygiene usw. Deswegen bekommen so Lines von wegen man solle sich doch ein Beispiel an den Tieren nehmen eher einen makaberen Beigeschmack.
Ja, den moralische Maßstäbe sind immer verläßlich, konstant und gleichbleibend. Nicht etwa schwammig und Zeitgeist-abhängig