25. August 2018

"'Feminismus' ist ein sexistischer Begriff"

Interview geführt von

"Das Ziel war: maximal unlogisch", erklärt Sophie Hunger und spricht von Junk-DNA, augenöffnenden Pilz-Trips, unverständlichem Altgriechisch an der Uni, der Rundumerneuerung ihres Sounds und dem Unterschied zwischen Tagesthemen und Kunst.

Sophie Hunger redet über so gut wie alles. Scheinbar selbstverständlich schlägt die mittlerweile in Berlin, Zürich und Paris lebende Musikerin in unserem Interview Brücken zwischen Kernforschungsinstituten und Magic Mushrooms, zwischen Kunstverständnis und Krabbeltieren. Da alles irgendwie in ihr sechstes Studioalbum "Molecules" einfloss, ist das auf merkwürdige Weise sogar nachvollziehbar.

Nur private Dinge hält die Schweizerin gerne aus der Öffentlichkeit zurück, darin bleibt sie sich seit Jahren treu. Trotzdem ist "Molecules" ihr vielleicht persönlichstes Album. Eine Trennung beeinflusste den Entstehungsprozess entscheidend. Ins Detail geht sie zwar nicht, blickt in diesem Zusammenhang aber aus ungewöhnlicher Perspektive auf das Thema Depression und thematisiert im Song "Cou Cou" die Vorstellung von "Ex-Kindern". Auch eine politische Dimension weist "Molecules" auf. Die erste Single "She Makes President" entstand teils als Reaktion auf die Präsidentschaftswahl in den USA. In einem Artikel waren zuvor die Frauen als Zünglein an der Waage im Ausgang beschrieben worden – als Donald Trump gegen Hillary Clinton gewann, wurden sie in Hungers Worten so gewissermaßen zu "Henkerinnen ihrer eigenen Machtergreifung".

Unabhängig der behandelten Themen markiert "Molecules" einen deutlichen Einschnitt in der Diskographie Hungers. Statt wie bisher grenzenlos zwischen Jazz, Rock, Singer/Songwriter und Pop herumzuspringen, fährt sie nun eine klar definierte Linie. Elektronik dominiert die Musik und das bisher typische Wechseln zwischen den Sprachen Französisch, Deutsch, Englisch und Schwiizertüütsch weicht einheitlich auf Englisch verfassten Lyrics. Damit beginnen wir – nur wenige hundert Meter von Hungers Berliner Wohnung entfernt – unser Gespräch.

Beginnen wir mit dem für dich inzwischen wahrscheinlich leidigen Sprachthema: Hast du für "Molecules" auch deshalb die Texte nur auf Englisch verfasst, um die dauernden Fragen nach der Mehrsprachigkeit zu vermeiden?

Hahaha, sehr gut gefragt. Nein, ich wollte, dass bei diesem Album alles aus einem Guss ist. Ich habe mir Regeln aufgestellt. Musikalisch gibt es nur vier Elemente: Drum-Machine, Synthesizer, Gesang und akustische Gitarre. Es gibt nur eine Sprache: Englisch. Ich habe alles in London aufgenommen, habe eine englische Plattenfirma. Dann wollte ich alles in nur einem Raum aufnehmen – allein, ohne Band. Reduzierende Dogmen habe ich mir aufgebaut. Vielleicht war das eine Reaktion auf vorher. Ich konnte bisher ja zum Beispiel ein Lied jazziger machen, das andere weniger ... Ich fand, es wäre mal gut, mir ein Korsett zu schaffen.

Du sagtest einmal: "Ein guter Text ist ein offener Text". Die Mehrsprachigkeit gehört ja durchaus zu dir als Person – wäre es da nicht offener, ehrlicher gewesen, sie für die Musik beizubehalten? Oder fühlten sich die auf "Molecules" behandelten Themen offener auf Englisch an?

Nee, das Englische hat tatsächlich nur mit dem Konzept zu tun. Ich zwang mich, nur auf Englisch zu schreiben. Ganz geschafft hab' ich es nicht. Es gibt einen deutschen und einen französischen Satz (lacht). Und ich wusste glaube ich schon immer, dass die Mehrsprachigkeit zum Teil auch eine Form ist, sich zu verstecken. Weißt du, ein englisches Album zu machen, ist eine Ansage. Du bist sofort im englischen Kontext und musst dich dem Britisch-Amerikanischen stellen. Interessiert das dort überhaupt jemanden? Vorher war ich immer die komische alpine Europäerin. Mich dahinter zu verstecken, ist jetzt nicht mehr möglich. Das hier ist die Kür – mein englisches Album.

In "I Opened A Bar" singst du von "an independent European". Beziehst du dich mit dieser Zeile auch auf das eben Angesprochene – dass du als Europäerin jetzt in die Welt hinausgehst?

Ja, da singe ich natürlich schon von mir. So sehe ich mich auch. Aber im Kontext des Liedes geht es eigentlich darum, dass ich aufs Dach klettere und alles zerstöre – eben wie ein typischer, unabhängiger Europäer, der immer in der Lage ist, sich selbst zu zerstören.

Was meinst du damit genau?

Ich glaube, dass wir Europäer – besonders natürlich im 20. Jahrhundert, jetzt aber vielleicht auch wieder ein bisschen – die große Gabe haben, uns selbst zu zerstören.

Außerhalb Europas gilt das nicht?

Dafür bin ich nicht zuständig (lacht). Wir neigen dazu, das, was wir aufbauen, wieder kaputt zu machen. Das ist ein komischer Charakterzug.

Vielleicht ist das einfach menschlich.

Das kann gut sein.

Du erzählst immer wieder, dass du nicht gerne autobiographisch schreibst. Im Pressetext zu "Molecules" klang es nun aber so, als wäre dieses Album deutlich autobiographisch ...

Naja, eigentlich sind ja alle Alben irgendwie autobiographisch. Alles Künstlerische ist autobiographisch. Aber man kann es auf verschiedenen Ebenen abhandeln. Man kann es ganz direkt sagen, im Stile von "Atemlos Durch Die Nacht" (lacht). Oder man erzählt über Ecken und fiktionalisiert extrem. Bei diesem Album ist es schwer zu verheimlichen, dass es stark aus einer privaten Situation heraus entstanden ist – anders als bei den Vorgängern.

Als Künstlerin besteht wohl immer ein gewisser Zwang, Privates zumindest zu gewissem Grad der Öffentlichkeit preiszugeben – sei es nun direkt in Interviews oder eben in den Texten. Stört dich das oder siehst es vielleicht sogar als Weg, gewisse Lasten abzuwälzen?

Was ich immer schätze ist, wenn Journalisten erkennen, dass Lieder nicht 1:1-Übersetzungen aus dem Leben, sondern immer Übertreibungen sind oder eben auch Fiktionalisierungen. Sie sind etwas Künstlerisches. Wir konstruieren etwas. Das ist keine Aufklärungsprosa und auch nicht die Tagesthemen, wo man sagen könnte: "Das ist so passiert."

Eher wie eine Legende: wahrer Kern, mit Ausschmückungen.

Ja. Es ist eine Übertreibung, eine Zuspitzung und man kann auch Sachen hinzufügen. Diese Grundannahme muss man verstehen. Aber Lieder nehmen natürlich irgendwo einen Anfang. Wenn es nicht gerade eine Marschmelodie für das Militär ist, beginnen sie ja schon irgendwie bei dir selbst. Ich verstehe, dass man dann vielleicht wissen möchte, was die auslösenden Momente waren. Das kann auch ein Käfer sein, der es geschafft hat, als einziger durch das kleine Loch an der Tür zu krabbeln. Wenn das kein anderer Käfer vor ihm geschafft hat, könnte man sagen: Das ist der beste Käfer der Welt (lacht).

Demnächst singst du also über Käfer.

Vielleicht, ja.

"Sesshaftigkeit leitete den Untergang ein"

Ein Thema, das du auf "Molecules" ansprichst ist Depression – und zwar nicht nur aus Sicht des Betroffenen, sondern auch aus Sicht einer deshalb vernachlässigten Person. In "There Is Still Pain Left" forderst vom Kranken ein, was er im Moment nicht geben will oder kann. Hast du Angst, dass man dich damit missverstehen könnte? Dass es als verständnislos aufgefasst wird?

Ja. Und ich glaube das ist es auch. Aber über genau dieses Verständnislose wollte ich sprechen – denn auch das ist Realität. Was machst du als Partner von jemandem, der sich in einer Depression befindet, was ja irgendwie negativer Narzissmus ist? Alles dreht sich um dich. In einer Depression kommst du nicht aus dir heraus. Alles hat mit dir zu tun – alles ist aber negativ. Das ist eine Form von Narzissmus. Es geht darum, dafür kein Verständnis zu haben, darunter zu leiden. Ein 'wir' ist dann nicht mehr möglich. Das wollte ich ausdrücken. Unverständnis ist Teil davon.

Du verwendest dazu viele chemische Vokabeln, auch in den anderen Songs des Albums, und verleihst so eigentlich emotionalen Themen gewisse Pragmatik. War das deine Absicht? In "The Actress" singst du zum Beispiel "If there's atoms, there's nothing you can do" – damit drückst du ja aus, dass Biologie und Chemie über der Emotion steht.

Ja, oder dass auch Emotion chemischen Ursprung hat. Ich wollte, dass in der Sprache des Albums das Material unserer Zeit vorkommt: Plastik, Nitroglycerin ... die materialistische Ebene unserer Zeit. Das sollte einen Platz haben in der Sprache, es sollte nicht nur poetische Sprache sein. Das war mir wichtig. Ich habe in letzter Zeit viele Bücher gelesen über Themen wie DNA-Splitting, Kommunikation ...

Wie kommst du auf solche Bücher?

Angefangen hat es damit, dass ich "Homo Deus" gelesen habe. Dann schloss sich "The Cosmic Serpent" an. Das ist das Buch eines Anthropologen (Dr. Jeremy Narby; Anm. d. Red.), der versucht zu beweisen, dass es auf mikroatomarer Ebene Kommunikation zwischen Pflanzen, Gegenständen und Menschen gibt. Der Produzent des Albums hat dieses Buch auch gelesen. Wir sind schließlich so weit gegangen, die Aufnahmen zu unterbrechen, um dorthin zu reisen, wo der Autor wohnt. Wir haben ihn zuhause in einem Schweizer Dorf besucht.

Das heißt, zu diesem Zeitpunkt standen die Songs bereits?

Ja, wir waren etwa in der Mitte der Albumaufnahmen. Wir sind also in die Schweiz gefahren und haben Jeremy Narby getroffen. Wir hatten nämlich herausgefunden, dass wir jemanden kennen, der ihn kennt. Er hat uns Pilze gegeben, die er im Wald gesammelt hat. Die haben wir dann gegessen Es waren wirklich unglaubliche 24 Stunden. Das stimmt auch wirklich alles (lacht). Im Nachhinein habe ich mich dann viel mit DNA-Strukturen und solchen Sachen beschäftigt; zum Beispiel auch mit CERN, dem Teilchenbeschleuniger in der Schweiz, wo man versucht, die Materie auseinanderzureißen, um auf die kleinsten Teile zu stoßen. Sie haben ja schließlich das Higgs-Boson gefunden – das kleinste Teil. Sowas hat mich total interessiert damals.

Stimmt, vor zwei Jahren gabs dazu nochmal Messungen oder? Das fiel wohl mit dem Albumprozess zusammen.

Ja genau, das war so um diese Zeit. Ich habe dann auch erst rausgefunden, dass das in der Schweiz ist. Das fand ich ein bisschen lustig. Die Schweiz wird ja gern als konservatives, ländliches Land angesehen – was auch stimmt. Aber dann ist da noch dieser Teilchenbeschleuniger (lacht). Naja. Bei diesem DNA-Buch geht es jedenfalls darum: Der Körper produziert ja sogenannte Junk-DNA. Man dachte lange, nur der Anfang des DNA-Strangs wäre wichtig und hinten hängt noch ganz viel Kopiertes, was eigentlich unnötige Information ist. Jetzt findet man aber heraus, dass diese Junk-DNA einen großen Beitrag dazu leistet, wie die DNA letztlich umgesetzt wird.

Und das hatte speziellen Einfluss auf die Songtexte?

Ich wollte, dass die Thematik Bestandteil der Vokabeln der Albumtexte wird. Dass es nicht nur so ... abstrakte ...

... seit 50 Jahren wiedergekäute Phrasen werden?

Ja genau. Und ich wollte, dass es fast schon ein bisschen was Pedantisches hat. Nitroglycerin, Atome, Moleküle – das sollte in den Vordergrund. Kleine Spielerei ...

In "That Man" entwirfst du eine Zukunftsvision. Zunächst unabhängig vom Song: Wie stellst du dir aktuell deine Zukunft vor?

Momentan habe ich ehrlich gesagt keine Ahnung. Zum Zeitpunkt, als ich das Lied geschrieben habe, war ich mir sehr sicher, wie sie aussehen würde – mit diesem Mann. Aber jetzt ist das ... ich weiß nicht, wie ich sagen soll... Ich weiß nicht, wie meine Zukunft aussehen wird. Im Moment weiß ich, dass ich am 6. September eine Tour beginne. Und die dauert dann ewig. Das weiß ich (lacht).

Im Song singst du: "It's 20 past five, December, Berlin." Heißt das, du könntest dir mittlerweile vorstellen, dauerhaft in Berlin zu bleiben? Du warst lange kein Fan von Sesshaftigkeit.

Sesshaft zu werden habe ich immer noch nicht geschafft. Im Moment habe ich drei Wohnungen: eine in Paris, eine hier und eine in Zürich. Sesshaft zu werden ist sowas, von dem man denkt: "Ah ... man müsste eigentlich mal..." Aber: In diesem anderen Buch, das ich gelesen habe – "Homo Deus" von Harari – habe ich gelesen, dass der Mensch ja die meiste Zeit seiner Existenz nomadisch gelebt hat. Erst als er sesshaft wurde, begannen die Probleme. Durch die Sesshaftigkeit wurde der Untergang eingeleitet. Das hat mich schon sehr gefreut, als ich das gelesen habe (lacht). Das hat mich irgendwie beruhigt und einiges erklärt, was ich vorher nur geahnt hatte: Nämlich, dass es rein evolutionsbiologisch schon nicht ganz unrichtig ist, was ich ... wie wir da so rumziehen. Es fühlt sich auch richtig an.

Der Musiker ist der ursprüngliche Mensch, hm?

Der Musiker ist der ursprüngliche Mensch, Dude, ich sags dir! Am Schluss werden alle noch drauf kommen (lacht).

"Das Ziel war: maximal unlogisch."

Nochmal kurz zurück zu Berlin: Laut dir kannst du hier alles machen – weil es immer jemanden in der Stadt gibt, den es interessiert. Bist du deswegen nach Berlin gekommen, mit dem Vorsatz deinen Sound zu ändern? Oder war es umgekehrt so, dass das Berliner Klima dich erst dazu inspiriert hat?

Ich kam hier an und bin in eine Techno-Clique gerutscht. Vorher habe ich nie Techno gehört. Höchstens in den 90ern, als es diesen Dance-Techno gab, aber nicht den Techno, den man jetzt hier hört. Aber durch diese Leute kam ich in die Szene und fing schließlich auch an, mir entsprechende Geräte zu kaufen. In Amerika habe ich dann eine Schule besucht und gelernt, mit Musik-Software umzugehen. Ich fing an, am Computer zu komponieren, statt wie vorher klassisch mit den Instrumenten.

In diesem Sinne wird der Computer ja auch zum Instrument.

Genau, ja. Das sehe ich genauso. Nur vorher war das ein Instrument, das ich nicht beherrscht habe. Durch die Techno-Leute und den Durchlauf der Schule kam ich rein und konnte das selbst alles "herstellen". Ich wusste auf einmal, wie man das macht. Vorher wusste ich nicht, wie man das macht. So entstand auch die Idee, alleine sein zu wollen, ohne Band. Ich wollte das alles am Computer machen können und keinen Dialog haben. 'Keinen Dialog haben' klingt komisch oder? Aber es geht ja nur 'rein'. Es wurde 'binär'. Das fand ich irgendwie gut – als Bruch.

Was bedeutet das für künftige Live-Shows?

Ich habe komplett neue Musiker – bis auf einen, der vorher schon für die elektronischen Sounds zuständig war. Zwei neuen Leute spielen fast nur Synthies und Pads. Es gibt schon auch noch ein Drumkit, aber insgesamt ist es eine ganz neue Konstellation. Wir haben keinen E-Bass, alle Bässe sind Synthesizer. Es ist viel Arbeit und echt kompliziert. Wir sind nur zu viert und müssen alle vier extrem viel machen.

Baust du auch die alten Songs fürs neue Setup um?

Ja. Wir haben immer noch eine Horn-Section und wir singen alle, es gibt viele Chorteile. Aber die Instrumentierung dominieren Synthesizer und Pads und ich spiele Gitarre.

Die Tour wird recht ungewöhnlich ablaufen. Die "Hunger Festspiele" bleiben immer länger an einem Ort, du spielst meist vier bis fünf Shows pro Stadt – und zwar nicht im selben Venue, sondern in verschiedenen. Welche Motivation steckt dahinter? Warum nicht das Setup in einem Club aufgebaut lassen, wie du es vor einer Weile hier in Berlin schonmal gemacht hast?

Das wäre ja viel weniger lustig. Das Ziel war: maximal unlogisch (lacht). Statt ein Konzert zu spielen, brechen wir alles auseinander: in jedem Stadtviertel eins, darauf haben wir geachtet – Neukölln, Kreuzberg, Mitte, Friedrichshain –, und auch in verschiedenen Größen. Also alles möglichst kompliziert. Einfach weil es lustig ist, nur wegen des Fun-Faktors (lacht). Weißt du, nach ein paar Jahren in diesem Beruf muss man sich etwas überlegen, dass es weiterhin Spaß macht.

Apropos, hier wieder eine Stelle aus "That Man": "It's 20 past five, December, Berlin / I've made my last record, all my contracts are done / I can make what I please." Wünschst du dir manchmal, dass du das Musikerdasein an den Nagel hängen könntest?

Es gibt schon Momente, in denen ich mich frage, ob ich durch diesen Beruf vielleicht was verpasse, ob ich nicht auch was anderes hätte machen können. Aber das ist eine dieser Grundfragen, die sich jeder stellt. Eine der Kränkungen des Lebens, der Tatsache dass wir sterben müssen, ist, dass wir uns entscheiden müssen, was wir mit der Zeit machen. Hin und wieder kommt diese Kränkung hervor. Aber ehrlich gesagt ist das, glaube ich, auch das einzige, was ich einigermaßen kann ... ja. Ja! Ich gehe davon aus, dass ich das immer machen werde. Mir fällt momentan nichts ein, was ich sonst machen könnte. Manchmal gehe ich als Auditor an die Uni, einfach zum Zuhören. Sowas mache ich.

Welche Fächer?

Dieses Semester habe ich viel Staatsphilosophie belegt, hier in Berlin an der Humboldt. Das war sehr interessant. Außerdem die Geschichte des Griechischen Dramas. Das war ein bisschen schwer, weil sie dort die alten Texte lesen und ich kein Altgriechisch kann. Interessant wars trotzdem. Dazu noch einen Kurs über die Perspektiven Europas im 19. Jahrhundert.

Ich finde ja super, wie du mit deinen Antworten immer schön zum nächsten Thema überleitest. In "She Makes President" berührst du staatsphilosophische Bereiche.

Haha, ja, das stimmt.

Der Song war die erste Single, er eröffnet das Album – das ist ja durchaus ein Statement. Warum wolltest du mit diesem Text anfangen?

Ich wollte damit vor allem wegen des Sounds anfangen. Für die meisten Fans ist das wohl ein Schock, dass ich jetzt so Electro mache. Ich wollte, dass es ein kleiner Schock ist. Dieses Lied ist schon recht weit weg von dem, was ich vorher gemacht habe. Das war die Hauptmotivation. Dass es auch politisch ist, war nicht so wichtig. Ich muss auch sagen, dass ich schon beim letzten Album aufgehört habe, mir zu überlegen, was die Singles sind. Ich weiß das nicht. Das weiß das Label besser. Sie meinten auch, dass "She Makes President" gut ist, dann "Tricks", dann "There Is Still Pain Left".

"She Makes President" hat zwar diese politische Dimension. Aber hast du es wirklich in erster Linie als politisches Lied geschrieben, oder war dir der menschliche Gedanke dahinter wichtiger?

Zuerst der menschliche Gedanke. In der Originalversion war das ein folkiger Uptempo-Song, im Stile von Bob Dylans "She Belongs To Me". (singt) "She's an artist / She don't look back..." Das ist auch die Vision einer Frau, nur bei ihm ging es wohl um Joan Baez oder so. Ich wollte etwas Ähnliches machen, aber in meiner Version sollte es um eine Zukunftsfrau gehen. Wie sieht die Frau der Zukunft aus? So ganz natürlich. Sie braucht keinen Segen mehr von irgendjemandem, sie muss niemandem mehr gefallen. Niemand kann ihr etwas geben, was sie ihr nicht selbst geben kann. All diese Sätze, die darin vorkommen eben. Die Musik dazu war folkig und Uptempo. Dann kam die Wahl und ich habe die Musik komplett neu gestaltet.

Die Ursprungsversion stammt also noch aus der Zeit vor der Wahl?

Ja, genau. Das war noch bevor ich überhaupt angefangen habe, richtig an der Platte zu arbeiten. Nachdem ich dann diese Regel mit den Synthies aufgestellt hatte, habe ich den Song komplett umgedreht. Jetzt klingt es dunkel, hat all diese Synthesizer.

Würdest du dich selbst als Feministin bezeichnen?

Ja, heute würde ich das. Aber ich finde den Begriff an sich sehr schlecht gewählt, weil er in sich sexistisch ist. Feminismus ist in sich ein sexistischer Begriff. Er kreiert eine Polarisierung zum Maskulinum.

Braucht es vielleicht nicht genau das?

Ich weiß, was du meinst und ich finde das auch. Aber ich glaube, es ist nicht hilfreich. Das ist als würdest du zum Metzger sagen: "Veggie-Donnerstag." Weißt du? Da kriegt der auch die Krise. Oder: Solarzellen für den Öl-Baron. Das hilft nicht, weil wir die Männer doch brauchen, um den Feminismus zu realisieren. Und die Männer sollten im besten Falle – nein, nicht im besten Falle, sie müssen Teil dieser Bewegung sein. Nur wenn wir die Bewegung 'Feminismus' nennen, ist es schwierig für die Männer, sich damit zu identifizieren. Also ein ganz toller Mann kann das ... zum Beispiel mein Bruder oder so (lacht).

Wie würdest du es denn nennen?

Ich weiß nicht. Egalitarismus vielleicht. Aber das erinnert dann schnell wieder an die Französische Revolution. Damit hätte man das nächste begriffliche Problem. Aber im Inneren bin ich natürlich eine Feministin. Natürlich bin ich für Gleichheit der Geschlechter. Ich glaube, das führt allgemein zu einer gerechteren Gesellschaft – auch für die Männer. Ein patriarchalisches System ist ja auch ein hierarchisches, ungerechtes System.

Noch kurz zu Steven Wilson. Er hat dich als "sexy und unheimlich zugleich" beschrieben – jedenfalls in Bezug auf deinen Beitrag auf seinem Album "To The Bone", ob er das auch anders meint, weiß ich nicht ...

Hahaha, ich habe ihn noch nie persönlich getroffen, nur mit ihm geredet.

Wie auch immer: Ist das etwas, was du auch selbst ausdrücken möchtest?

So genau nicht, aber Musik ist natürlich etwas sehr Sinnliches. Ich würde das 'Sinnlichkeit' nennen, was er so mit Sexualität umschreibt ... da müsste man jetzt lange drüber reden. In Musik geht es um Emotion, aber sie ist schon auch ein Spiel und hier kommt das Unheimliche mit rein. Ob man Musik macht oder Schauspieler ist oder andere Kunstsachen betreibt – man liebt den Exzess, die Übertreibung, die Verstellung. Man liebt die Fiktion. Was wir machen, ist ja nichts Authentisches. Es ist eine Konstruktion.

Die letzte Frage stellst du dir selbst: "What are you gonna do when your dreams have all come true?"

Haha, der ist gut. Das weiß ich eben nicht. Das ist die große Frage (lacht).

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Sophie Hunger

Eindringlich - und doch unnahbar. So gibt sich die Schweizer Sängerin und Songschreiberin Sophie Hunger. Ihr Stil vereint Folk, Jazz und zarte Rockanleihen.

6 Kommentare mit 37 Antworten