laut.de-Kritik

Synthie-Sinfonien über Strawinsky, Rasenmäher und iPhones.

Review von

Kaum erklären sie die Missionarsstellung, klappt's auch mit den Charts. Das Musikgeschäft ist manchmal so unfassbar fantasielos. Aber mir soll es recht sein: Mit den Sparks trifft es garantiert nicht die Falschen. Ihr letztes Album "Hippopotamus" erreichte 2017 Platz 6 in den britischen Albumcharts, es war ihr erster Top-10-Einstieg seit "Propaganda" 1974.

Grund genug, Schnauzbart-Idol und Sparks-Texter Ron Mael im Interview zu fragen, wie das Duo diesen unerwarteten Augenblick des Ruhms im Zeitalter der Streamingdienste ausgekostet hat: "Wir waren angenehm überrascht. Die Reaktion der Öffentlichkeit und der Presse war großartig. Es ist schön, wenn man mit Musik etwas auslöst." Bescheidenheit in Reinkultur. Eine Gabe, die man nicht verkommen lassen sollte. Und so gibt der alterslose Russell Mael mit seiner alterslosen Stimme in "Self-Effacing" die Komplimente mit der Routine von fünf Jahrzehnten Bescheidenheit weiter.

Gut, er würde auch gerne mal posen, von sich in der dritten Person sprechen oder hier und da als Gast-DJ auftreten, aber leider sei er halt mehr Minivan als Rolls-Royce, "always been self-effacing". Ein Text, der die ganze Klasse der Sparks aufzeigt: Vordergründig ein ironischer Kommentar zur Instagram-Gefallsucht und dem narzisstischen Pop-Business, gleichzeitig eine im Songformat unübliche, bewusst überzogene Aufzählung gängiger Businesspraktiken für ambitionierte Musiker. Und wer dürfte sich darüber köstlicher amüsieren als die genügsamen Brüder aus Los Angeles?

Aber jetzt sind die Sparks ja selbst wieder eine Chartsband. Die Zeile "My trophy room's bare / but why should I care" revidierte Russell denn auch zumindest für seine aufmerksamen Hardcore-Fans, denen in seinen Quarantäne-Fitnessvideos auf Facebook nicht entgangen ist, dass im Wohnzimmer-Ambiente hinter dem turnenden Sänger eine Goldene Schallplatte ins Bild gerückt wurde. Ehre!

Auch 2020 bleiben die Sparks in bestechender Form. Die melodischen Elemente sowie die stilistische Vielfalt von "Hippopotamus" sind weiterhin vorhanden, "A Steady Drip, Drip, Drip" klingt dennoch symphonischer, angespannter. Als wollten sie das Publikum nach der gewonnenen Aufmerksamkeit erst recht triezen. Der Opener "All That" ist eine ihrer klassischen Feuerzeug-Hymnen, ob näher an den Beatles oder der Kelly Family, liegt wie so oft im Auge des Betrachters. Danach hauen sie mit "I'm Toast" eine Nummer raus, so theatralisch-rockig wie zu glorreichen "Kimono My House"-Zeiten. Gleichwohl texten sie im Hier und Jetzt: "Alexa, get me out of this place." Seit 1970 haben die Sparks ihren Style immer nur um Nuancen verändert, vielleicht klingen sie deshalb nicht altmodisch.

"Lawnmower", ein Lied über einen Typen und seinen geliebten Rasenmäher, der sich am Schluss entscheiden muss: Die Freundin oder der Mäher. Dabei reimt Russell "lawnmower" auf "Land Rover" und girl from Andover". Musikalisch sollte man allerdings offen für streng repetitive, Musical-artige Acappella-Strukturen sein. Das trippige "Sainthood Is Not In Your Future" oder das schrullige "iPhone" mit dem Refrain "Put your fucking iPhone down and listen to me": Es ist Art-Pop, der Lady Gaga verdammt alt aussehen lässt.

"Pacific Standard Time" lässt sich ähnlich wie "Lawnmower" als eine Parabel auf uramerikanische Haltungen lesen und funktioniert auch als gallige Trump-Kritik: "I tried a foreign place / Turned out to be a waste / People were weird and small / They thought they knew it all / In Pacific Standard Time / Mine is yours and yours is mine / In Pacific Standard Time / Everything is near-divine".

"Stravinsky's Only Hit" behandelt gleich zwei zentrale Themen, mit denen sich die Sparks bestens auskennen: Nur einen Hit zu landen, und der sogenannte Orchesterabschlag, eine Erfindung Igor Strawinskys aus dem Jahr 1910. Ins Bewusstsein der Masse geriet der kurze, prägnante Sound in den 80er Jahren als Sample in jedem dritten Song von Afrika Bambaataa bis zu New Order und eben: den Sparks: "Stravinsky’s only hit / He toned it down a bit / He didn't write the words / that was my job." Spätestens hier offenbart sich wieder ein typisches Merkmal dieser Band, das ihnen jeder Popakademie-Dozent als Nachteil auslegen würde: Man kann viele ihrer Songs nicht mitsingen.

Auch in "One For The Ages" vibriert Russells Turbo-Falsett über einer Klavier-Extravaganz, "Onomato Pia" wagt sich an die Verschmelzung von Synthie-Pop und Volksmusik und mit dem melancholischen "Left Out In The Cold" gelingt noch mal ein klares Album-Highlight. "Please Don't Fuck Up My World", lange vor Corona verfasst, lässt zur Verabschiedung einen Kinderchor für die Erhaltung der Erde und gesellschaftlichen Zusammenhalt flehen. Die Karriere der Sparks, ein stetiges Tröpfeln.

Trackliste

  1. 1. All That
  2. 2. I'm Toast
  3. 3. Lawnmower
  4. 4. Sainthood Is Not In Your Future
  5. 5. Pacific Standard Time
  6. 6. Stravinsky's Only Hit
  7. 7. Left Out In The Cold
  8. 8. Self-Effacing
  9. 9. One For The Ages
  10. 10. Onomato Pia
  11. 11. iPhone
  12. 12. The Existential Threat
  13. 13. Nothing Travel Faster Than The Speed Of Light
  14. 14. Please Don't Fuck Up My World

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4 Kommentare mit 5 Antworten

  • Vor 3 Jahren

    Wenn Edgar Wrights Doku über die beiden Brüder herauskommt, wird vielleicht auch dem letzten Philister klar, was für eine mordswichtige, witzige, geniale Band die Sparks sind!

    • Vor 3 Jahren

      was kannst du zum einstieg empfehlen?

    • Vor 3 Jahren

      Die beiden haben gerade bis in die späten Achtziger immer wieder Platten gemacht, die wegweisend waren und ein-zwei Jahre später von bekannteren Bands imitiert wurden. Ist also sehr eine Geschmacksfrage, auf was für ein Genre Du stehst.

      Die meisten sind mit ihrem wahnwitzigen Song "This Town Ain't Big Enough For Both Of Us" auf der "Kimono My House" eingestiegen. Wenn Du auf klassische, gewitzte Popsongs stehst, ist "Introducing Sparks" geil. Wenn Du die 80er magst, "Whomp That Sucker" oder "Angst In My Pants". Ein guter Einstieg sind aber auch die neueren "Exotic Creatures..." und "Hippopotamus". Kann sein, daß es etwas Geduld braucht. Ich empfehle, auf die Lyrics zu achten.

    • Vor 3 Jahren

      danke für die tipps, werde ich mir heute mal zu gemüte führen.

    • Vor 3 Jahren

      und das sie sich nicht wie viele Kollegen (die untalentierter sind) so ernst nehmen....diese augenzwinkernder (selbst)Ironie hat nicht jede(r).. die beiden sind unerreicht.....ihr Wortwitz auch

  • Vor 3 Jahren

    Absolut tolles,teitloses Album der Mael Brüder.

  • Vor einem Jahr

    "Pacific Standard Time" und "One for the Ages" sind meine klare Favoriten. Ich fand das Album anfangs ganz gut ist aber nach ein paar Monaten ziemlich verblasst.
    3/5

  • Vor einem Jahr

    Großartiges Album mit wahnwitzigen Ideen und schlitzohrigen Texten, eigentlich wie immer seit nun gut fünfzig (!) Jahren...
    Gute Review, die auch auf die musikalischen Wiederholungen eingeht, die muss man schon mögen. Hatten die nicht mal einen Song, der nur aus einer Zeile bestand, die ständig wiederholt wurde und je nach Betonung anders rüberkam?