laut.de-Kritik

Vergänglichkeitshymnen zwischen Wehmut und Aufbruch.

Review von

Tickende Uhren, überreife Früchte, bröckelnde Ruinen. Zur jahrhundertealten Galerie berühmter Vergänglichkeitsmotive addiert die kanadische Indie-Pop-Band Stars mit ihrem neunten Album das Bild von Capelton Hill, einer ländlich abgeschiedenen Gegend im Osten Québecs.

"Capelton Hill ist ein Ort, an dem sich die Dinge in meinem Kopf, in meinem Leben, nie verändert haben", erklärt der dort familiengeschichtlich verwurzelte Bandleader Torquil Campbell, "Und trotzdem wird der Ort vergehen. Ich denke, dass dieses Gefühl der Vergänglichkeit die Platte prägt: die Erkenntnis, dass Dinge nicht ewig halten und dass selbst die Dinge, von denen ich dachte, dass sie für immer da sein würden, es nicht sein werden".

Fünf Jahre nach "There Is No Love In Fluorescent Light" bündelt die sechsköpfige Gruppe im Vanitas-Format ihre melancholieverliebte Hymnik. Beim wiederholten Erinnern, Trauern und Hoffen erstrahlt der bandtypische Synthpop-Wechselgesang zwischen Torquil Campbell und Amy Millan inmitten existenzieller Gefühle, streift aber auch vermehrt die Grenze zum Schematischen.

Ausgespielt wird gleich im Start-Songtrio ein Vergänglichkeitsprogramm zwischen wehmütigem Nachtrauern und euphorischen Feierlichkeiten. Über schimmernd aufwachende Keys und zärtlich gezupfte Verzierungen erzählt das "Palmistry"-Duett die traurige, aber airplayfreudige Geschichte eines tragischen Verlusts mit dem Drang, die Zukunft vorherzusehen.

Geschickt dreht "Pretenders" den Vergangenheitsbezug in Richtung der eigenen Bandgeschichte. Obwohl das Soundkonzept etwas bequem fortgeführt wird, manövriert Millan als Leadsängerin trickreich vergangene Zeiten, dass sie wie ein Aufbruch erscheinen, der die Pop-Fantasie ewiger Jugend nostalgisch aufleben lässt ("We were the best of the pretenders / All our bets on / Being young forever").

"Patterns" perfektioniert die bittersüße Grandezza. Ausgehend von sphärischen Keybordklängen ersinnt Millan in fast kitschig gehauchter Rührseligkeit, wie sich schmerzhafte Erfahrungen in melancholischer Zweisamkeit auflösen können. Mitten im Song erreicht das Album seinen bisherigen Höhepunkt, als auch musikalisch 'patterns' gebrochen werden und eine grandiose Bridge mit wallenden Pianoschritten eine hoffnungsvolle Vereinigung beschwört.

Im dichten Konzept der Zeitreise wechseln sich solide und schwerfällige Momente ab. "Hoping" schaukelt bekannte Befindlichkeiten zu einer hellen Synthrock-Hymne zwischen New Order und Arcade Fire. "Back To The End" steuert ernüchterte Nostalgie hübsch und doch etwas träge an Klangkulissen von Lighthouse Family und japanischer Folklore vorbei.

Besonders elektronisch ausgerichtete Songs straucheln. "To Feel What They Feel" changiert zwischen vielversprechend sensiblen Impulsen und unerwartet klobigem Poltern. Entsprechend kann sich "If I Never See London Again" nicht entscheiden, ob es meditieren will oder doch lieber in einen Disco-Soul-Strudel abdriftet. "Build A Fire" verharrt weitgehend in einem eher beliebigen Dance-Groove, überrascht aber im Outro mit einer "Don’t Stop Believin’"-Variation.

Stil-Erweiterungen gelingen am besten mit Millan am Hauptmikro. Zwischen Flüstern und Falsett, zwischen Grazie und Gefahr inszeniert die Sängerin "That Girl" in bester Dolly Parton-Manier als hyperbolischen Herzschmerz-Western ("A hundred days / A hundred ways / You break my heart"). Auf der anderen Seite trotzt sie in "I Need The Light" allen Widrigkeiten mit einer luftig optimistischen Performance im Stil von Cyndi Lauper oder Belinda Carlisle.

Ganz zu sich findet das Vergänglichkeitskonzept in zwei Balladen. Stimmungsvoll spannt der Titeltrack "Capelton Hill" einen Bogen von klavierbegleiteter Herbstlyrik zu einem rhythmisch satten Rückbezug auf das Durchbruchsalbum "Set Yourself On Fire" ("Sweeping up the ashes of the fire / From when we set ourselves alight / A sea of faces singing all our songs to us and / A different city every night").

Minimalistisch pointiert der Folk-Epilog "Snowy Owl" den Schmerz unerbittlich verstrichener Zeit ("All of it gone / All in the past / All of the things that we thought would last forever / I know they’re really gone"). Als versöhnlicher Abschluss bleibt der Appell, weiterzumachen. Wie ein Echo zum R.E.M.-Klassiker "Everybody Hurts" hallt der optimistische Aufruf "So hold on".

Trackliste

  1. 1. Palmistry
  2. 2. Pretenders
  3. 3. Patterns
  4. 4. Back To The End
  5. 5. That Girl
  6. 6. Build A Fire
  7. 7. Capelton Hill
  8. 8. Hoping
  9. 9. To Feel What They Feel
  10. 10. If I Never See London Again
  11. 11. I Need The Light
  12. 12. Snowy Owl

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