laut.de-Kritik
Liebe und Kitsch am Rande des Nervenzusammenbruchs.
Review von Jasmin LützBei Stephan Sulke schießt einem zunächst die Zeile "Uschi mach kein Quatsch" in den Kopf. Und dann war da noch was mit Busen und "sei doch lieb zu mir". "Uschi" war 1982 der Hitparaden-Hit. Mit acht Jahren hörte das damals ein eher schüchternes Kind und wusste so gar nichts damit anzufangen. Aber Mami war Fan und die Kassette lief neben Roland Kaiser und Udo Jürgens fast täglich in der Küche, wo man zusammen saß und Leckereien zubereitete. Fast 25 Jahre Jahre später dann ein Schreiben vom Lieblingslabel Staatsakt. Stephan Sulke hat ein neues Album "Liebe Ist Nichts Für Anfänger". Allein der Albumtitel hat ein Graffiti auf jeder Häuserwand verdient.
Mit folgendem Satz bewarb sich Herr Sulke beim Label: "Ich habe gehört, dass beim Label Staatsakt die gescheiten Künstler des Landes ihre Platten veröffentlichen." Recht hat er. Zum Glück wurde ihm ganz herzlich die Label-Tür geöffnet. Neben Andreas Dorau, Stereo Total, Knarf Rellöm und Christiane Rösinger lebt sich der Schweizer Liedermacher sehr gut bei seinen neuen Pop-Nachbarn ein. Alle tragen den Stift am richtigen Fleck, und da passen Sulkes ausgeglichene Zeilen von "Dämlich, Wie Ein Kalb" und Protest-Parolen in "Eu-Ro-Pa" wie die Faust aufs Auge.
Manchmal vielleicht ein wenig zu viel Schlager-Chanson-Troubadour-Alarm , aber dafür mit echtem Gefühl und Sinn für poetische Traurigkeits-Lyrik. Mit der Pianoballade "Ich Geb Mein Herz Nie Mehr" eröffnet Stephan Sulke sein Song-Repertoire und trifft gleich mitten rein in die Wunde und weit verbreitete Stimmungslage. Bei diesem Lied bleibt kein Auge trocken. Wer sich hier nicht rein versetzen kann, dem wachsen entweder Eisblumen aus dem Arsch oder der hat vom Leben noch nicht viel mitbekommen. Er singt zwar: "Ich werd hier keine Hymne singen ...", aber die Hymne 2017 hat er mit diesem Song sicher festgelegt. Da kannste dat "Uschi" aber mal ganz schnell vergessen.
Zwischen Ironie und Ehrlichkeit bewegt sich Sulke in seinen Kompositionen. Dabei lässt er auch Mut zur Albernheit und Country-Gedöns nicht aus ("Edelmetallalter"). Variationen in der Stimme gibt es ebenfalls. Sein Gesang wechselt zwischen leise schmachtend oder mal mit richtiger Schnauze, die man sich in Berlin ganz schnell angewöhnen kann, Alta!
Ein richtiger Staatsakt-Song ist "Blöde". Der schmissige Ohrwurm mit tanzbarem Rhythmus und Guter-Laune-Puppe als Gesangspartner sorgt für heitere Momente. Damit kann er bitte auch gleich mit Dorau und Stereo Total auf Tour gehen.
"Liebe wird oft überbewertet. Liebe ist nicht so wichtig wie man denkt" hieß es in den 90ern bei den Lassie Singers (Hotel Hotel), und noch heute singt Frau Rösinger überzeugt diese Zeilen. Herr Sulke schüttet das Gefühls-Chaos lieber mit jeder Menge Alkohol zu: "Du schenk mal was ein von dem Wein" und behauptet "Liebe Ist Nichts Für Anfänger". Darf man unterschreiben.
Und auf jeden Fall steckt in dieser Platte sehr viel Liebe. Kitsch am Rande des Nervenzusammenbruchs gibt es dann fast zum Schluss mit dem "Geburtstagslied". Dafür gibt es dann aber keinen Tusch. Und auch nicht für die Synthie-Nummer "Ich Bin So Traurig, Mann Oh Mann". Der Trip zurück in die 80s berührt dann leider gar nicht mehr. Und am Ende wünscht man sich dat "Uschi" zurück!
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