laut.de-Kritik
Zauberland ist abgebrannt.
Review von Artur SchulzAuf dem Cover gibt Stevie Nicks wie eh und je die Märchenprinzessin des Pop und Rock. Gewandet in ein schwarzes Kleid, führt sie einen Schimmel zwischen dichtbestandenen Bäumen im Schein der Abendsonne. Doch schon hier stimmt etwas nicht: nur ein schlichtes Pferd, kein Einhorn? Die technisch inszenierte Lens Flare-Optik lässt gleichfalls keine Stimmung aufkommen. "In Your Dreams" entpuppt sich im weiteren Verlauf folgerichtig als überraschungsarm gestalteter Longplayer.
Stevies Stimme weckt im Titeltrack zunächst freudige Erwartungen, die jedoch rasch in Enttäuschung umschlagen. Die Komposition dümpelt in biederen Singer/Songwriter-Gefilden herum, das lasch eingespielte Arrangement versetzt dem Track den Todesstoß. Die harsch vorgehende E-Gitarre wirkt durch ihr stetiges Overacting deplatziert und aufgesetzt.
Ein übles Knüppel-Schlagzeug zieht sich als roter Faden durchs Album und zerstört eine Menge Songs. Tempo mit Hektik verwechselnd, kommt "In Your Dreams" zu keiner Zeit richtig auf den Punkt. Alles geschieht zu schnell, zu hektisch, als ob handelsübliche Versatzstücke möglichst rasch eingeworfen und abgehandelt werden müssen. Ähnlich missraten wie die nur hingeklatschten Orgel-Parts bleibt der Rocker "Ghosts Are Gone" auf der Strecke. In biederer Country-Grillabend-Akustik versandet "For What It's Worth".
Die "Wide Sargasso Sea" zeigt sich treffsicherer und stimmiger austariert, erreicht dennoch zu selten überdurchschnittliches Nicks-Niveau. Die Produktion killt eine an sich fesselnd aufgebaute Atmosphäre mit zu greller Inszenierung. "Moonlight (A Vampire's Dream)" gestaltet sich für jeden aufrecht agierenden Blutsauger als Alptraum. Keine Spur von echter Leidenschaft und Sinnlichkeit, dafür jede Menge dünnblütige, temperamentlose "Twilight"-Betulichkeit. "She really feels / burning like the candle / in the middle". Minuten später dann: das Kerzlein "Burns bright / then the candle dies". Bedeutet: Erlösung für den Hörer.
Stevies Stimme, wenngleich mit hörbarer Alter-Patina überzogen, gefällt noch immer dank ihrer spröd-lakonischen Rauchigkeit. Doch dieses Potential setzt "In Your Dreams" zu selten gewinnend in Szene, wie früher in Klassikern der Kaliber "Edge Of Seventeen", "Dreams" oder "The Wild Heart".
Nur einmal kehrt die verloren gegangene Magie früherer Tage in Ansätzen zurück. Der "Italian Summer" entführt endlich ins Feenreich, dank sehnsüchtig umher wandernder Melodieführung. Am Ende des italienischen Sommers peitscht der Regen durch alte Straßen und Erinnerungen an romantische Tage wärmen das Herz. Die Streicher sitzen, Stevies Gesang und Lyrics überzeugen, doch ein unentschlossen, fast einfältig umher taumelndes Schlagzeug macht dem Song fast den Garaus. Die Chance, die Nummer als große Mitternachts-Walzer-Verführung zu inszenieren, wird dadurch allzu leichtfertig verschenkt.
Trotz der Mitwirkung einer Menge Gaststars (u. a. Dave Stewart, Glen Ballard, Mike Campbell) hinterlässt "In My Dreams" bestenfalls einen durchschnittlichen Eindruck. Besonders der in der Werbung groß herausgestellte Dave Stewart trägt mit lascher Produktion sowie berechenbaren Gitarren-Einlagen wohl eine Mitschuld am bescheidenen Ergebnis, das größte Manko allerdings ist, dass Stevies neue Kompositionen zu selten den fantasievollen Geist eines Wizard Of Oz atmen. Zauberland ist abgebrannt.
2 Kommentare
Finde ich eigentlich gar nicht schlecht das Album!
Beim ersten Hören war ich auch eher enttäuscht und die drei Songs im 2. Absatz sowie den Titeltrack finde ich auch eher mau.
Aber den rest finde ich überraschend gut. Insbesondere das unjverkennbar von Dave Stewart produzierte (und auch geschriebene?) "Everybody loves you" sowie doch "Moonlight" und "Italian summer" sind m.E. starke Stücke!
Recht gute Songs, Frau Nicks ist gut bei Stimme. Arrangements und Produktion sind überladen, da ist kaum "Luft" dazwischen. Ich vermute, da ist ein gutes Stück Dave-Stewart-Ego reingemischt.