laut.de-Biographie
Stieber Twins
Nicht Hamburg, nicht Stuttgart und schon gar nicht Berlin ist die Geburtsstadt des deutschen Hip Hop. Seine Geburtsstunde feiert Rap aus deutschen Landen in einem kleinen Städtchen am Neckar. Weniger als 150.000 Einwohner hat Heidelberg, dafür aber die aufbrausendste Szene der Bundesrepublik – zumindest Mitte der 1980, als die Stieber Twins den Hip Hop für sich entdecken.
Eine Kassette gibt den Ausschlag, die die Gebrüder Stieber 1983 auf dem Schulhof finden. Darauf finden sich die Größen der noch frischen Bewegung, allen voran natürlich Grandmaster Flash & The Furious Five. Der erste Track, der den Stiebers zu Ohren kommt, stammt jedoch von Malcolm McLaren: "Buffalo Gals".
Elf Lenze ist Martin zu diesem Zeitpunkt alt. Sein Bruder Christian ist drei Minuten jünger. Die beiden Heidelberger sind von Beginn an infiziert, die Inkubationszeit soll jedoch einige Jahre in Anspruch nehmen. Es braucht seine Zeit, um zum wohl wichtigsten Duo des deutschsprachigen Sprechgesangs heranzuwachsen.
Zumal das MCing nur ein Teil des stieber'schen Verständnis von Hip Hop darstellt. Die Zwillinge frönen allen vier Elementen. Eine AG in der Schule befriedigt das Verlangen nach Graffiti, die Rocksteady Crew liefert den Soundtrack zum Breakdance. Das DJing folgt auf dem Fuß.
Erst Mitte der 90er erscheint auf der legendären Compilation "Die Klasse von '95" mit "Allein Zu Zweit (Erfolglos Glücklich)" der erste Raptrack des Duos. Mittlerweile nennen sich die beiden Mr. Mar a.k.a. Marschall Mar a.k.a. Martin Jekyll und Luxus Chris a.k.a. Christian Hyde a.k.a. Der kleinere Twin-Tower.
Raffinesse ist von den Kurpfälzern mit dem auffälligen Akzent nicht zu erwarten. Von Beginn an orientiert sich ihr Verständnis der Musik an der New Yorker Spielart. Beats im Stile der großen DJ Premier, Pete Rock oder Mobb Deep, gepaart mit Brachialraps der Marke Arschtritt. Den Ruhm und kommerziellen Erfolg der weltbekannten Kollegen erreichen die Stiebers freilich nicht. Wozu auch? "Wir waren zwar sicher Mitte der 90er bis 2000 nicht mehr wegzudenken, aber dennoch sind wir auch in dieser Zeit stets unseren Berufen nachgegangen", blickt Martin 2008 in einem Interview zurück.
Tatsächlich kollaboriert vor der Jahrtausendwende alles, was Rang und Namen haben will, mit dem Brüderpaar vom Neckar. Die Beginner, Dendemann, Curse, MC Rene, Max Herre oder Samy Deluxe sind nur einige wenige der unzähligen Namen. Die beiden Letztgenannten sorgen mit Features auf "Malaria", das 1999 auf der gleichnamigen EP erscheint, für das letzte große Ausrufezeichen der Stieber Twins. Martin betreibt zu diesem Zeitpunkt schon einen Schuhladen, der zudem Hip Hop- und Graffiti-Utensilien führt, während Chris Architektur studiert.
Sein Geld mit Hip Hop zu verdienen, stand für die Brüder nie zur Debatte, "denn bei Chartrap-Geschichten muss ich grinsen wie Cher beim Liften". Im Mittelpunkt stehen seit jeher die Musik und die Kultur als solche. Die Verachtung von Major Labels, A&Rs, Sell-Out und falschen Images bestimmen die Titel - Themen, die enorm mit dem Mainstream-Rap aus dem Berlin der späten 2000er Jahre kollidieren. Vergessen sind die Stiebers allem Wandel der Hip Hop-Welt zum Trotz aber nicht. Huss & Hodn widmen den Heidelbergern mit "Radiowecker" auf dem Album "Jetzt Schämst Du Dich!" von 2008 eine Hommage.
Es ist die Vorstufe des Abgesangs des Duos. Im Laufe der Jahre werden Auftritte der Stiebers immer seltener. Während Martin noch regelmäßig auflegt, steht Christian als Architekt und Familienvater mitten im Leben. Hin und wieder zieht es sie noch auf die Bühnen der Republik, um vor kleinem Publikum alte Zeiten aufleben zu lassen.
Eine zweite Platte erschien nie. "Man hat auch zuviel Flausen im Kopf gehabt, man hat nebenher noch gelebt. Man hat sich einfach verloren. Das ist schlicht und ergreifend der Grund", bedauert Martin 2010 im Interview mit rap.de. Das Debüt ist gleichzeitig der Schlusspunkt – und ein Monument des deutschen Hip Hop.
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