laut.de-Kritik
Simpsons Liebe für Bluegrass: Eine Lagerfeuergeschichte.
Review von Mirco Leier"Outlaw Country": Auf dem Papier könnte es wohl kein passenderes Schlagwort geben, um Sturgill Simpsons wagemutige Artistik zu beschreiben. Der musikalischer Grenzgänger, der schon seit seinem Debüt diesem reaktionären Genre gleichermaßen in den nach Mottenkugeln stinkenden Hosenboden tritt, ist im besten Sinne des Wortes ein Außenseiter. Mediale Aufmerksamkeit kann er ungefähr so gut ausstehen wie Rednecks den Fakt, dass 2019 ein schwarzer, schwuler Mann an der Spitze der Country-Charts stand. Und auch Erwartungshaltungen schießt er gerne bewusst in den Wind, wie er spätestens mit seiner Japan-inspirierten sleazy Rock-Odyssee "Sound & Fury" unter Beweis stellte.
Um so überraschender ist es nun (oder eben gerade nicht), dass seine Interpretation von jenem "Outlaw-Country" auf seiner neuesten LP doch ungewohnt konventionell, ja fast schon konservativ ausfällt. Das ist allerdings nicht unbedingt etwas schlechtes, vielmehr ist "The Ballad Of Dood & Juanita" eine mühelos-gelungene Fingerübung in musikalischer Tradition, die den Urvätern des Genres Tribut zollt, ohne allzu altbacken zu klingen.
Wie Cash, Jennings und Williams vor ihm lädt auch Simpson ans Lagerfeuer, wo er das tut, was diesem Genre besser gelingt als fast allen anderen: Er erzählt uns eine Geschichte. "Come hear a tale out of the trails of old Kentucky hills", verkündet im "Prologue" ein marschierender Soldaten-Chor, begleitet von Trommeln und Gewehrfeuer. Inmitten dieses Bürgerkriegs-Szenarios führt Simpson wenig später die titelgebenden Figuren ein. Dood, ein raubeiniger Draufgänger, sein "Monster von einem Maultier Shamrock, sein treuer Hund Sam und seine Geliebte Juanita, die so es das Schicksal will, eines unschuldigen Tages beim Gärtnern von einem skrupellosen Banditen namens Seamus entführt wird.
In der Folge tut Dood das, was jeder Mann in Geschichten wie diesen tut: Er schultert seine Flinte, schwingt sich auf sein Reittier und schwört seiner Liebe, sie zurückzuholen, komme was wolle. Wie das instrumentale Grundgerüst, so ist auch die Ballade die Simpson singt, voll charmanter Klischees, weiter nuanciert durch sein großartiges Talent als Songwriter.
Rustikale Bluegrass-Arrangements begleiten Dood auf seiner Reise durch die weitläufige Prärie, über die schroffen Klippen des Black Mountains und entlang des reißenden Kentucky Rivers. Die Musik seiner Heimat und seiner Jugend, die Simpson spielt, ist auch die treibende Kraft, die der klassischen Revenge-Story ein wenig von ihrer eingestaubt Magie zurückgibt.
Wenn Dood zu spät kommt, um seine Liebe vor dem Banditen zu beschützen, weinen die Gitarren mit ihm. Wenn er auf dem Rücken von "Shamrock" wenig später entschlossen von dannen zieht, verkünden die Banjos Aufbruchstimmung. Wenn er von seiner "Juanita" träumt, sieht man sie, begleitet von Willie Nelsons Gitarrenspiel und einer verliebten Mundharmonika, vor dem inneren Auge, wie sie mit ihrem endlos-langen schwarzen Haar spielt. Und wenn Dood nach einer niederschmetternden Wendung des Schicksals seinen vierbeinigen Begleiter "Sam" begraben muss, verstummen die Instrumente vollständig.
Mit "Go In Peace" findet die Geschichte dann wenig später doch noch ihr verdientes Happy End. Banjos, Gitarren, Mandolinen, Mundharmonikas - alle steigen sie in den fröhlichen Reigen mit ein, wenn Dood seine Juanita aus den Klauen ihres Kidnappers befreit. Wie in einer Jam-Session schaukeln sie sich abwechselnd in immer euphorischere Höhen, bis es am Ende versöhnlich heißt: "He and Juanita went home happily".
In weniger als einer Woche war das gesamte Album im Kasten. Unterstützung erhielt Simpson dabei von den Hillbilly Avengers, seiner Band, die ihm auch schon bei seinen beiden "Cutting Grass"-Alben zu Seite stand, auf denen er seine alten Songs mit noch älterem Bluegrass neu auflegte. Diese Eingespieltheit und der rasiermesserscharfe Fokus, die "The Ballad Of Dood & Juanita" zu Grunde liegen, hört man. Das Album hat kein Milligramm Fett und ist von der ersten bis zur letzten Sekunde in sich stimmig. Simpson schweift nicht ab, sondern gibt einer so altbackenen und simplen Geschichte nur so viel Zeit wie sein muss, aber gerade genug um ihr zumindest ein wenig emotionale Tiefe zu verleihen.
So wenig wie es jedoch am Album auszusetzen gibt, so wenig bleibt davon langfristig hängen. Dafür fehlen die biographische Grandiosität von "A Sailors Guide To Earth" und die musikalischen Wagnisse von "Metamodern Sounds in Country Music". "The Ballad Of Dood & Juanita" wirkt in der versatilen hochambitionierten Diskografie Simpsons wie eine Randnotiz, die nur dafür gemacht scheint, von seinen nächsten hochgestocheneren Bemühen überschattet zu werden. Dennoch: Wer untermalt von einem Potpourri an lebendiger Country-Instrumentation einer klassischen Western-Geschichte lauschen will, der wird dieses Jahr Schwierigkeiten haben, eine bessere Alternative zu finden.
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