laut.de-Kritik

Harte Riffs für die Generation Instagram.

Review von

Ganze fünf Jahre Zeit haben sich Subway To Sally für "Hey!" Zeit gelassen. 2017 bauten sie mit der Live-Platte "Neon" die modernen Electronica-Elemente, die auf "Mitgift" neu dazukamen, noch weiter aus. Nun konzentrieren sie sich wieder vermehrt auf harte Riffs. Dennoch erweitert das Potsdamer Septett sein musikalisches Potpourri erneut, diesmal um Einfüsse aus Glam-Rock, Rap und Metalcore.

Den letztgenannten Stil frönen STS zu Beginn in "Island", das in den Strophen mit einer Akustikgitarre und Dubstep-Elementen noch recht verhalten klingt, aber im Refrain mit satten Riffs Ingo Hampfs, folkigen Einsprengseln und Schlachtrufen aus dem Vollen schöpft. Dazu schleudert Chris Harms von Lord Of The Lost der Generation Instagram, die schon mit Neunzehn mehr Länder gesehen hat, als ihre Eltern in ihrem gesamten Leben, entgegen: "Dann wander doch nach Island aus." An bissiger Gesellschaftskritik mangelt es der Scheibe nicht.

So beziehen Subway To Sally kritisch Stellung zur Konsumsucht im digitalen Zeitalter ("Messias"), zu Mobbing ("Königin Der Käfer"), zu menschliche Gier ("Selbstbetrug") und gar zum Klimawandel ("Bis Die Welt Auseinanderbricht"), überraschen jedoch auch hier und da mit zuversichtlichen Zeilen, etwa wenn es in "Ausgeträumt" heißt: "Zeit, an uns zu glauben, wir sind noch nicht besiegt, erst der Letzte macht am Schluss die Lichter aus.". Da es um die Welt so schlecht wie lange nicht mehr steht, bleibt nur noch die Flucht nach vorne. Utopien dürfen also wieder aufleben.

Trotzdem kommen Fans traditioneller Lied- und Dichtkunst an einigen Stellen durchaus auf ihre Kosten. "Imperator Rex Graecorum" entstammt der Carmina Burana. "Alles Was Das Herz Will" basiert auf einer Komposition des Dudelsackspielers Thomas Zölle, und "Am Tiefen See", die einzige Ballade auf der Platte, bildet den Nachfolger des Klassikers "Die Rose Im Wasser". Nur hinkt oftmals die Musik dem lyrischen Anspruch hinterher.

"Imperator Rex Graecorum" rockt zwar geradlinig nach vorne, hinterlässt aber melodisch kaum einen bleibenden Eindruck. Das selbe Bild in "Aufgewacht", wenn fette Breitwandriffs jegliche Spannung schon im Vornherein ersticken.

Auch die neuen stilistischen Elemente helfen nicht unbedingt. In "Messias" schießen die Potsdamer mit Oho-Chören, Honky-Tonk-Piano und der Gary Glitter-Phrasierung Eric Fishs über das Ziel hinaus. Ebenso macht Dero von Oomph! mit seinen Raps in "Selbstbetrug" keine gute Figur, zumal er uns die Botschaft ohnehin mit dem Vorschlaghammer eintrichtert.

Da war Hauptkomponist Ingo Hampf vielleicht etwas mit zu viel Enthusiasmus bei der Sache, als er der Band seine Ideen vorstellte. Am überzeugendsten sind Subway To Sally immer noch dann, wenn harte Riffwände, orchestraler Bombast, traditionelle akustische Klänge, metaphernreiche, mystische Lyrik und mitreißendes Songwriting gleichberechtigt nebeneinander stehen und so eine homogene textliche und musikalische Einheit ergeben.

Als Paradebeispiel sei vor allem "Königin Der Käfer" genannt, das in den Strophen mit harten Industrial-Anleihen aufwartet, die die lange und schmerzhafte Leidensgeschichte der Hauptprotagonistin mit bedrohlichen Mitteln untermalen. Die sich dann zu einem majestätischen Refrain mit viel Geriffe und Gefiddel aufbäumt, und nach einer verspielten, instrumentalen Bridge sinfonisch aus allen Nähten platzt, um ihren geplanten Rachefeldzug noch mehr Nachdruck zu verleihen. Da kommt im besten "Carrie"-Sinne Gruselstimmung auf.

Auch "Bis Die Welt Auseinanderbricht" hat Hit-Qualitäten, wenn zorniger Gesang, pompöse Chöre, undurchdringliche Gitarrenwände und tänzerische Folk-Einlagen von der Rache der Natur künden, wenn der Mensch durch Krieg und Zerstörungslust noch weiter Raubbau an ihr betreibt. Die Zeile "Bis die Welt auseinanderbricht, alles zusammenbricht, tanzen wir auf Schutt und Scherben" sollte man als Warnung verstehen und als Weckruf, selber endlich Haltung zu zeigen und aktiv zu werden.

Dennoch ebnet gerade 'Ally' Storch, die von nun an "Frau Schmitt" ersetzt, als klassisch ausgebildete Geigerin den Potsdamern den weiteren musikalischen Weg. "Anna's Theme" beruht auf der Filmmusik von "The Red Violin" und geizt als melancholisches, virtuos dargebotenes Instrumental ebenso wenig mit cineastischen Anleihen. Ally hat einen Progrock-Background, der zwar auf diesem Album noch keine große Rolle spielt, aber wer weiß, wohin die Reise der Band noch geht, falls sie sich in Zukunft stärker im Songwriting einbringen sollte.

Dementsprechend könnte die Platte als eine Art Übergangswerk, das mehr von stilistischer Abwechslung als von einem roten Faden lebt, tatsächlich eine neue Ära einläuten. Jedoch hätte ein konzeptueller Überbau und musikalische Stringenz "Hey!" sicherlich nicht geschadet, zumal die Qualität der einzelnen Songs zwischen Großartigem und Verzichtbarem noch zu sehr schwankt. Auch bleibt abzuwarten, wie sie im Livekontext funktionieren. Zu Hause ziehe ich aber doch lieber "Mitgift" aus dem Schrank, das durch die schaurige, elektronisch verstärkte Kulisse wie aus einem Guss erscheint.

Trackliste

  1. 1. Island
  2. 2. Imperator Rex Graecorum
  3. 3. Königin Der Käfer
  4. 4. Messias
  5. 5. Die Engel Steigen Auf
  6. 6. Anna's Theme
  7. 7. Am Tiefen See
  8. 8. Selbstbetrug
  9. 9. Bis Die Welt Auseinanderbricht
  10. 10. Alles Was Das Herz Will
  11. 11. Aufgewacht
  12. 12. Ausgeträumt

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1 Kommentar mit einer Antwort

  • Vor 5 Jahren

    Bodenskis Texte werde ich nicht als schlecht bezeichnen, aber als oberflächlich. Irgendwie hört man auch überall StS raus, aber es klingt trotzdem nicht nach Eric und co.

    Mitgift hatte ein unglaubliche Atmosphäre trotz, oder gerade wegen der, Synthies und dem dunklen wobble Bass. Aber hier passt nichts so richtig zusammen. Die Königin der Käfer wirkt wie eine modernisierte Schneekönigin mit 808-Drums in den Strophen. Dass Youtubekommentarmenschen "Messias" als Gott ist ein Popstar 2 bezeichnen spricht für sich, auch wenn die es vermutlich als Lob meinten.

    Das Album als Fan zu mögen, fällt nicht so schwer, dafür hört man den gefestigten prinzipiellen Stil von StS an zu vielen Stellen heraus (Erics Stimme, heavy Riffs mit Geigenmelodien, etc). Aber der Deutschrock-Einfluss mit hirnfreien "Woohoo Woohoo"-Refrains ist eine Beleidigung für den Zuhörer.

    Wie will man das live denn machen? Erst Haus aus Schmerz, wo jeder Fan im Publikum fast schon andächtig lauscht und im Anschluss dann Rentner-Animation á la Revolverheld, SDP oder Sportfreunde Stiller?

    Fazit: Das ganze ist eher ein Mixtape als ein richtiges StS-Album. Ebenso wie der Albumtitel nicht so richtig zum bisherigen Schaffen der Band passt, passen die Lieder untereinander maximal mäßig zusammen und wirken, als hätte man von vielen vorherigen Alben Titel zusammengeglaubt (Beispiele: Am tiefen See - Schwarz in Schwarz, Königin der Käfer - Mitgift, Selbstbetrug - ein bisschen Gotteskrieger aber eher Oomph, Die Engel steigen auf - auch irgendwie Engelskrieger oder Kreuzfeuer).

    Die Band mit dem längsten Lauf an, in meinen Augen, richtig guten Alben hat vielleicht nicht schlecht abgeliefert, aber weit unter ihren Möglichkeiten imo.

    • Vor 5 Jahren

      Sehe ich, wie ich in meiner Review schon geschrieben habe, ähnlich (bis auf "Königin der Käfer", wo für mich dann doch alles stimmig ineinandergreift). Für mich eher eine 2,5 als eine 3.