laut.de-Kritik
Sie kamen, sie waren seltsam, sie siegten.
Review von Sven Kabelitz"Let's stay together, let's stay, these days are ours." Ironie des Schicksals. Im Februar sangen Suede auf ihrer Non-Album-Single "Stay Together" noch vom Zusammenhalt. Wenige Monate später, während der Aufnahmen am darauf folgenden Longplayer "Dog Man Star", fand Gitarrist Bernard Butler sein Equipment und seine Gitarre vor der verschlossenen Studio-Tür wieder. Auf dem Siedepunkt der bandinternen Streitereien setzten Suede eine Hälfte ihres gehypten Songwriterduos Anderson/Butler im wahrsten Sinne des Wortes auf die Straße.
Gerade einmal zwei Jahre zuvor fand sich die Band, ohne auch nur eine Single veröffentlicht zu haben, mit der Schlagzeile "The best new band in Britain" auf dem Cover des Melody Maker wieder. Im Februar 1993, einen Monat vor dem Erscheinen ihres selbstbetitelten Debütalbums, kündigte Host Richard O'Brien die Band bei den Brit Awards als "the already legendary Suede" an. Zu den ersten verstolperten Takten von "Animal Nitrate" klopfte sich der in eine Frauenbluse gekleidete Sänger Brett Anderson mit dem Mikro auf seinen Hintern. In der Folge schoss das Album "Suede" im März auf Platz eins der britischen Charts. Sie kamen, sie waren seltsam, sie siegten.
Anstatt das Erfolgsrezept in die zweite Runde zu schicken, wagten sich die vier Briten für "Dog Man Star" einen deutlichen Schritt nach vorne. Jedem einzelnen Stück wohnte ein gebrochenes Herz inne. Unter der gewollt melodramatischen, zügellosen, paranoiden und zeitweise maßlos überproduzierten Oberfläche lauerten dunkel dreinblickende Dämonen. Epischer Glamrock, dessen düstere Wolken allein die kompositorischen Fähigkeiten des Duos Anderson/Butler zusammenhielten.
Während Blur mit "Parklife" und Oasis mit "Definitely Maybe" die Flagge Großbritanniens hissten, sang Anderson "I don't care for the UK tonight" (in "Black Or Blue"). Von David Bowie, Scott Walker, Kate Bush und Lou Reed inspiriert, distanzierten sich die Briten von der von ihnen mit ins Leben gerufenen Britpop-Szene und entwarfen mit ihrem zweiten Longplayer die Antithese sowie eine zynische Abrechnung.
"Wir hätten nicht weniger Interesse an dieser ganzen versoffenen, cartoonartigen, verfälschten Working-Class-Sache haben können", erzählte der Sänger 2008. "Mit 'Dog Man Star' entfernten wir uns bewusst so weit wie möglich von all dem, das die Szene ausmachte. Es ist episch, qualvoll, sehr sexuell und persönlich. Keines dieser Attribute trifft auf Britpop zu."
Für das Schreiben der Texte zog sich Anderson in die Einsamkeit eines viktorianischen Herrenhauses in Highgate zurück. Zeitgleich verlor sich Butler mehr und mehr in der Trauer um seinen im Herbst 1993 verstorbenen Vater. Das einzige, das den aufgeplusterten Rockstar und den zurückhaltenden Gitarren-Nerd noch verband, war ein Gefühl der Einsamkeit. Ansonsten begannen sie, sich öffentlich zu zerstückeln. Die Lyrics zu der "Stay Together"-B-Seite "The Living Dead" kommentierte der Gitarrist recht deutlich: "Ich habe dieses wunderschöne Stück Musik geschrieben, und er macht es zu einem dreckigen Lied über Junkies."
Meinungsverschiedenheiten über "The Asphalt World", "Still Life" und den Produzenten Ed Buller vergifteten die Atmosphäre. In einem Gespräch mit dem Vox-Magazin trieb Butler den Zoff auf die Spitze. Das Interview gipfelte in der Aussage: "Brett treibt mich in den Wahnsinn." Die Spannung kochte über. Es war nur allzu deutlich, dass Suede in diesem Zustand nicht weiter existieren konnten. Anderson, Osman und Gilbert zogen einen schmutzigen Schlussstrich unter die Akte Butler.
Bereits beim Einstieg in ihr letztes gemeinsames Werk verschrecken Suede vorsätzlich mit dem bockbeinigen Auftakt "Introducing The Band". Anderson verarbeitet über ein monoton dahin schleifendes Gebilde ein buddhistisches Mantra, das er in einem Tempel in Kyoto aufgefangen hat. Während Butler im apokalyptischen "We Are The Pigs" den tasmanischen Teufel gibt, schmettert Anderson eine dekadente Hymne auf Chaos, Aufruhr und Untergang: "We all watch them burn." Ein beängstigender Blick in eine von George Orwell infizierte Zukunft. "Wenn du wissen möchtest, wie die Zukunft aussieht, stell dir einen Stiefel vor, der immer und immer wieder in ein menschliches Gesicht tritt, unaufhörlich."
"She walks in beauty like the night." Mit den ersten Zeilen aus Lord Byrons "She Walks In Beauty" beginnt "Heroine". Die Begierde nach seiner Norma Jean, seiner Aphrodite, treibt einen Teenager in Sucht und Isolation. "My Marilyn come to my slum for an hour." Wie im experimentellen "Daddy's Speeding", das eine Kakophonie aus verzerrten Gitarren, Hubschraubern, Moog-Synthesizern und Feedback begleitet, wird eine künstliche Beziehung zu einer überzeichneten Fantasiefigur gesucht. In der zerbrechlichen Laudatio fantasiert Anderson über James Deans Tod.
Das zeitlose Drama "The Wild Ones" zelebriert mit Referenzen an Scott Walker, Edith Piaf und Jacques Brel die vollkommene Schönheit der Musik. Eine herzzerreißende Ballade voller Tragik und Romantik. In seiner Einsamkeit wälzt sich der Sänger, besessen von Paranoia und Selbsthass, in den Scherben einer sterbenden Beziehung. "We'll shine like the morning and sing in the sun, oh if you stay / We'll be the wild ones, running with the dogs today."
Anstatt den einfachen Weg zu wählen und sich im Geschrammel auf drei Akkorden zu verlieren, entscheidet sich die Band für den zerklüfteten Kurs und nimmt jeden sich bietenden Schlenker mit. Gleichwohl gehört "Dog Man Star" alleine dem verlorenen Bernard Butler. Anarchisch verknüpft er Solo- und Rhythmusarbeit zu einer komplexen und nicht mehr voneinander trennbaren Wirrnis. Im Grunde durchzieht "Dog Man Star" ein endloses Gitarrensolo.
Trotz allem behält der Londoner, ohne sich mit ausgefahrenen Ellbogen in den Vordergrund zu rücken, den Song immer im Blick. "The Power", das einzige Lied an dessen Aufnahmen er nicht mehr teilnimmt, verdeutlicht dies eindrucksvoll. Ein namentlich nicht genannter Studiomusiker versucht sich als Butler-Kopie und bleibt farblos.
Das mit einem muffigen Bläser-Arrangement überfüllte "New Generation" nimmt den Kurs voraus, den Suede nach "Dog Mag Star" einschlagen. Der süßlich bittere Pop-Song trägt die DNA in sich, aus der spätere Hits entstehen. "Ein wirklich, wirklich schlechter Mix", erinnert sich Anderson. "'Trash' war im Grunde mein Versuch, 'New Generation' zu überarbeiten."
Die zwei Tracks, die zu Zwietracht zwischen Butler und der Band führten, beenden "Dog Man Star". Laut Bassist Osman sollte die vom Gitarristen geforderte Version von "The Asphalt World" über 25 Minuten dauern: "Viele seiner musikalischen Ideen waren viel zu grob zum Hörer. Er erwartete einfach zu viel von ihnen." Man sollte seiner Gefolgschaft aber auch etwas zutrauen, und sie nicht für kleine Kinder in der Krabbelstube halten.
Letztendlich schafft es das Stück auf stattliche 9:25 Minuten, die bis heute uneinholbar über der Karriere von Suede thronen. Eine komplexe, kalte Reise durch eine trostlose, urbane Welt voller Drogen und Eifersucht. "I know a girl she walks the asphalt world / She's got a friend, they share mascara I pretend / (...) Well how does she feel when she's in your bed? / When you're there in her arms / And there in her legs / Well I'll be in her head."
Ein ausuferndes Solo lang liegt "The Asphalt World" komplett auf Butlers Schultern. Wie aus dem Geschichtsbuch der 1970er gerissen, spielt das Stück mit Verweisen auf Deep Purple, The Doors und Pink Floyd, bevor der Refrain zurück ins Leben ruft. Anderson nimmt seinen Part an dem Tag auf, an dem er Butlers Interview im Vox-Magazin gelesen hat. "Ich nahm all meinen Schmerz und die Eiseskälte in mir und legte sie ihn meinen Gesang." Man spürt seine verletzte Seele zu jedem Zeitpunkt.
Nahezu unwirklich, als würden Andrew Lloyd Webber und Scott Walker ein gemeinsames Musical produzieren, wirkt das finale "Still Life". Die einsame Hausfrau, die wir auf dem Debüt in "Sleeping Pills" und auf "Dog Man Star" in dem mit einem Bawu-Solo ausgestatteten "The 2 Of Us" kennenlernten, kehrt noch einmal zum ausholenden Finale ihrer Seifenoper zurück. Gefangen im Einsiedlerleben der Vorstadt wartet sie vergeblich am Fenster, Scheinwerfer um Scheinwerfer, auf das Heimkommen ihres geliebten Mannes. "Is this still life all I'm good for too? / There by the window quietly killed for you / And they drive by like insects do / They think they don't know me / They hired a car for you."
Spätestens beim zweiten Refrain legt das Lied jede Zurückhaltung ab. Verschwenderisch, üppig, melodramatisch und mit einem Crescendo zum auf die Knie fallen beginnt das ganz große Drama. Absolut over the top. Dem Zuhörer bleiben nur zwei Möglichkeiten: Entweder man rennt entsetzt und mit den Armen rudernd davon oder ergibt sich mit Pauken und Trompeten dem Kitsch. Verständlich, dass Butler sich für die erste Option entschied und sich vehement gegen den Einsatz des 72-köpfigen Ensembles des Londoner Symphonie-Orchesters sträubte. Aus einer gefühlvollen Ballade schuf der verbleibende Rest von Suede ein gigantisches und ebenso erhabenes Monstrum im rosa Tütü.
Mit letzten Kräften brachten die Briten im Oktober 1994 "Dog Man Star", ihr Meisterwerk, über die Ziellinie. Doch zu diesem Zeitpunkt wollte kaum mehr jemand etwas von diesem sperrigen Monolith wissen. Erst zwei Jahre später starteten Suede 2.0 mit dem zugänglichen Pop-Album "Coming Up" kommerziell durch. Von den tiefschürfenden und experimentellen Ausflügen dieses Werks war fortan nichts mehr zu spüren. Letztendlich hatten sie sich dem Britpop ergeben.
Butler gründete das Soul-Rock-Duo McAlmont And Butler, bastelte an zwei Solo-Platten und zeichnete sich als Produzent von The Libertines, 1990s und Duffys "Rockferry" aus. Doch auch das gemeinsame Comeback der ehemaligen Streithähne unter dem Namen "The Tears" konnte den verflogenen Zauber nicht wieder einfangen.
"Dog Man Star" steht als einsame Attraktion in der Suede-Diskografie. Als eines der besten und theatralischsten Alben der 1990er kam ihm später, befreit vom Zeitgeist, die Wertschätzung zu, die es bereits bei seiner Veröffentlichung verdient gehabt hätte. Jeder folgende Longplayer spülte für einen kurzen Moment die Erinnerung an die Band, die Suede einmal waren, hoch, erfüllte aber nur selten die Erwartungen. Der Butler-Ersatz Richard Oakes kam zu keiner Zeit über den Status einer uninspirierten Kopie des Originals hinaus.
Das 2013 erschienene Comeback-Album "Bloodsports" beschrieb Anderson als eine Mischung aus "Coming Up" und "Dog Man Star". Dabei konnte er ohne Butler nie wieder so kraftvolle Songs wie "The Asphalt World", "We Are The Pigs" oder "The Wild Ones" schreiben. "In each line lies another line full of sacred sound / But you're outside where the companies dream and the money goes round." ("The 2 Of Us")
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
14 Kommentare mit 2 Antworten
Und das nächste 94er-Album...na, dann gleich noch Music For The Jilted Generation von The Prodigy hinterher, aber zackig!
Hab sie mir vorhin auf eure Empfehlung beim Gebrauchtplattenmenschen meines Vertrauens ergattert.
Wehe sie ist die 4 Euro nicht wert.
Platten wie in Vinylplatten? Wenn ja, dann scheint der Typ zwar Ahnung von Musik zu haben, jedoch nicht vom Geschäft... Suche die schon lange und habe schon astronomische Preise dafür gesehen, vier Euro sind ja wohl ein Scherz.
Schön wärs, war aber nur ein Silberling. Aber da der Typ auch Vinyls tickt, nenn ich ihn liebevoll den Plattenmenschen. ^^
Dazu noch die Single "europe is our playground" und man hat fast ne Best of..
balthi more!
Gruß
Skywise
Fürchterliche Band. Free Balthi !
Eines meiner absoluten Highlights der 90er: Bernard Butler live spielen zu sehen.Ein dermaßen begnadeter Gitarrist ich stand nur staunend da und hab danach n halbes Jahr keine Klampfe angefasst....Man kann von Anderson ja halten was man will.aber als Team waren sie unschlagbar!Und gerade live echt verdammt gut!!
Ich höre die beiden Ersten seit 25 Jahren immer wieder.