laut.de-Kritik
Der Altmeister hat einiges zu erzählen.
Review von Yannik GölzEs hat fast etwas Drolliges, 2017 dem Radio noch genug Bedeutung beizumessen, um es als subversive Metapher zu einem ganzen Albumtitel hochzustilisieren. Ein wenig aus der Zeit gefallen; das ist ein Urteil, das man Conscious-Rap abseits der ganz großen Namen gerne mal unterstellt. Und kaum ein Name lockt Nostalgiker, Fortschrittsverweigerer und selbsternannte Realkeeper verlässlicher hinter dem Ofen hervor als Blackstar-Hälfte Talib Kweli, der auf "Radio Silence" einmal mehr gesellschaftskritischen Oldschool-Hip Hop auf höchstem Niveau zum Besten gibt. Doch fast zwei Dekaden im Katalog des legendären rappenden Aktivisten zeigt sich auch hier immer noch ein überraschend rastloser Wille zur Modernisierung.
Talib Kweli geht dabei nicht unbedingt den Newschool-Weg von Lupe Fiasco. Wer Ende der Neunziger Reflection Eternal mochte, der wird immer noch wenig Zeit brauchen, um im Sound des New Yorkers aufzugehen. Doch ganz im Zeichen der wandelnden Zeiten integriert Kweli auf "Radio Silence" die neusten Erkenntnisse der alten Schule zielsicher ins bewährte Konzept: Soul- und Gospelgesang bereichert die Titel in- und außerhalb der Hooks, man spürt deutlich die latenten Querverweise auf Chance The Rapper und Kanye West, die einen Hauch von Chicagos Gotteshäusern durch die Seitenstraßen Brooklyns wehen lassen.
Das funktioniert insbesondere auf Songs wie dem Rick Ross-assistierten "Heads Up Eyes Open", auf dem Yummy Bingham mitreißende Chants zwischen die erbaulichen Rap-Parts einstreut. Religiöse Themen finden sich indes immer wieder auf der Platte. Besonders deutlich auf dem Titeltrack, der sich daran versucht, einen gesellschaftlichen Mittelweg zwischen dem Vertrauen an Wissenschaft und Forschung und institutionalisiertem Glauben auszuloten. Auch wenn sich hier neben einer verwaisten Chemtrails-Referenz ein paar der eher fragwürdige Momente des MCs finden, lässt sich doch die Marschrichtung gut ablesen: Ambitionierte Themen von einem ambitionierten Mann, der sich auch sonst nicht scheut, schwere Fällen mit der nötigen Sorgfalt anzunehmen.
"She's My Hero" diskutiert die nur latent medienwirksame Geschichte der vierzehnjährigen Bresha Meadows, einem psychisch kranken, schwarzen Mädchen, das nach jahrelanger Misshandlung ihren Vater im Schlaf erschießt. Kein einfaches Thema. Doch Kweli bewegt sich durch nuancenreiche Problemfelder wie geistige Gesundheit, Moral, Rechts-System und Stimmgewalt nicht nur mit sensibler Finesse, sondern scheut sich nicht, auch deutliche Position zu beziehen.
Zeilen wie "the justice system is profit, they shuffle us to prison/ But shit is just as toxic for women to get a judge to listen/" zeigen nicht nur das politische Gespür des Rappers, sondern auch die durchaus betonenswerte Eigenschaft, immer wieder mit einer erbaulichen Balance von männlicher Selbsteinschätzung und progressiven, nuanciertem Frauenbild zu glänzen. Ein Track wie "The One I Love" könnte auf so vielen Ebenen nach hinten losgehen, funktioniert aber dank Kwelis detailreichem, wohlwollenden Storytelling mehr als grundsolide.
Wollte man diese Attribute vergleichen, drängt sich hier und da definitiv das rohe, realistische und doch cineastische und intensive Storytelling von Nas auf, das sich allerdings von der "Illmatic"-Linse zu einer Perspektive wandelt, die eher an den Teacher-Anspruch eines KRS-One erinnert. Auf dem lyrischen Posten also viel New Yorker Tradition, musikalisch gibt es aber nebst dem frischen Wind aus Chi-Town noch ein zusätzliches schweres Geschütz aus Montreal, das einem Song wie "Traveling Light" einen ganz besonderen Drall verleiht.
House- und Hip Hop-Produzent Kaytranada gleicht auf dieser Nummer einer Goldmine und kredenzt vielleicht den besten Beat des Albums, das ohnehin schon vor potenter Produktion fast überläuft. Basslastig, funkverliebt und unterschwellig tanzbar, fasst dieses Instrumental die Aufbruchstimmung, den Stolz und den Hunger dieser Platte in vier Minuten perfekt zusammen. Was sich auch auf anderen Songs in unorthodoxeren Synthesizern und originelleren Samples mit an Gospel erinnernden Akkordfolgen widerspiegelt, ist Kwelis Wille zur Innovtaion, die Leidenschaft und Jugendlichkeit, mit der er sich seinem neuesten Projekt angenähert hat. Denn der Mann sucht die Gesellschaft, seine Stimme fordert ihre Sichtbarkeit in der Community geradezu ein. Da geht dann sogar eine Kollaboration mit Trap-Vorzeigeschreihals Waka Flocka Flame überraschend rund und energetisch über die Bühne.
"Radio Silence" wird keine gigantischen Wellen schlagen. Aber es gibt einer der großen, positiven Stimmen der Conscious-Szene eine Plattform, seine Gedanken auf zeitgemäßer BoomBap-Produktion äußerst konsumierbar zu verbreiten. Starke Meinungen, eine ausgewogene und belesene politische Perspektive und einer der handwerklich stärkeren Rapper aus Hip Hops Geburtsstadt sind eigentlich mehr als genug Gründe, sich die neue Platte von Talib Kweli einmal genauer anzusehen. Denn dieser Altmeister hat einiges zu erzählen und trägt immer noch das selbe Feuer in seiner Brust, mit dem er zu Beginn des Jahrtausends seinen ersten Abdruck in der Szene hinterließ.
2 Kommentare mit 3 Antworten
Ah Taliban Quälix wieder unterwegs
Finds immernoch schade, dass das zweite RE so schwach war
Man man, @dieserYannik, Hausaufgaben nicht gemacht, Radio Silence heißt Funkstille und hat mit Radio nichts zu tun, Einleitung verkackt
Klar tuts das, er hat aber auch in Interviews darüber gesprochen, wie er das Verhältnis von Radio zur Gesellschaft einschätzt und dass das n Bezug zum Album hatte
Klar tuts das, er hat aber auch in Interviews darüber gesprochen, wie er das Verhältnis von Radio zur Gesellschaft einschätzt und dass das n Bezug zum Album hatte
Wenn dem so ist, muss ich wohl zurückrudern, zumindest teilweise. Erwähnt wird das im Artikel nämlich nicht, weswegen so mancher der englischen Sprache Mächtige den gleichen Gedanken wie ich fassen könnte.