laut.de-Kritik

Wie kann so etwas Ähnliches so falsch sein?

Review von

Angenommen, da stehen zwei Alben nebeneinander. Eines ist ein zeitloser Pop-Klassiker, ein elegantes, opulentes Album über eine ehemalige Country-Sängerin, die dem Pop auf die beste Art und Weise ins Auge sieht und sowohl mit den Hooks als auch der Atmosphäre in die Rolle des Popstars hineinwächst. Auf der anderen Seite ist ein Album, das fast genauso klingt, aber irgendwie doch nicht. Das große Neuauflage-Projekt von Taylor Swift stößt mit ihrem Magnum Opus "1989" zum ersten Mal an seine Grenzen. Denn wo bislang Alben von vor über zehn Jahren mit ihrem Pop-Country-Gefühl noch recht handlich aufgehübscht werden konnten, muss hier eine Max Martin-Produktion nicht nur eingefangen, sondern bestenfalls verbessert werden. Heraus kommt ein Album, das zu 95% klingt wie das Original – und damit als musikalisches Unterfangen quasi wertlos ist.

Man spürt schon ab dem ersten – und am besten getroffenen – Song "Welcome To New York", das hier Treue im Zentrum stehen soll. Das Intro bleibt nämlich in den Händen von Ryan Tedder und Noel Zancanella, die es bereits im Original zusammengestellt haben: Das sind Popmusik-Arbeitstiere, die Glamour können und wissen, wie man das Gefühl von Aufregung musikalisch einfängt. Wichtig ist: Das sind keine Indie-Artists. Ob man ihre Arbeit an Tracks von OneRepublic oder Maroon 5 mochte oder nicht, sie hat immer diesen Glanz, den man von Popmusik erwartet.

Spulen wir zum Kontrast gleich zu den schlimmsten Neuerungen vor, "Style" und "New Romantics". Ersterer ist vermutlich der, auf den sich die meisten Fans stürzen dürften, immerhin ist "Style" einer der größten Hits in Swifts Karriere. Der Country-Produzent Christopher Rowe zeichnet für den Nachbau verantwortlich, und auch er zielt offensichtlich auf Treue. Nur muss sich hier ein rootsy Country-Typ in Sachen Glanz und Bombast mit Max Martin messen. Das ist Russland gegen Luxemburg. Es ist fast unfair.

Nutzen wir die Chance und reden über Mixing. Dazu haben wir in diesem Rahmen selten die Chance, denn gutes Mixing erkennt man meist daran, dass gar nicht auffällt, dass Mixing im Spiel war. Die Produktion von "Style (Taylor's Version)" summiert leider Details, die in diesem Handwerk einen Klassenunterschied zeigen. Da ist zuerst einmal der Bass, der dumpf vor sich hin schaukelt; im Vergleich mit dem Original merkt man hier schon, wie Martins Version mit einem nokturnalen Schwung, mit einem Sog einsetzt, der viel schneller und tiefer in den Song führt.

Ähnliches gilt für die Percussion und vor allem das Editing; Echos und Reverbs sind in der "Taylor's Version" spärlicher, es soll wohl ein bisschen bodenständiger und erwachsener klingen – das spiegelt sich auch in Taylors Performance wieder, die bodenständig und ein bisschen tiefer im Register anklingt. Tatsächlich klingt es vor allem wie ein Instrumental fürs Karaoke. Noch schlimmer auf dem fantastischen Closer "New Romantics": Das Original ist ein perfekter Popsong, möglicherweise einer der besten überhaupt. Von seiner krisselnden Elektrizität ist trotz allen Versuchen zur Treue nichts übrig.

Shellback und Max Martin haben neben diesem etwas größeren Sound vor allem einen Fokus: Den auf den Rhythmus. Die Original-Songs wirken so rund und geschlossen, weil sie unglaublich gut komponiert und luftdicht tight sind. Die "Taylor's Version" wirkt ein bisschen verblasst. Zu einem gewissen Grad spiegelt sich hier die Indie-isierung von Taylor Swift wider, die seit "Folklore" in vollem Gang ist. Dieses Jack Antonoff-Konzept, das erst ihr Songwriting ins Zentrum gerückt hat, inzwischen aber ein bisschen zum Selbstzweck verkommen ist.

Entsprechend hören sich auch die "From the Vault"-Tracks an. Man merkt zwar an manchem Verweis in Richtung von Harry Styles durchaus, dass die Konzepte oder ein paar Zeilen aus der "1989"-Zeit stammen, aber in Sachen Komposition und Songwriting klingt das alles nach "Midnights". Es klingt ein bisschen kompakter, Taylor geht mit der Stimme tiefer runter, hat diesen Mut zum Abstrakteren und Poetischen, der erst in der jüngeren Phase ihrer Karriere so richtig aufgeblüht ist. Was auf Songs wie "Slut!" oder "Suburban Legends" dann herauskommt, lässt sich sehen; es ist aber eher ein anskizziertes Moodboard als eine wirkliche Ausweitung der ursprünglichen Ära.

Und schließlich muss man leider auch festhalten, dass auch Taylors eigene Performances nicht ganz an das Original heranreichen. Sie hat sich handwerklich verbessert, ihre Reichweite ist gewachsen und das tiefere Register taucht öfter auf, das ist schön. Aber man merkt doch schließlich öfter als nicht, dass die Intensität des Moments, in dem sie das ursprüngliche Projekt aufgenommen hat, nicht mehr so gegeben ist. Und Leidenschaft geht in der Musik immer über das Handwerk.

Würde ich mit jemandem sprechen, der das Album noch nie gehört hat, würde ich leider jeden Tag der Woche auf das Original verweisen. Es ist das bessere Album, es ist das opulentere Album, vor allem aber ist es das lebendigere Album. Glamour ist etwas, das man sich zugestehen muss, und in diesem Moment damals, da hat Taylor Swift den Popstar gegeben, als wäre es die leichteste Sache der Welt. "1989" passt nicht in die "Midnights"-Ära, zu der leider auch die Vault-Tracks zu gehören scheinen. Denn zum ersten Mal sehen wir hier nicht nur Fortschritte ihrer Karriere, sondern auch Rückschritte. Manches muss nämlich eben einfach groß sein und "1989" verdient es, ihr Größtes zu sein.

Trackliste

  1. 1. Welcome To New York
  2. 2. Blank Space
  3. 3. Style
  4. 4. Out Of The Woods
  5. 5. All You Had To Do Was Stay
  6. 6. Shake It Off
  7. 7. I Wish You Would
  8. 8. Bad Blood
  9. 9. Wildest Dreams
  10. 10. How You Get The Girl
  11. 11. This Love
  12. 12. I Know Places
  13. 13. Clean
  14. 14. Wonderland
  15. 15. You Are In Love
  16. 16. New Romantics
  17. 17. Slut!
  18. 18. Say Don't Go
  19. 19. Now That We Don't Talk
  20. 20. Suburban Legends
  21. 21. Is It Over Now?
  22. 22. Bad Blood (feat. Kendrick Lamar)

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9 Kommentare mit 116 Antworten

  • Vor einem Jahr

    Es wirklich super spannend die beiden Version im direkten Vergleich zu hören … ganz besonders dieses besondere Album. Auf der einen Seite eine junge Frau und auf der anderen Seite der gereifte Superstar. Man hört diese unterschiedliche Ausgangslage ganz deutlich in Art, wie die Lieder von ihr gesungen werden. Ich bevorzuge auch die alte Version. Mir fehlt einfach die grenzenlose überschwängliche Begeisterung, die nur ein junger Mensch so authentisch und unaufgesetzt zeigen kann.

  • Vor einem Jahr

    Es zeigt sich mal wieder das Taylor Swift die größte Musikerin dieses Jahrhunderts ist. 5/5

    • Vor einem Jahr

      Ja ok, aber kann sie auch Krebs heilen?

    • Vor einem Jahr

      Sie kann jedenfalls ganz wunderbar Krebs erzeugen.

    • Vor einem Jahr

      Hobelst du dir jeden Tag einen auf deinen ach so überlegenen Musikgeschmack? Der übrigens auch nur 08/15-Rotz ist.

    • Vor einem Jahr

      Fands letztes mal zumindest überraschend originell, das Thema so schnell auf Palästina zu lenken. Hast da zwar so gut vorgelegt, daß es schwieg ist, annähernd da heranzukommen. Aber das hier ist selbst ohne diese Leistung und Deine üblichen Verhältnisse ziemlich öde. Schade. Better luck next time :)

    • Vor einem Jahr

      Ich weiß, deine Freunde aus der MLPD haben ein anderes Niveau. :)

      Ich dachte ja erst noch, du wärst einer der "Guten", aber stehst dann doch leider in einer Riege mit linken Extremisten, Anti-NATO-Trollen und Russlandverstehern wie Dieter Dehm. Eines sei dir gewiss: Ihr werdet nie erfolgreich sein.

    • Vor einem Jahr

      Ich versteh übrigens null, wie mensch die Taten der Hamas null widerlich und verurteilenswert finden kann. Und ich verstehe null, wie mensch sich unbedingt auf die Seite des rechtenbAppardheitregimes Israel stellen kann. Löscht euch am besten einfach beide.

    • Vor einem Jahr

      "Hobelst du dir jeden Tag einen auf deinen ach so überlegenen Musikgeschmack?"

      Weil er Taylor Swift nicht mag? Ich weiß, bei dir brennen seit einiger Zeit offensichtlich ein paar Schaltkreise durch, aber bleib ma auf'm Teppich.

      Ansonsten, was Capsi sagt.

    • Vor einem Jahr

      "Ich versteh übrigens null, wie mensch die Taten der Hamas null widerlich und verurteilenswert finden kann."

      Es gibt auch Menschen, die lachen darüber, wenn Flüchtlinge im Meer ertrinken oder in Transportern ersticken. Was wundert es dich?

      Halten wir mal noch einmal fest, was er schreibt:

      "Nach internationalem Recht ist das, was die Hamas macht, kein Krieg. Es ist noch nicht mal illegal, weil illegal besetzte Gebiete und Siedlungen angegriffen wurden."

      Er drückt sich um die Antwort, welche Gebiete denn nun besetzt seien und gibt hier eine Rechtfertigung für den Terror der Hamas an. Ebenso verurteilt er nicht den Anschlag vom 7.10.

      Der Junge ist doch komplett durch. Der ist hier verbrannt.

  • Vor 7 Monaten

    Das ist ein hervorragender Artikel. Als jemand der täglich mit Musikproduktion zu tun hat kann das alles nur unterstreichen. Ich habe mit so sehr auf diesen Release gefreut aber es ist aus produktionstechnischer Sicht leider wirklich ein absoluter Reinfall geworden. Selten habe ich ein Album so bekannter Popkünstler:innen gehört, dass so schlecht produziert ist. Es klingt kurz gesagt einfach flach, langweilig und ist teils so sehr überkomprimiert das man das pumpen schon hört. Wie so etwas bei Taylor Swift passieren kann ist mir ein Rätsel.
    Leider fällt das den wenigsten Leuten auf, weil man da schon ein etwas geschultes Gehör braucht, wobei es mich doch sehr wundert, dass es beispielsweise bei den Amazon Bewertungen überhaupt nicht zur Sprache kommt. So sehr ich Taylor mit der Neuauflage unterstützen würde; werde ich auch definitiv beim alten bleiben. Das ist wie bereits gesagt das um Welten rundere Gesamtpaket.

    • Vor 7 Monaten

      "Es klingt kurz gesagt einfach flach, langweilig und ist teils so sehr überkomprimiert [...] Wie so etwas bei Taylor Swift passieren kann ist mir ein Rätsel."

      Ja, es scheint beinahe, als hätten wir es hier mit einem unverhohlenen Cashgrab zu tun.