laut.de-Kritik
22 Live-Kracher und schöne Anekdoten.
Review von Michael SchuhSpäte Gerechtigkeit für amerikanische Fans: Die DVD "Revolution Rock" ist in den Staaten bereits seit April und somit ein gutes halbes Jahr früher im Handel als in Europa. Vor 31 Jahren hatten noch die US-Punkfans das Nachsehen, denn "The Clash" kam dort erst nach dem offiziell zweiten Album "Give Em Enough Rope" auf den Markt.
Das Debüt befand man beim US-Label von Joe Strummer und Co. seinerzeit nämlich als komplett radiountauglich. Derweil wurde "The Clash" 1977 zum meist importierten Album der amerikanischen Musikgeschichte.
Schöne Anekdoten, wie sie auch in vorliegender DVD-Dokumentation unters Volk gebracht werden, die wiederum zeitgleich mit der wichtigen Live-CD "Live At Shea Stadium" neue Akzente im Clash-Back Catalogue setzt.
"Revolution Rock" nimmt für sich in Anspruch, mit 22 Songs eine definitive Zusammenstellung der Clash-Liveshows aufzubieten. In Anbetracht der infrage kommenden Karrierespanne von 1977 bis 1983 ist klar, dass da nicht jeder Bildausschnitt den visuellen Qualitätsmaßstäben der Jetztzeit genügt.
Wenn man sich etwa wie ein Kleinkind auf "London Calling" freut, das 1981 mit der obskuren Ortsangabe "Bonds International Casino" versehen wurde und nichts als unscharfe Impressionen zu bieten hat. Erst in den mit zwei amüsanten Bandinterviews aus dem Jahr 1981 gespickten Bonus Features erfährt man den möglichen Grund.
The Clash hatten sich zur Feier ihres "Sandinista"-Albums für ihre New York-Gigs den kleinen Nachtclub Bonds ausgesucht, wo sie sieben Tage hintereinander auftreten wollten. Als die Band kurz nach ihrem Interkontinentalflug am Ort des Geschehens eintrifft, ist die Straße mit Menschen übersät, die von Feuerwehrwägen im Zaum gehalten werden.
Der Eröffnungsauftritt fällt aus, The Clash freuen sich über Gratispromo im US-Fernsehen ("Riots am Times Square") und spielen kurzerhand 16 Mal am Stück im Bonds.
Es sind diese Geschichten aus längst vergangenen Zeiten, die den Reiz der DVD ausmachen, die man sicher noch ein wenig praller hätte füllen können. So wühlte der langjährige Bandintimus und Filmproduzent Don Letts für "Revolution Rock" in seinen eigenen Archiven.
Den Begriff Dokumentation erhält die Live-DVD, weil ein Sprecher das Bildmaterial mit einigen Fakten zwischen den Songs aufzuwerten versucht. Da hat man schon liebevoller aufgemache DVDs gesehen, etwa die Geschichte zur nordirischen Punkband The Undertones.
Die Songs bleiben trotzdem großartig und so mancher Clip faszinierend. Etwa wenn Strummer 1977 in Manchester "Capitol Radio One" ins Publikum bellt und zum Ende des Songs hintüber fällt, während Basser Paul Simonon, die alte Stylerhippe, ein smaragdgrünes Oberhemd zu gleichfarbenen Socken kombiniert. Neumodisches Zeugs wie Fotogräben gabs in der "Elizabethan Suite" seinerzeit noch nicht, was die erste Reihe zu einer gefährlichen Angelegenheit machte.
Unglaublich jung erscheinen die Jungs im selben Jahr bei einem nicht näher identifizierbaren Open Air-Auftritt in München: Simonon im zerrissenen Netzhemd und Jones und Strummer in roten Lederjacken ätzen den Bayern ihr "Police & Thieves" entgegen. Dagegen wirkt die Band 1979 in London bei "Complete Control" und "I Fought The Law" extrem eingespielt und abgezockt.
Neben zwei Songs vom Shea Stadium-Gig 1982 gibts mit "Know Your Rights" noch einen historischen Auftritt vom letzten Clash-Gig beim Us Festival 1983 (ausgesprochen wie das Personalpronomen) in San Bernardino. Was dort unter finanzieller Unterstützung des damaligen Apple-Chefs Steve Wozniak an vier Tagen hochgezogen wurde, spricht Woodstock Hohn.
Vier Tage, aufgeteilt in einen New Wave-, einen Rock-, einen Heavy Metal- und einen Country-Tag, erreichten insgesamt 670.000 Zuschauer. The Clash spielten selbstverständlich am New Wave-Tag, übrigens neben den Stray Cats und INXS.
Spätestens beim Anblick der Masse an Zuschauern muss man der Band (mal wieder) Respekt zollen. Diesmal für den vielleicht gelungensten Zeitpunkt, eine Band aufzulösen.
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