laut.de-Kritik

Die pure Essenz aus dreizehn Jahren (a)tonalen Wahnsinns.

Review von

"Es gibt die richtigen Art, Dinge zu tun, die falsche und die Dillinger-Art – das haben wir nach über einem Jahrzehnt Musikmachen und Touren kapiert", resümiert Gitarrist Benjamin Weinman anlässlich der Veröffentlichung des vierten kreativen Aderlasses
"Option Paralysis".

Da die fünf Drill Sergeants aus New Jersey ihren Vertrag mit dem Extrem-Metal-Label Relapse Records seit dem Opus Magnum "Ire Works" 2007 hinreichend erfüllt haben, segeln sie auf die neue Dillinger-Art fortan unter der eigenen Flagge "Party Smasher Inc" durch musikindustrielles Brackwasser.

Zur Feier der neu gewonnenen Unabhängigkeit düpieren die Freischwimmer gleich mal erhobenen Mittelfingers die beiden amerikanischen Supermarktriesen Wal-Mart und Target: Die Chaoscoreler wertschätzen ihren musikalischen Output als seriöse Kunst und boykottieren es demzufolge, "Option Paralysis" einer Produktpalette einzuverleiben, die so banale Erzeugnisse wie Klopapier ihr Eigen nennt. So weit, so nachvollziehbar – auch wenn diesbezüglich z.B. bei Amazon auch die eine oder andere triviale Leiche im Keller liegen dürfte.

Den furiosen Opener "Farewell, Mona Lisa" stricken Weinman & Co selbstredend alles andere als
konventionell. Da es für Dillinger Escape Plan traditionell zum guten Ton gehört, Leuten mit herkömmlich geschultem Gehör ordentlich auf den Sack zu gehen, ballern sie uns nach einem angetäuschten Intro erstmal gründlich unter maximal Beat-mentierten Stakkato-Salven über den Haufen.

Greg Puciato flext uns mit seinem Berge versetzenden Organ den Schädel auf und injiziert uns dann mit Hilfe seiner Instrumental-Chirurgen
in einer atemberaubenden Tour de force eine Ladung Popzucker direkt ins Hirn.

Dieses Monument von Song ist die pure Essenz aus dreizehn Jahren (a)tonalen Wahnsinns: Ob Jazz, Hardcore, Industrial, Pop oder Metal aller Couleur – D.E.P. arrangieren die krudesten Genre-Versatzstücke zu einer in sich stimmigen Collage, verlieren trotz exzessiver Muckerei das Songwriting jedoch nie aus den Augen.

Zugegeben, Dillinger verabreichen ihre wohldosierten Melodien auf eine Art, die mitunter weh tut. Für manche Ohren klingen sie wie ein epileptischer Anfall oder eine zweistündige Wurzelbehandlung. Wer sich jedoch die Zähne ausbeißt, stößt nicht nur auf Granit, wie im Falle der old-school Synapsen-Schocker "Good Neighbor",
"Crystal Morning", "Endless Endings" oder "Room Full Of Eyes".

Wie zuletzt bei Großtaten à la "Black Bubblegum" oder "Mouth Of Ghosts" lassen sie ihrem Ausnahmesänger den nötigen Raum, den Mike Pattons Erbe bravourös mit cleanem Gesang und mächtig Pop-Appeal ausfüllt.
"Gold Teeth On A Bum" nimmt unter hymnischen Ohrwurm-Refrains höllisch Fahrt auf. Das von Pianoklängen aufgelockerte "Widower" ist für Dillinger-Verhältnisse schlichtweg ein Hit, und "Parasitic Twins" Trent Reznor wie auf den Leib geschrieben.

Ob Dillinger Escape Plan den Nachfolger zu "Ire Works" nun auf die 'richtige' oder 'falsche' Art angegangen sind, ist irrelevant. Sie meistern "Option Paralysis" auf die Dillinger-Art, nur das zählt.

Trackliste

  1. 1. Farewell, Mona Lisa
  2. 2. Good Neighbor
  3. 3. Gold Teeth On A Bum
  4. 4. Crystal Morning
  5. 5. Endless Endings
  6. 6. Widower
  7. 7. Room Full Of Eyes
  8. 8. Chinese Whispers
  9. 9. I Wouldn't If You Didn't
  10. 10. Parasitic Twins
  11. 11. Heat Deaf Melted Grill (Bonus Track)

Videos

Video Video wird geladen ...

Weiterlesen

10 Kommentare

  • Vor 14 Jahren

    sehr schöne scheibe! gelungenes review!

    und nur mal so als tipp! wer das hier mag und auch auf deutschen gesang mit brett steht, denen kann ich nur wärmstens The Hirsch Effekt aus Hannover empfehlen!!!

    die jungs touren grad durch deutschland und sind, wie ich finde, eine musikalische offenbarung - geheimtipp schlechthin!

    @an den review schreiber thomas klaus:
    die band solltest du dir mal bei myspace anhören!
    ein review hier fänd ich klasse. auch da ich der meinung bin, dass grade newcomer aus deutschland mehr beachtung finden sollten. :-)

  • Vor 14 Jahren

    oh escapdo gibt es hier auf laut.de auch nicht zu finden... mhhh, schade...

  • Vor 14 Jahren

    Yaer! Freu mich auf das Album. Ist gekauft, auch bei myspace schon angehört und für cool befunden

  • Vor 14 Jahren

    @aleister (« habe gerade "farewell, mona lisa" gehört und bin ziemlich atem- und sprachlos. gekauft! »):

    jo, das ist wirklich ein wahnsinniger einstieg in die platte. habe mir gestern auch mal ire works bestellt.
    findet hier eigentlich jemand, dass die alben mit dem ehemaligen sänger besser waren als die neueren? das lese ich häufig.

  • Vor 14 Jahren

    Meine Güte, das Album ist der Hammer!!!
    @catweazel
    Die Sachen vor der Irony is a Dead Scene-EP finde ich persönlich nicht so dolle. Der alte "Sänger" war mir persönlich zu monoton.
    Der Witz ist, dass die Leute die den alten Sänger besser fanden diejenigen sind, die die neuen Sachen als "Radiofreundliche Emo-Mucke"(lol) abstempeln.
    An sich gehört TDEP zu den Bands, deren Fangemeinde größtenteils zum kotzen ist. Die meisten sind nämlich der Meinung, dass diese Art von Musik das einzig Wahre ist und der Rest sowieso "nur beschissener Mainstream" sei.
    Ich finde sowas einfach nur Ignorant und engstirnig, aber dafür kann die Band ja nichts.

  • Vor 14 Jahren

    @nicht ihn nicht er (« so ein LÄRM! voll das affengeschrei da fallen mir die tapeten von der wand. wer sowas hört hat eine krankheit »):

    und? was hörst du so? Lass mich raten...bloß nichts, wo man sein Gehirn einschalten müsste... Justin Bieber?
    ...
    wenn man keine ahnung hat, einfach mal fresse halten. Danke! :)

    mfg