laut.de-Kritik
Hier kommen die wahren deutschen Beatniks.
Review von Artur Schulz"The Gisha Brothers" gehen als nicht weniger als die deutsche Beat-Sensation des Jahres 2009 durch! Vergesst die Epigonen des sowieso unnachahmlichen Stils jener Popzeit - keine Chance gegen die Formation um die Brüder Klaus und Hans Gisha.
Denn die besitzen den einen, den unschlagbaren Vorteil: Sie spielten tatsächlich in den sechziger Jahren, und werden dank des rührigen Retrolabels The Bear Family nun frisch ins jetzige Jahrtausend gebeamt.
Das fette, 34 Tracks umfassende Album bedeutet neben einer Laune machenden Wiederentdeckung auch eine wohlige Zeitreise zurück in alte bundesrepublikanische Tage. Gut, nicht so schlecht kenne ich mich aus in den Zeiten von Star-Club, Peter Kraus, den Rattles, den wunderbaren "Halbstark"-Yankees - aber dennoch: Who the Fuck sind die Gisha Brothers? Bis vor rund zwei Wochen war mir die Band aus Hanau, die damals einen überaus gelungenen Spagat zwischen Lounge und Beat wagte, unbekannt.
Im Gegensatz zu manch vorwärtsstürmenden Garagen-Kiddies vergangener Tage verfügten die einzelnen Bandmitglieder über eine solide musikalische Ausbildung. Man richtete sich auf klassische Entertainmentevents ein - doch dann bracht das Beat-Fieber nicht nur über Europa herein: Auch die Gisha Brothers lebten diesen Virus mit Engagement und Begeisterung fortan aus.
Als CD-Eröffnung fungieren die beliebten Cover-Versionen, ohne die keine einheimische Band auskam: Johnny & The Hurricanes "Crossfire" gallopiert angenehm undeutsch über die Rock-Prärie, und auch Chuck Berrys "Maybelline" sowie der spätere Elvis-Hit "Memphis, Tennesse" sind hier in guten Händen. Eine satte Twang-Guitar steht Seite an Seite mit Duane Eddys Original-Einspielung des "Peter Gunn".
Dabei hielt sich die Band nie sklavisch an die Originale. Bestes Beispiel hierfür ist die höchst gelungene Version des Beatles-Hits "Can't Buy Me Love", das eine veränderte Basslinie aufweist und sogar mit einem rüden Saxophon-Part aufwartet. Doch nicht nur Cover standen auf dem Programm.
Von jeher legte die Formation Wert auf Eigenkompositionen. Eine davon entwickelte sich zum größten Hit der Hanauer: "Ringelingeling" vom Album "Slop Train" (1964) steht dabei allerdings merkwürdig schlicht neben der Vielzahl weiterer Arbeiten. Hier bieten die Gisha Brothers eine recht weichgespülte Version des Twist, der aber bei einer großen Anzahl Neuerungen gegenüber nicht sonderlich aufgeschlossener Bundesbürger bestens ankam.
Auffällig auch: Der versierte Umgang mit der englischen Sprache - keinesfalls selbstverständlich für heimische Künstler dieser Zeit. Textmäßig deshalb bewusst simpel gehaltene Songs wie etwa "Mashed Potatoes" (The Rattles) geben da allerlei skurrile Gegenbeispiele.
Viel gelungener sind dagegen Nummern wie das famose "Never Let Me Go", dereinst unverständlicherweise nur als Single-B-Seite veröffentlicht. Die alte Musikerweisheit "Besser gut geklaut, als schlecht komponiert" beherrschten die Musiker ebenfalls bestens.
Jeder kennt das mexikanisch angehauchte, zeitlose Fast-Instrumental "Tequila" von The Champs. Die Gisha Brothers nahmen den Song, änderten ein paar Passagen ab - und fertig war der selbst eingeschenkte "Bacardi". Das Intro von "Oh Baby Do" bedient sich ungeniert am Opening von Roy Orbisons "Pretty Woman". Neben Beat und Twist bedeutete der Slop eine weitere Mode-Spielart der alten Tage. Diese Abwandlung nimmt ebenfalls nicht unbedeutenden Raum im Werk der Gishas ein ("Slop Showee-Do" oder "The Slop Teacher").
Eine Reihe deutschsprachiger Titel finden sich ebenfalls im Repertoire. Titel wie "Ich Glaub Dir Nicht" oder "Sie Ist Das Schönste Girl" stehen sicher gleichberechtigt in einer Reihe mit ebenfalls herausragenden, aber eben bekannteren teutonischen Beat-Adaptionen. Im Refrain des schrägen "Cement Mixer" von 1965 klingen die Gishas gar ein wenig nach der kommenden Krautrock-Psychedelik.
34 Songs, ein sehr informatives, 31-seitiges Booklet, gewiss mühsames Archive-Wühlen, liebevolle Sound-Überarbeitung: Der Plattenfirma gelang ein Schmuckstück für jede Beat-Sammlung. Zeitgleich sind drei weitere, ebenso empfehlenswerte Kompilations-Raritäten für Sammler und neugierige Entdecker)erschienen: "Charlie Rocks" (Charlie Rich), "Cool It, Baby" (Jimmy Dell) sowie "Red Hot" (Billy 'The Kid' Emerson).
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