laut.de-Kritik
Ein letzter Trip: Die unvollendete Platte als Livealbum.
Review von Dominik KautzNach dem Drogentod des langjährigen Keyboarders Brent Mydland im Juli 1990 bringen dessen Ersatz Vince Welnick und vor allem der zwei Jahre als Gast mitwirkende Bruce Hornsby frischen Wind in das Gefüge der Grateful Dead. Angetrieben von den Plänen zum 14. Studioalbum beginnt im Februar 1992 die Arbeit an neuen Songs, die in immer wieder leicht abgewandelten Versionen in die Setlisten ihrer gefühlt endlosen Zahl an Konzerten einfließen, um "das Material auf der Bühne ungefähr ein Jahr zu testen", wie Frontmann Jerry Garcia 1993 gegenüber dem Rolling Stone kommentiert.
Diese hätten höchstwahrscheinlich das Grundgerüst des 14. Studioalbums, dem Nachfolgers zum von Fans wie Kritikern ungeliebten "Built To Last" gebildet. Der Tod Jerry Garcias am 9. August 1995 verhinderte jedoch dessen Fertigstellung. Die nun als "Ready Or Not" erschienene Live-Zusammenstellung bildet dieses unvollendete Album anhand zwischen 1992 und 1995 mitgeschnittener und bisher nicht veröffentlichter Soundboard-Aufnahmen nach: Grateful Dead Archivar David Lemieux suchte sie in jahrelanger Arbeit akribisch zusammen und ordnete nach Qualität. David Glasser besorgte das Mastering.
Der Opener "Liberty" erschien ursprünglich 1987 in Zusammenarbeit mit Garcia auf dem gleichnamigen Soloalbum von Grateful Dead-Texter Robert Hunter (er starb am 23. September 2019), der mit seinem lyrischen Gespür ein integraler Bestandteil der Band war. "Hey, now, bird, wouldn't you rather die / than walk this world when you're born to fly?" fragt Hunter in dieser Ode an die Freiheit. Inhaltlich geht es um das Ausleben der Vorstellung dessen, was man tun würde, wäre man eine nach den eigenen Wünschen geartete, wirklich freie Person. Garcia arbeitete diesen für ihn fast schon prophetischen Song 1993 unter Beibehaltung des Textes in eine starke, klassische Grateful Dead-Nummer um.
Die Bob Weir-Rob Wasserman-Willie Dixon-Kollabo "Eternity" erinnert zum Teil an einen Boogie und punktet mit vielschichtigen, rhythmischen Mustern sowie subtilen Änderungen in Metrum und Klangfarbe. Dixons Lyrics mögen mit Zeilen wie "Music and love, you can't explain / ... / when the world think our defeat / ... / we'll still have our greatest gift / our love won't ever die" simpel wirken, für die Blues-Ikone selbst aber sind diese von Weir überzeugend gesungenen Worte über die Universalität der Liebe "die Weisheit des Blues". Besonders herausstechend: Der ausgedehnt swingende Bruch im Mittelteil, in dem sich Vince Welnick solistisch mit Jerry Garcia misst. Dieser kraftvolle und enorm lebendige Song hätte durchaus auf das 1973er Dead-Album "Wake Of The Flood" gepasst.
Was in "Eternity" hervorragend funktioniert, verkommt in der zweiten Bob Weir-Nummer "Corrina", dem mit über 15 Minuten längsten Song auf "Ready Or Not" zu einem ziellos umherwandelnden Gedudel. Die Soli des sonst recht farbenfroh spielenden Garcia wirken hier ziemlich blass. Auch die beiden Welnick-Songs, das deutlich mit Latin-Grooves eingefärbte "Samba In The Rain" und der simple Midtempo-Rocker "Way To Go Home" überzeugen wenig. Sie wirken ohne den typischen Dead-Sound deplatziert.
Die absolut besten Momente der Platte stecken in den fruchtbaren Gemeinschaftswerken von Jerry Garcia und Robert Hunter - paradoxerweise muss man fast sagen. Denn trotz seiner schwerwiegenden gesundheitlichen Probleme und seinem Rückfall in die Heroinsucht läuft Mr. Captain Trips in seinen spätesten Tracks grandios zur Höchstform auf. Anders und nicht nach gigantischem Stadion, aber trotzdem unverkennbar nach den Dead sollten die neuen Songs klingen. Garcia kehrt dabei dem wilden, psychedelischen Sound der 60er unmissverständlich den Rücken und wendet sich hingabevoll seinen Folk- und Bluegrass-Wurzeln zu.
Das hört man vor allem dem langsamen, von einer banjoartig gezupften Gitarre getragenen "Lazy River Road" deutlich an. Der klare, fast schon akustische Klang von Garcias E-Gitarre (inklusive countrylastigem Solo) und die reduzierte Bandbegleitung zeigen, in welche Richtung Garcia die Band stilistisch hätte hieven können. Das trifft auch auf die langsame und sehr getragen gespielte, autobiographisch-nostalgische Ballade "So Many Roads" zu, die im Finale mit einem flehend repetierten "Ease my soul" auch den Gospel streift. Obwohl der Song enorm stark interpretiert ist, erreicht er leider nicht die emotionale Intensität der auf dem letzten Dead-Konzert am 9. Juli 1995 gespielten Version.
Die Platte endet mit dem letzten von Garcia und Hunter geschrieben Song, der ergreifenden, schmerzlich langsamen Ballade "Days Between". Obwohl Hunter mit "The singing man is at his song / the holy on their knees" die messianische Vergötterung Garcias von Seiten der Deadheads ausdrückt, bleibt der Text in seiner Deutung an vielen Stellen meisterhaft offen. Zeilen wie "When phantom ships with phantom sails / set to sea on phantom tides / comes the lightning of the sun / on bright unfocused eyes" muss im retrospektiven Strudel jeder selbst interpretieren. Für die Dead hingegen ist dieser Song ein allerletzter, wahnsinnig guter Paukenschlag auf dem Schlachtfeld des Lebens.
Zwar findet sich die Band im November 1994 in West Marin in das Site-Studio ein, um das Album auf Band zu konservieren. Die Aufnahmen zum Album scheitern aber letztlich an Garcias Sucht. Desinteresse und mangelnde Disziplin machen es ihm unmöglich, Texte einzusingen und mehr als rudimentäre Gitarrenspuren einzuspielen. Im Studio gilt seine Passion zu dieser Zeit eher anderen Projekten wie der eigenen Jerry Garcia Band und seinem Akustikduo mit Mandolinist David Grisman.
Ob die Zusammenstellung der Songs auf "Ready Or Not" am Ende wirklich so ausgesehen hätte, lässt sich schwer abschätzen – zumal in dieser Schaffensperiode weitere, sich nicht auf der Platte befindenden Songs wie "Wave To The Wind", "Childhood's End" und "If The Shoe Fits" entstehen. Auch wenn man immer im Hinterkopf behalten muss, dass von den 'neuen' Songs keine definitiven Versionen existieren, gibt "Ready Or Not" in einem erfreulich aufpolierten Klanggerüst ein hervorragendes Bild eines denkbaren, finalen Albums der ehemaligen Haight-Ashbury-Hausband ab. What a long strange trip it has been!
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