laut.de-Biographie
The Grateful Dead
Musiker haben manchmal die Gabe, prophetische Dinge von sich zu geben. Auf ihrem 71er Studioalbum "Workingman's Dead" besingen The Grateful Dead den Lokomotivführer Casey Jones, der ihnen selbst nicht unähnlich ist, mit den Worten: "Driving that train, high on cocaine, Casey Jones is ready, watch your speed."
Als ahnten sie, dass eine Lok, die erst ordentlich Feuer im Kessel hat, nur noch schwer zu bremsen ist, ergeben sie sich beinahe gelassen in ihr Schicksal: "Trouble ahead, trouble behind, and you know that notion just crossed my mind."
Zu Beginn der 60er in Kalifornien ist das Tempo noch gesetzt. Der Zug gewinnt nur langsam an Fahrt. Jerry Garcia, späterer Gitarrist und Sänger, spielt in lokalen Bluegrass-Bands, wo er mit Bob Weir (Gitarre) und Ron "Pigpen" Mckarnan (Keyboards) bekannt wird. Als 1965 noch Bassist Phil Lesh und Drummer Bill Kreutzmann hinzukommen ist das Line-Up perfekt. Allerdings heißen The Dead noch The Warlocks und geben im Juli 1965 ihr erstes Konzert.
Als sie kurz darauf auf Ken Kesey (späterer Autor von "Einer flog über das Kuckucksnest") treffen, sorgt der für mächtig Dampf. In San Francisco liefern sie ab November 1965 die Begleitmusik zu den Acid-Tests genannten LSD-Happenings, wie sie vor der Kriminalisierung der Droge am 6. Oktober 1966 an der Tagesordnung sind. Hier beginnt der eigentliche Trip: The Warlocks benennen sich in The Grateful Dead um, verlegen ihren Wohnsitz in eine Kommune mit der Adresse 710 Ashbury Street und spielen sich zur Haight-Ashbury-Hausband hoch.
Hier leben The Dead vor, was nur zwei Jahre später, im sogenannten Summer Of Love, bereits zum Mythos gerinnen sollte: Love, Peace & Unity. Ihre Konzerte sind noch von der Unschuld getragene, bewusstseinserweiternde Reisen ins Flower-Power-Land, was immer mehr treue Fans, The Deadheads, dazu bewegt, auf den Zug aufzuspringen.
Als 1967 der Hippie-Hype seinem Zenit entgegen schreitet, sind The Grateful Dead ganz vorne dabei. In diesem Jahr steigt auch Drummer Mickey Hart ein. Seitdem spielen die Dead mit zwei Schlagzeugern. Ihre Konzerte haben ihnen längst einen legendären Ruf eingebracht, den es jetzt auch im Studio zu untermauern gilt. Doch die Anstrengungen von Garcia und Co. bleiben in der Halbherzigkeit stecken: Das selbstbetitelte Debütalbum, der Nachfolger "Anthem Of The Sun" und auch "Aoxomoxoa" von 1969 floppen allesamt. Die Band schafft es nicht, ihre Live-Magie auf Platte zu konservieren. "Aufnehmen ist für uns meistens wie Zähne ziehen. Wir haben es nie geschafft einen Weg zu finden, Studioaufenthalte spaßig zu gestalten" kommentiert Garcia.
Erst das 1969 erscheinende Live-Album "Live/Dead" versöhnt die lechzenden Fans. Hier erleben sie The Dead in ihrer ganzen Intensität. Die Platte fängt die trippige Stimmung und die epischen, improvisierten Psychedelic-Sounds der Konzerte ein: der Flashback fürs Wohnzimmer.
Mit den beiden Studioalben "Workingman's Dead" und "American Beauty" schlagen The Dead zu Beginn der 70er folkige Töne an und schaffen mit "Casey Jones" oder "Uncle John's Band" gar den Sprung in die Radio-Charts. An die Magie ihrer Live-Konzerte reichen die Studioalben jedoch wieder nicht heran. The Dead geben live richtig Gas, ihre Fans folgen ihnen in Scharen.
1973 fordert der ständige Druck sein erstes Opfer: Keyboarder Ron "Pigpen" McKernan stirbt an den Folgen jahrelanger Trinkexzesse. The Dead hält dies aber nicht lange auf. Mit Keith Godchaux und dessen Frau Donna Jean finden sie schnell Ersatz. Die Liaison währt jedoch nur kurz.
Nach mehreren schwachen Alben verlassen Godchaux und seine Frau die Band wieder. The Dead konzentrieren sich auf das, was sie seit jeher am besten können: auf Tournee gehen. Mit dabei ist nun Brent Mydland an den Keyboards. The Grateful Dead erspielen sich damit eine neue, junge Hörerschaft, die den Summer Of Love höchstens aus den Erzählungen ihrer Hippie-Eltern kennt.
Trotz der Erfolge hat der nicht enden wollende Trip seinen Preis. Keyboarder Mydland stirbt 1990 an einer Überdosis. Den freien Posten an den Tasten übernimmt kurz darauf Vince Welnick, der von den ebenfalls in San Francisco beheimateten The Tubes kommt. Von 1990 bis 1992 gastiert auch Bruce Hornsby als weiterer Keyboarder in der Band, wird allerdings nie festes Mitglied. Sänger Garcia verbringt, geplagt von einer Heroin- und Kokainsucht, mittlerweile immer mehr Zeit in Drogenentzugsprogrammen, bis er am 9. August 1995 auf den längsten Trip seines Lebens geht. Der Grateful Dead-Zug scheint endgültig vor die Wand gefahren.
Die folgenden Jahre arbeiten die verbleibenden Bandmitglieder an ihrem Status als Kultband der Hippie-Ära. Zahllose Live-Aufnahmen aus Dick's Picks Archiv beschwören den zeitlosen Geist vergangener Tage. Obwohl die Fans regelmäßig ein neues reguläres Album fordern, begeben die Restmitglieder sich nie wieder als The Grateful Dead ins Studio. Ohne Garcia käme ihnen dies nach eigenem Bekunden wie ein Verrat an der Dead-Philosophie vor.
Zum 50. Geburtstag der Bandgründung trumpfen sie gleichwohl ein letztes Mal auf. Den Anfang macht eine sehr gute Zusammenstellung von Klassikern als "The Best Of The Grateful Dead". Im Sommer 2015 folgt die lang ersehnte Reunion für eine Handvoll letzter Auftritte. Das Interesse von Medien und Deadheads ist enorm. Radios, TV-Stationen und sogar das Weiße Haus zollen ihnen Respekt und Zuneigung.
Obwohl Garcia als Bühnenpersönlichkeit und Frontman fehlt, funktionieren die Konzerte hervorragend. Souveräne Gäste wie Bruce "The Way It Is" Hornsby oder Trey Anastasio von Phish tragen zum Gelingen bei. Mit einer grandiosen letzten Show in Chicago fällt dann endgültig der letzte Vorhang. Getreu ihrer dokumentationswütigen Vorliebe veröffentlichen sie den Gig in diversen Formaten als "Fare Thee Well".
2019 kommt Dead-Archivar David Lemieux dem Wunsch vieler Deadheads nach: Er veröffentlicht "Ready Or Not", eine Platte mit Liveaufnahmen der jüngsten Dead-Songs, die trotz der Pläne für ein weiteres Album aufgrund Garcias Tod nie im Studio finalisiert werden konnte. Darauf befindet sich mit "Days Between" auch die letzte gemeinsame Arbeit von Jerry Garcia mit dem langjährigen Lyriker und Dead-Texter Robert Hunter, der am 23. September 2019 stirbt.
Die als letztes Konzert angedachte Show in Chicago sollte allerdings nicht so einmalig bleiben wie ursprünglich angedacht. Gemeinsam mit Oteil Burbridge an Bass und Schlagzeug, Jeff Chimenti an den Keyboards und John Mayer an der Gitarre halten Bob Weir, Mickey Hart und Bill Kreutzmann seit 2015 das Erbe des einstigen Aushängeschilds der amerikanischen Gegenkultur unter dem Namen Dead & Company mit Tourneen durch die USA hoch und füttern den noch immer dahin rauschenden Grateful Dead-Zug mit glühenden Kohlen.
Mit Phil Lesh and Friends führt auch der ursprüngliche Bassist das musikalische Erbe von Grateful Dead weiter. Am 25 Oktober 2024 stirbt Gründungsmitglied Phil Lesh im Alter von 84 Jahren.
2 Kommentare
Wollte nur mal auf ein schönes Projekt hinweisen:
http://4ad.com/news/24/3/2016/fivenewtrack…
Keith war immerhin fast 10 Jahre an den Keys. So kurz war das nicht