laut.de-Kritik
Sozialkritiker auf der Suche nach Balance.
Review von Yan VogelDer Begriff "White Noise" (Weißes Rauschen) stammt eigentlich aus der Akustik und bezeichnet ein Frequenzband, das alle wahrnehmbaren Frequenzen umfasst und vom klanglichen Resultat an die langgezogene Aussprache eines "sch" erinnert. Das Cover zeigt ein Megaphon aus dem Symbole, Worte, Szenerien und Artefakte herausquellen; eine sintflutartige, chaotische Zusammenstellung voller Ambivalenz und Diskontinuität.
Die Musik der Australier hört sich glücklicherweise nicht nach Krach an. Wohlgeordnet steht der Refrain, die Hookline im Mittelpunkt. An Instrumentierung und Opulenz durchaus an die letzten Springsteen-Veröffentlichungen heranreichend, verwundert es kaum, dass sich mit Brendan O' Brian der Haus- und Hofproduzent des Boss' hinter den Reglern verdient machte und den Mix erledigte.
Trotzdem klingt die Band keineswegs zu glatt. Die Produktion wirkt einfach zeitgemäß, druckvoll und transparent, ohne ihre punkige Attitüde ganz preiszugeben. So gewährleistet die Trio-Besetzung, die zu jedem Zeitpunkt das musikalische Konzept bestimmt, dass inmitten unterschiedlicher Stilistiken ein wenig Kontinuität gewahrt bleibt.
Mittels waschechter Hardrock-Schädelspalter-Riffs und griffiger Sing-A-Long-Refrains verbinden die Jungs um Sänger Chris Cheney die Wut und Energie von Social Distortion, die metallische Durchschlagskraft von Ignite, stilistische Vielseitigkeit von The Gaslight Anthem mit dem sozialkritischen Engagement einer Band wie Bad Religion. Auch erinnert die Stimme an Greg Graffins anklagendes, aber immer melodisch orientiertes Organ.
Die allzu deutliche Kashmir-Referenz und das Tom-Morello-Signature-Riff im Opener oder das The Police-Remake "Waiting For The Silence" zeigen die Grenzen der Eigenständigkeit, die oftmals auf reinem Eklektizismus beruht. In einigen Fällen schrammt man gehörig am Kitsch vorbei, aber dies ist letztens auch eine Geschmacksfrage. "Kid" klingt wie die E-Street Band in Weihnachtslaune, die sich zum Klimpern in einer unbequemen Einkaufsmall von New Jersey niedergelassen hat.
Ähnlich wie ihre Genre-sprengenden Kumpels von Green Day weiden sich The Living End in epochaler Unzufriedenheit. Sie thematisieren die Angst vor einem ungewissen technologischen Fortschritt und seinen Folgen; Angst vor der politischen und rechtlichen Durchleuchtung des Privatlebens, Angst vor dem Fortbestehen der finanziellen Anlagen und, und, und. Dazu kommt ein paranoides Sicherheitsdenken, das die Angst vor dem Fremden forciert und vor allem eine Fülle an Informationen, die kein Mensch wirklich durchschaut.
"White Noise" steht somit als Metapher für Informationsoverkill, Kommunikationsprobleme, Niedergeschlagenheit, Ohnmachtsgefühle, soziale Verwahrlosung und für einige Kritiker der Band sicherlich auch für deren stilistische Einordnung.
1 Kommentar
Richtig geiles Album! Die haben sich wirklich positiv weiterentwickelt, weniger poppig als "State of Emergency" aber tgrotzdem eingängig. Geht auch schön nach vorne! Ganz meinen Geschmack getroffen!