laut.de-Kritik

Ein Lexikon über Blues und Boogaloo, Ska und Soul.

Review von

Frederick 'Toots' Hibbert war ein großartiger Sänger. Seine Stimme konnte Coverversionen Unglaubliches abringen: Er konnte schön singen, wie am Spieß schreien oder zauberte mit einem Fingerschnipsen einen Belag auf die Stimme, als sei er erkältet. Er jammern wie ein heulender Wolf, und beherrschte genauso das Vibrato - wie im Track "Gold And Silver", der die Harmonien des südafrikanischen "The Lion Sleeps Tonight" pflegt. Soulful, bluesig, dramatisch, wie ein Berserker, jungenhaft, wie ein Schlingel, der seine neuesten Streiche hinter vorgehaltener Hand dem Publikum zuraunt - die Palette seines Ausdrucks dehnte sich in den Jahrzehnten der Live-Routine.

Bei seinen Maytals übernahm er zwar anfangs offiziell die Tenor-Stimme im Trio. Im Laufe der Jahre reifte Toots aber zu einer Frontfigur, die alle Tonlagen beherrschte und sich manchmal urplötzlich mit einem Salto von einem Lied zum nächsten in Falsetto-Höhen schwang (angedeutet in "A Time To Love"). Der Plattenname macht jedenfalls skeptisch. Könnte das ein schiefer, neuer Versuch sein, Ordnung ins diskographische Chaos zu bringen? Wieso steht da 'The Maytals' statt 'Toots and the Maytals' auf dem Cover?

Dafür gibt es mehrere Gründe: Rechtlich gesehen, dürfen die zuletzt verbliebenen Tour-Kollegen den Namen Toots And The Maytals seit seinem Tod nicht weiterführen. Als Maytals dürfen sie aber 'on the road', womöglich war es Trojan zu heikel, einen posthumen Release unter dem Namen 'Toots and ...' mit den Erben abzuklären. Dann waren etliche Platten wirklich unter dem Namen The Maytals erschienen. Und schließlich stellt die "Essential Artist Collection" den Serientitel für eine Best-of-Reihe dar, die uns durchs ganze Jahr 2023 begleiten und Einblick in die Trojan-Archive geben wird.

Die 50 kompilierten Tracks werden zwar mit einem fantasiefreien Grabbeltisch-Artwork dargereicht, zeigen neben den stimmlichen Modi aber bereits das Wesentliche. Lektion eins: Toots war ein Rastafari, auch wenn das von außen eher weniger so gesehen wurde. Vom Rasta-Gedankengut finden sich hier wenige Beispiele. Umso mehr nimmt man beim raren "Struggle" gerne mal die Schellack-artige Tonqualität in Kauf. Auch die Wahl des Toastings als Vortragsstil verblüfft, dies setzte sich eigentlich erst später mit U-Roy durch. Das genaue Alter des Tracks ist nicht sicher überliefert. Gewiss ist nur, dass spätestens 1968 eine Vinyl-Single gepresst wurde. Ungefähr die Hälfte der Songs lässt sich nicht eindeutig zurückverfolgen, was beispielsweise daran liegt, dass etliche Tracks der Maytals nie auf Alben erschienen sind.

Zu diesen frei flottierenden, aus Tanzevents stammenden Songs zählt der Schlachtruf "Do The Reggay". Nicht nur, dass das Lied eines der gesanglich intensivsten darstellt und sich direkt ins Ohr kläfft. Es ist auch die erste offizielle Verwendung des Terminus 'Reggay', der später 'Reggae' geschrieben wird und Toots zum Erfinder des Genres macht.

Lektion zwei: ein fraglos 'essential Track, aber "Desmond Dekker Came First" stellt dennoch die Chronologie der Genre-Entwicklung richtig. Wo immer man jenes Stück auftat, das auf Vinyl bestimmt nur Leute besitzen, die es sich damals in einem Plattenladen in Kingston kauften und nur auf 1996 und 2016 jeweils einmalig gepressten CD-Compilations in Umlauf kam. "Desmond Dekker Came First" bedeutet: Desmond brachte den Ska nach Europa. Er ist der Verbindungsmann, ohne den The Clash, The Police oder die Talking Heads gar nicht das Glück gehabt hätten, dass sich in London wirklich eine Szene entwickelt. Sein Song "Israelites" ging auf Platz eins in England, Holland und Westdeutschland, 1969. Zu der Zeit hatte noch niemand etwas von einem Bob Marley gehört.

Toots referiert: Nach Dekker seien in der Rangfolge Produzent und Talentscout Clancy Eccles sowie das Vokaltrio The Techniques wegweisend gewesen. Für sich selbst nimmt er keine so große historische Bedeutung in Anspruch. Interessanterweise hat bisher kein Buch die 'History of Reggae' so beschrieben wie Lektion drei es hier tut. Immerhin nahm er die Sicht eines Musikers ein, der mittendrin stand und durchaus als Vorreiter zahlreiche Impulse gab. Wie diese Musik auch viel mit Wiederholungen, spiritueller Liebe, Trance-artigen Bässen und einem flirrenden Schlagzeug-Spiel arbeitet, illustriert das schrammelige "Revival Reggae" aus dem Jahr 1970.

In den späten Jahren holte er sich Gäste aus anderen Sparten und Ländern ins Boot, betonte seine musikalische Aufgeschlossenheit. Nur, die gab es seit jeher. Die Maytals tourten schon als Vorgruppe für The Who, und auch in dieser Zeit kannte Bob noch kaum jemand in Europa. Den Ausverkauf und Kompromiss, den man Toots in den Nuller-Jahren manchmal vorwarf, kann man getrost umdrehen: Toots bekannte sich immer völlig transparent zu all den Musikstilen, die im jamaikanischen Reggae zusammenfließen. Der Beweis wird hier als Lektion vier erbracht: Er praktizierte alle diese Stil mit Bravour!

"One Eye Enos" stolpert verdächtig nah am Stax-Soul. Geniale Synkopen treffen auf eine psychedelisch gejammte Orgel. "It's You" wurzelt im New Yorker Doo-Wop bei Gruppen wie Dion & The Belmonts. Vokalgruppen wie die Maytals kupferten dort ja die gängigen, mehrstimmigen Herren-Gesänge ab. Nach den Maytals kamen zwar viele andere, die eigene Akzente in Tempo, Tonhöhe und Repertoire setzten, aber keine einzige agierte je so vielfältig wie Toots mit seinen Maytals.

Das launige "I Feel Alright" nimmt in einer so energischen wie elastischen Schlagzeugarbeit den Shuffle, dem die Maytals mit einem wundervollen Übereinander-Singen ein karibisches Denkmal setzen. "Koo Koo" flirtet schon im Intro deep funky mit dem damals aufkommenden US-Trend. "Funky Kingston" fehlt übrigens in der Kollektion, aber "Funky Funky" verliert sich in einer entsprechend fetten Bassline und tritt einen schwindelerregenden Ritt an: von Sept-Akkordwechseln der exotischen Sorte bis zur krass hell gespieltem Wah-Wah-Gitarre.

Derlei klang damals aufregend und neu und mitunter dem etablierten amerikanischem Sound mitunter eine Nasenlänge voraus. Den Maßstab setzte die Rhythm Section von James Brown. Toots versuchte hier ein karibisches Äquivalent zu setzen. Auch das unterschied die Maytals von allen anderen Reggae-Ensembles.

Das bis dato unveröffentlichte und heißblütig pulsierende "Do The Boogaloo" war einer der wenigen simplen Liebessongs, den die Maytals im Repertoire hatten. Wie der Titel sagt, knüpft er an den Boogaaloo an, eine tolle Musik mit kurzer Blütezeit, die eine lateinamerikanische Antwort auf den Rock'n'Roll-Tanz gab und kubanische Rhythmus-Muster aufsog, aber rasch wieder aus der Mode kam.

Schneller Spitzen-Rhythm and Blues ("Scare Him"), Psychedelic Soul ("Got To Feel"), Motown-Arrangements ("Walk With Love"), American Folk ("We Shall Overcome"), mehrstimmiger Blues im Reggae-Takt ("Loving Spirit"), eine John Lennon-Cover im MC-Style und als Spoken Word ("Give Peace A Chance"), sowie rollende Bässe mit maximalem Charisma ("Peeping Tom"). Es hätte noch ein Dutzend weitere Stile gegeben, die im Laufe der Zeit ins Toots-Repertoire einwanderten und an dieser Stelle fehlen - teils aufgrund des Fokus auf die frühen Jahre.

Das Album "Sweet And Dandy" war eine der wenigen Scheiben, die keine Compilation darstellten, ist heute aber sauteuer und unfassbar rar. Gegenüber Preisen um die 150 Euro für je eine Handvoll Exemplare kann man der Plattenfirma schon dankbar sein, dass sie zumindest zehn der zwölf Tracks der LP auf diese "Essential Artist Collection" kopierte.

Beim "Monkey Man" dürfte es selbst den eingefleischtesten Toots- und Roots-Fans leicht fallen, die Version von Amy Winehouse aus der Ska-EP (2007) in ihrer Schlaftrunkenheit als überragend zu empfinden. Die "Monkey Man (Alternate Version)" punktet dagegen eher als scharfer Zunder, wirkt weniger zappelig und entschlossener als die Standardversion. Live performte Toots dieses wie auch viele andere Nummern indes weitaus exaltierter. Essenziell kann ein Best-of ohne Bühnenmitschnitte bei diesem Artist also gar nicht sein, für Livemitschnitte fehlten gleichwohl die Lizenzen. Aber trotz aller Überschneidung mit mancher früheren Kollektion enthält die neueste Maytals-Zusammenstellung doch einige exklusive Nuggets.

Trackliste

CD1

  1. 1. 54-46 Was My Number
  2. 2. Night And Day
  3. 3. One Eye Enos
  4. 4. Bim Today - Bam Tomorrow
  5. 5. She's My Scorcher
  6. 6. Peeping Tom
  7. 7. Struggle
  8. 8. Bla Bla Bla
  9. 9. Hold On
  10. 10. Feel So Good
  11. 11. Gold And Silver
  12. 12. Pee Pee Cluck Cluck
  13. 13. Gonna Need Somebody
  14. 14. Give Peace A Chance
  15. 15. Got To Feel
  16. 16. Do The Boogaloo
  17. 17. Funky Funky
  18. 18. Loving Spirit
  19. 19. Monkey Man
  20. 20. Never You Change
  21. 21. Don't Trouble Trouble
  22. 22. School Days
  23. 23. Johnny Cool Man
  24. 24. Reborn
  25. 25. Pressure Drop

CD2

  1. 1. Sweet And Dandy
  2. 2. Walk With Love
  3. 3. Water Melon
  4. 4. African Doctor (AKA Doctor Lester)
  5. 5. It Must Be True Love
  6. 6. Scare Him
  7. 7. We Shall Overcome
  8. 8. Sun Moon And Star
  9. 9. I Feel Alright
  10. 10. Revival Reggae
  11. 11. Know Me Good
  12. 12. I Alone (Toots Solo)
  13. 13. Koo Koo
  14. 14. Desmond Dekker Came First
  15. 15. A Time To Love
  16. 16. Israel
  17. 17. Nine O' Clock
  18. 18. Monkey Man (Alternate Version)
  19. 19. Do The Reggay
  20. 20. It's You
  21. 21. Just Tell Me
  22. 22. Alidina
  23. 23. Monkey Girl
  24. 24. Oh Yeah
  25. 25. 54-46 Was My Number

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