laut.de-Kritik
Wie eine Wurzelbehandlung beim Zahnarzt.
Review von Toni HennigVor ungefähr zwei Dekaden bescheinigte eine britische Institution der Elektro-Szene, dass "The Prodigy das Potenzial besitzen, die größte Band der Welt zu werden". Sie sollte sich täuschen. Die Formation um Mastermind Liam Howlett ist aber nicht ganz unschuldig daran. Seit "Invaders Must Die" befindet sie sich auf Stagnationskurs. Auch mit "No Tourists" erfindet sie das Rad nicht neu. Ganz im Gegenteil.
Im Vorfeld der Veröffentlichung fasste Howlett in einem Statement aus seinem Studio in North London die Grundidee des Albums zusammen: "Bei 'No Tourists' geht es im Grunde genommen um Eskapismus und den Wunsch, zu entgleisen und kein Tourist zu sein, der diesen einfachen Wegen folgt." Etwas Neues lässt sich auf der Platte jedoch weit und breit nicht finden.
Abriss und Exzess schreiben sich The Prodigy nach wie vor auf die Fahnen. "Need Some1" mit überdrehten Elektro-Synthies und einem housigen Gesangssample dürfte kaum jemand Subtilität bescheinigen. Nicht einmal mehr Keith Flint und Maxim greifen kurz zum Mikro. Die beiden glänzen auf der Scheibe des Öfteren mit Abwesenheit ("Timebomb Zone", "Boom Boom Tap"). Hauptsache der Bass knallt und der Sound rockt bis zum Anschlag.
Die restlichen Tracks fallen demnach ungefähr so feinfühlig wie eine Wurzelbehandlung beim Zahnarzt aus. Geistreiche und tiefsinnige Ergüsse wie "The time has come / we live forever" in "We Live Forever" setzen dem Ganzen noch zusätzlich die Krone auf. Dagegen haben Atari Teenage Riot schon beinahe den Literaturnobelpreis verdient. Ansonsten bedienen sich die Briten vor allem bei sich selbst.
Insgesamt entsteht der Eindruck, als hätte sich die Band eine Checkliste angefertigt. Ein knalliger Drop à la "Breathe" in "Light Up The Sky": abgehakt. Leichtes Reggae-Flair im Stile von "Out Of Space" in "We Live Forever": abgehakt. Hochgepitchte Stimme und Rave-Euphorie in klassischer "No Good"-Manier in "Timebomb Zone": abgehakt.
Dabei funktionieren fast sämtliche Songs nach dem selben Prinzip: ein durchgeknalltes Gesangssample, überholtes Big Beat-Gewummere und Elektro-Rock-Riffs von der Resterampe. In der Summe klingt die Platte so, als sei Tony Blair immer noch britischer Premierminister und als habe es den Brexit nie gegeben. Nur vom einstigen Innovationsreichtum der Formation bleibt auf dem Werk gar nichts mehr übrig.
Dementsprechend eignen sich die Nummern nicht einmal mehr als B-Seiten. "Fight Fire With Fire" wartet zwar mit den Rappern von Ho99o9 auf, aber die fügen dem Album kaum etwas Erfrischendes hinzu. Eher tragen die US-Amerikaner zur hedonistischen Stumpfsinnigkeit der Platte ihren Teil bei. Dazu ein ausgelutschtes Metallica-Zitat, garniert mit möglichst viel Lärm und Effekthascherei: Fertig ist der Party-Track fürs Horrorkabinett.
Zumindest versprüht Barns Courtney mit seiner an John Lydon erinnernden Stimme in "Give Me A Signal" rotziges Punk-Flair. Doch selbst diesen Ansatz von roher Unverbrauchtheit zerschießen The Prodigy mit plakativem Krach und Getöse. Die Hardcore-Fans freut das sicherlich. Der Rest wendet sich höchstwahrscheinlich entsetzt von der Band ab, zumal die momentane elektronische Musik zum großen Teil von Atmosphäre lebt.
Die kommt nur im Titelstück auf, das mit einer orientalisch angehauchten Melodie und cineastischen Elementen kurz aufhorchen lässt. Der einzige Lichtblick einer ansonsten erschreckend uninspirierten Scheibe, die auf allen ästhetischen Ebenen versagt. Im Grunde genommen mutiert das Trio mittlerweile zur britischen Big Beat-Variante von Schmutzki. Schönsaufen bringt nix. Als Hörer möchte man The Prodigy am liebsten ein für alle Mal den Stecker ziehen.
25 Kommentare mit 20 Antworten
Locker 3/5...
Genauso gut wie die beiden vorgänger...
Scheiss review.
Word!
Sehe ich auch so!
Genauso "gut" wie die Vorgänger heißt dann 1/5.
Yup. Unsachliche und übertriebene review.
Würde als EP mit den 4 vorher veröffentlichten Songs funktionieren. Aber als Album ... Die restlichen 6 Songs wären in den 90ern nicht mal als B-Seite durchgegangen.
Bin da schon bei Dir, aber 1/5 ist Blödsinn.
Ich glaube, wir sind uns alle einig, dass The Prodigy ihre besten Jahre längst hinter sich haben. "Invaders Must Die" war aber doch ein solides Spätwerk und Benchmark für den heimischen Subwoofer.
"No Tourists" klingt hingegen wie eine Sammlung von ausrangierten Tracks, die nicht gut genug für die Vorgänger waren, aber von der Band noch verwertet werden wollten. The Prodigy sollte keine Alben mehr machen, sondern nur noch Konzerte spielen.
This!
Ganz mieser Review. So kennt man laut. Eure Bewertungen sind immer sehr hilfreich. Je schlechter Ihr ein Album bewertet, um so besser ist es. Komisch, dass mein letzter Kommentar nicht hier erscheint. Kann es sein, dass Ihr nicht kritikfähig seid? Dieses Album ist wie jedes Prodigy Album Top. Rough and dirty.
Allein schon... "Boom Boom Tap"... Musik für Kindergartenkinder, die von ihren Eltern regelmäßig verprügelt werden.
Mein aktuelles Lieblingsalbum! Warum? Weil keine andere Band diese Musik zelebriert. Techno, House und Dub Step sind nämlich immer der gleiche Kram (Interpretübergreifend) und auch wenn Prodigy nur von sich selbst kopiert, schlimmer wär's wenn nicht!!!
Ich liebe fast jeden Track auf der Scheibe.