22. Oktober 2007

"White Stripes sind unsere Enkel"

Interview geführt von

Pünktlich klingelt das Telefon. Ich werde von Deutschland nach England durchgestellt, von dort in die USA. Tommy, das letzte lebende Gründungsmitglied der Ramones, meldet sich aus der Stadt, in der Punk erfunden wurde. Die Urväter haben eine neue DVD am Start, Grund genug, sich mal das Erbe des Quartetts anzusehen. Und einen Blick auf das zu riskieren, was Tommy heute so treibt.Tommy klingt ruhig, ja betont gelassen, aber nicht gelangweilt. Genau so, wie man sich ihn vorstellt, wenn man aktuelle Bilder von ihm sieht. Graue, lange Haare trägt er, einen Bart und meist einen Hut. Er hat an der Zusammenstellung der Doppel-DVD "It's Alive" mitgewirkt, kommt aber natürlich nur dafür nicht über den Teich. Klar, alles, worauf Ramones steht, geht in Europa auch über den Ladentisch, auch ohne dass er es dem Fan persönlich in die Hand drückt.

Hallo Tommy, wo befindest Du Dich gerade?

Ich bin in New York.

Macht es Dir noch Spaß, Promo für ein Ramones-Produkt zu machen?

Ach, weißt Du, ich bin sehr stolz auf das, was die Ramones erreicht haben, und ich habe immer noch Lust, darüber zu sprechen, was sie gemacht haben und sie den jüngeren Leuten vorzustellen, die sie vielleicht noch nicht so gut kennen.

Musst Du die jungen Leute wirklich bearbeiten, oder hast Du das Gefühl, dass sie noch einen guten Bezug zu den Ramones haben und die Band vielleicht von alleine entdecken?

Nein, es ist immer gut, die Initiative zu ergreifen und sich an die jungen Leute zu wenden. Es gibt ja so viele Musik da draußen. Mit den ganzen verschiedenen Medien, dem Internet, Videospielen, Bands, Filmen ... Es hilft, ein bisschen Promotion zu machen.

Was würdest Du einem ganz normalen Teenager sagen, der Punkrock hört und die Ramones noch nicht kennt?

Ich würde einfach sagen: "Check out this band! Vieles von dem, was Du hörst, hat seinen Ursprung in diesen Kerlen. Die Chancen stehen gut, dass Du es mögen wirst!" - Weißt Du, diese DVD ist eine großartige Zusammenstellung. Es sind vier Stunden Livemitschnitte, von den ganz frühen Tagen im CBGB's und den ersten Touren an. Alle möglichen Aufnahmen, zum Teil auch vom Publikum aufgenommen. Man kann die Ramones auf ihrem jugendlichen Höhenflug sehen. Da sind wichtige Shows dabei! Auf der zweiten DVD siehst du dann die reifen Ramones, wie sie die Welt erobern. Man kann sehr gut die Entwicklung der Band nachvollziehen, und wie sie sich über die Jahre verändert haben.

Oh ja, das stimmt. Bei den ersten Gigs, die Ihr gespielt habt, war ich noch nicht einmal geboren! Was für Gefühle kommen in Dir hoch, wenn Du die alten Aufnahmen siehst?

Es ist interessant, wenn man sich selbst sieht. Manchmal ist es, als sähe man eine andere Person. Es ist schwer zu begreifen, dass man sich selbst sieht. Du unternimmst eine Zeitreise, das ist echt faszinierend. Das ruft eine Menge Erinnerungen wach, die man vielleicht schon längst vergessen hat.

Gute Erinnerungen?

Alle möglichen! Gute und nicht so gute ...

Was denkst Du, wenn Du Dich selbst siehst?

Ich denke: "So schlimm hast Du Dich damals gar nicht angestellt!"

"Meine Aufgabe ist es, die Message weiter zu tragen"

Wie wichtig schätzt Du diese DVD im Output der Ramones nach ihrem Ende ein?

Alle diese Filme, die herausgekommen sind, sind sehr unterschiedlich. Es sind historische Mitschnitte, die die Geschichte dieser Band nachzeichnen. Auf der zweiten DVD ist es fast wie eine Seifenoper. Dann gibt es Markys Video, "Raw", das ist eigentlich ein Film über die späten Jahre der Band. Es zeigt eine neue Seite der Ramones. Und dann gibt es dieses Video, das einfach nur die Shows zeigt.

War es schwierig, das Filmmaterial zusammen zu tragen?

Wir haben einen Aufruf rausgeschickt, dass wir Livemitschnitte suchen. Das Lizenzieren hat viel Arbeit gemacht. Insgesamt haben wir etwas über drei Jahre gebraucht, um die DVD fertig zu stellen. Es ist ein interessantes Resultat geworden. Das ist diese Art von Video, die man sich immer wieder ansehen kann, wegen der verschiedenen Abschnitte. Es gibt immer wieder was zu entdecken.

Du bist der letzte Überlebende der Ur-Ramones. Ist das Erbe der Band manchmal eine Belastung für Dich?

Ich glaube, dass es meine Aufgabe ist, die Message der Ramones weiterzutragen. Das ist mein Job, und ich empfinde es als Privileg, ein Teil dessen gewesen zu sein. Ich bin sehr stolz auf das, was die Ramones erreicht haben. Ich mache das von ganzem Herzen und mit dem gebührenden Enthusiasmus. Aber letzten Ende ist das nur eines der Dinge, die ich tue.

Wie werden die Ramones heute in den USA rezipiert?

Die Ramones sind heute größer denn je, zumindest in kommerzieller Hinsicht. Mehr Leute kennen sie als früher. Also, man hat die Ramones auch früher schon gekannt, aber man hat nicht verstanden, worum es bei den Ramones ging. Die Leute kennen die grundlegende Geschichte der Band, aber nicht unbedingt ihre Bedeutung. Dieses Video wird uns dabei helfen. Je mehr Jahre vergehen, desto größer werden die Ramones.

Hier in Deutschland gibt es ein Ramones-Museum in Berlin, vor zwei Jahren hat sogar mal jemand ein Ramones-Musical auf die Bühne gebracht. Bekommst Du so etwas mit, interessiert es Dich?

An dem Musical war ich ja beteiligt. Aber was die anderen Dinge angeht, so freut es mich, dass da was passiert, aber ich habe da nicht viel mit zu tun. Der Typ mit dem Museum in Berlin ist, so weit ich weiß, in finanziellen Schwierigkeiten ... Ich habe gehört, dass sie es schließen wollen, ach, ich weiß nicht genau. Das sind halt einzelne Leute, die so etwas machen. Es gibt ja auch eine ganze Menge Tribute Bands und Fanclubs und Fanzines. Das macht mich alles sehr froh, aber ich habe persönlich nichts damit zu tun.

Im Oktober werden die Ramones in die Long Island Music Hall Of Fame aufgenommen. Bedeutet Dir eine solche Ehrung etwas?

Klar, jede Ehrung ist mir wichtig. Was diese einzelne jetzt genau bedeutet, kann ich Dir nicht wirklich sagen.

Wenn alle ehemaligen Ramones eine große Familie wären, welches Familienmitglied wärst Du dann?

Ich wäre wohl der gütige Onkel gewesen.

"Wir wollen die Leute nicht ins Gesicht schlagen mit unserer Musik"

Bist Du noch auf dem Laufenden, was heutzutage so an Musik auf den Markt kommt? Verfolgst Du den Punk-Sektor noch?

Nicht so sehr den Punk-Sektor, mehr die generelle Indie-Schiene. Alles, was im Alternative-Bereich rauskommt. Ich denke, dass das alles die Enkel der Ramones sind! Die Ramones haben ja so viel beeinflusst, New Wave und Indie ... Ich sehe mir das gesamte Bild an. Da kommen schon interessante Sachen raus, wie die White Stripes oder die Yeah Yeah Yeahs. Wenn jemand etwas Besonderes hat, etwas, das ein bisschen anders ist, dann höre ich da mal rein. Es gibt viel da draußen, aber nichts, was die Welt in ihren Grundfesten erschüttert. Aber wer weiß, vielleicht kommt so etwas ja bald.

Gibt es denn Bands, bei denen Du direkt Einflüsse der Ramones heraushörst?

Ja, klar, manchmal hört man schon die eine oder andere Band, die ganz klar von den Ramones beeinflusst ist. Aber mich interessieren diejenigen, die ein eigenes Talent haben. Was auch immer das sein mag. Klar findet man dann auch mal eine Band, die von den Ramones beeinflusst ist und gleichzeitig Eigenständigkeit hat. Das finde ich spannend. Ich finde die subtilen Einflüsse spannender, bei denen man hier und da nur eine Idee davon bekommt und das Gefühl hat, da macht jemand sein eigenes Ding.

Was für Musik hörst Du privat im Moment?

Seit ungefähr zehn Jahren habe ich mich sehr mit Bluegrass beschäftigt, mit der Musik aus vergangenen Tagen. In den letzten Jahren habe ich mir einige Instrumente angeeignet, die Mandoline zum Beispiel. Oder das Banjo und die Violine. Und die Dobro-Gitarre. Ich habe so eine Art moderne Indiemusik daraus geschafften und betreibe ein Duo, das sich Uncle Monk nennt. Das macht einen Riesenspaß! In diesem Jahr haben wir unser erstes Album in die Läden gebracht. It's growing in a grassroots way. Wir bauen das ganz langsam auf, wir wollen die Leute nicht ins Gesicht schlagen mit unserer Musik.

Erzähl doch bitte mal kurz etwas über Claudia Tienan, Deine musikalische Partnerin.

Sie hat eine lange Geschichte in der Indieszene. Sie ist aus Minneapolis in Minnesota. Ich habe sie in New York kennen gelernt, am College. Wir hatten eine Band zusammen, die auch Uncle Monk hieß, mit elektrischen Instrumenten. Sie spielte Bass und wir hatten einen Drummer. Über die Jahre hat es sich dann in einen Acoustic Act entwickelt. Sie spielt jetzt Gitarre und ich die ganzen Instrumente, die ich vorhin nannte. Sie ist ein großartiger Songwriter. Sie hat eine etwas dunklere Weltsicht als ich. Ich bin etwas optimistischer, aber die Mischung ist gut.

Musst Du Dich auf Grund Deines derzeitigen Musikstils manchmal vor alten Ramones-Fans rechtfertigen?

Nein, sie sind schon verständnisvoll. Man muss sie allerdings an die Musik heranführen. Viele von ihnen haben nie akustische Musik gehört. Das ist wohl etwas komisch für sie, aber wenn sie es hören, gefällt es ihnen in der Regel auch. Wenn sie es verstehen, können sie es auch wertschätzen.

Hast Du mal überlegt, ob Du in Uncle Monk nicht den Namen Tommy Ramone benutzt?

Ja, ich benutze beide Namen, Tommy Ramone und meinen bürgerlichen. Aber der Name Tommy Ramone öffnet Türen, die Leute wissen, wer Tommy Ramone ist. Das ist nicht so lästig. Aber ich benutze beide Namen.

Machst Du außer Uncle Monk noch etwas im Moment?

Nein, momentan konzentriere ich mich darauf. Es macht uns großen Spaß! Im Frühjahr haben wir eine lange Tour begonnen, und ich bin gerade voll dabei. Wir wollen im nächsten Jahr auch nach Europa kommen, aber wir müssen uns erst um die Basis hier in den USA kümmern.

Letzte Frage: Gibt es noch etwas, was Du in Deinem Leben noch machen möchtest?

Ich mache eins nach dem anderen. Wir wollen jetzt erst mal Clubs und Festival spielen. Was alles weitere angeht: Schreiben hat mir immer Spaß gemacht und ich hatte immer schon viel mit Film zu tun. Aber man kann ja nur eins nach dem anderen machen. Ich habe so viele Interessen, wer weiß, was ich als nächstes machen werde?

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