laut.de-Kritik

Zerpflückter 70er-Soul.

Review von

Soul-Gesang, der wirklich unter die Haut geht, muss vor Sehnsucht umso mehr triefen, je cooler die Instrumentierung gerät. Diesen Kontrast machten sich etwa Elektronikacts wie The KLF und C+C Music Factory zunutze. Auch ein westfälisches Reggae- und Ska-Quartett nutzt diese Spannung, die entsteht, wenn dubbige Abmischungen und eine laszive Soulstimme aufeinandertreffen: The Senior Allstars. Ihre Sängerin stammt allerdings aus der überschaubaren Dub-Szene der kanadischen Metropole Toronto.

Dort wuseln seit vielen Jahren auch der Produzent Dubmatix und Vocalacts wie Exco Levi und die in Jamaika geborene Ammoye. Die Vocals der jungen Dame flöten so verführerisch wie techniksicher, sie schulte ihren Gesang einst am Gospel. Für den "Soul From Dubdown – Darker Than Blue" knöpft sich die Münsterland-Toronto-Connection nun einige große Klassiker der Musikgeschichte aus Rock, Soul, frühem Reggae und Pop vor - und schleift diese auf dasselbe Basisdesign zu.

Das Ergebnis eröffnet auch Dub weniger Zugeneigten einen Zugang zu dem oft etwas spröden Genre. Denn der Witz liegt nicht in Reduktion und Wiederholung, sondern in unzähligen Hörreizen von Gesangsloops in der Echokammer bis hin zu eher unerwarteten Gitarrenriffs. Hier spielt die Lust am Unterbrechen der Beats zugunsten von derlei Spielereien eine wichtige Rolle. So nehmen Bass- und Schlagzeugverläufe plötzliche Kurven, Ammoyes Gesang wird in viele Schichten zerlegt und wieder neu zusammenfügt.

Das Ausgangsmaterial hat sich natürlich längst bewährt: "Why Can't We Live Together" hat im Original von Timmy Thomas symbolischen Charakter als einziges Cover und Schlusstrack auf Sades "Diamond Life". Ammoye gelingt mit dem in viele Teile zerstückelten Text eine ähnlich starke Version. Ihre Stimme betont, wie sich doch manche Probleme mit Non-Chalance und Charme wegwischen lassen – so auch die Rassismus-Thematik des Tracks. Selbstbewusstsein und die Initiative der Frau führen das Liebespaar zusammen, das Ende bleibt dennoch offen. Komprimierter und trauriger als bei Sade klingt der Radio Edit. Dub-Puristen dürfte mit dem Vocal Dub Edit mehr geholfen sein.

"Ain't No Love In The Heart Of City" kennen die meisten Musikfans von Whitesnake. Die Thematik lehnt sich an "Why Can't We Live Together" an: Auch hier stehen soziale Hürden der Nächstenliebe im Weg. Eine illustre Promischar von Leuten coverte die Nummer bereits, darunter Jay-Z unter dem Titel "Heart Of City (Ain’t No Love)" und Paul Weller, wobei die erste Fassung von Bobby Blue Bland als Sample bei Jay-Z auftaucht. Auch im Reggae kennt man den Song.

Mit dem Jazz-Classic "Baltimore" fügt sich ein weiterer, thematisch passender Songtext an: "There ain't nothing here for free", heißt es über die Stadt Baltimore, über deren Armuts-Problematik auch schon Tim Hardin einen von Joan Baez und Johnny Cash vertonten Song machte. "Baltimore" wurde schon von Nina Simone bis Randy Newman herumgereicht. Zuletzt verzierten den Track eine hauchende Jazmine Sullivan, funky Wah Wah-Gitarre und Saxophon-Quieken. Verträumt holt Ammoye nun eine neue Seite aus dem Tune heraus - durch die Verschnitttechnik der Dub-Mixes: Es klingt, als spukten der Dame dauernd einzelne, quälende Gedankenschnippsel durch den Kopf.

Darunter sägen in der "Baltimore (Vocal Dub Edit)" die Bass-Rückkopplungen und Echos. Während von all dem, was Bill Withers "Ain't No Sunshine" ausmacht, leider nichts übrig bleibt, überrascht besonders der eher unbekannte Song "Slippin' Into Darkness" von War, den jeder Musikfreak anhören sollte - im LSD-verwirrt klingenden Acapella-Funk-Original von 1972. Black Uhuru übertrugen ihn als Reggae-Dub-Gruppe in einen Power Movement-Soultitel. Gleichwohl Widespread Panic live die ganz besonders verruchten jazzigen Versionen daraus bastelten, stimmt auch der Ansatz der Seniors: "Slippin'" passt zu dem wabernd ungefähren Sound und den zittrig widerhallenden Silben von Ammoye.

"Soul From Dubdown – Darker Than Blue" zeigt, dass man nicht immer nur über neuen Songs brüten muss. Die Platte bleibt aufgrund der vielen Schnippsel zwar etwas zu sehr auf Distanz, als es die mitunter ernsten Texte verdient haben. Die Präzision der Senior Allstars und die freie Art Ammoyes, ihre Stimme einzusetzen, seien dennoch hervorgehoben. Perfekte Musik, um sich aus stressigen Momenten herauszubeamen.

Trackliste

  1. 1. Get Ready
  2. 2. Slipping Into Darkness
  3. 3. Mango Walk
  4. 4. Collie Stuff
  5. 5. Why Can't We Live Together
  6. 6. Ain't No Love In The Heart Of The City
  7. 7. Baltimore
  8. 8. Ain't No Sunshine
  9. 9. Why Can't We Live Together (Radio Edit)
  10. 10. Why Can't We Live Together (Vocal Dub Edit)
  11. 11. Baltimore (Vocal Dub Edit)

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