laut.de-Kritik
Kraftvoll-stürmische Songs gegen die Gefühlskälte unserer Zeit.
Review von Toni HennigNach der Welttornee als Support von The Cure 2016 kehrte bei The Twilight Sad ein wenig Ruhe ein. Da blieb für Sänger James Graham genug Freiraum, sich auf das Debüt seiner neuen Band Out Lines, der außerdem Kathryn Joseph und Marcus Mackay angehören, zu konzentrieren, das letzlich Ende 2017 erschien. Dagegen widmet sich Schlagzeuger Mark Devine wohl eine Zeit lang ganz anderen Sachen als der Musik. Der verließ nämlich Anfang des vergangenen Jahres die Wahl-Glasgower. Mit Sebastien Schultz fanden sie jedoch für ihre Auftritte schnell Ersatz. Trotzdem saß bei den Aufnahmen von "It Won/t Be Like This All The Time" Chvrches-Live-Drummer Jonny Scott hinter den Fellen.
Das tut allerdings der Intensität keinen Abbruch. Ganz im Gegenteil. Schon in "[10 Good Reasons For Modern Drugs]" lässt Scott nichts anbrennen, wenn seine repetitiven Drum- und Percussion-Schläge die Dringlichkeit des Tracks unterstreichen. Dazu legen sich der dramatische Gesang und die kühlen Synthies von Brendan Smith, der darüber hinaus nun neben Bassist Johnny Docherty als vollwertiges Bandmitglied zählt, wie ein Grauschleier über das Gemüt des Hörers.
Schließlich befinden wir uns in düsteren Zeiten. Nicht nur Großbritannien scheint mittlerweile so tief gespalten zu sein, dass Teile der Bevölkerung auf den Straßen radikale Weltanschauungen offen zur Schau tragen. Auch sieht man sich mit einer zunehmenden Gefühlskälte konfrontiert, die kaum noch Raum für Zwischenmenschlichkeit lässt. Schlussendlich bleibt nur noch wenig übrig, das einem in der Realität eine gewisse Sicherheit gibt.
Auf alle Fälle wissen The Twilight Sad ganz genau, wie man dieses Dilemma in schwelgerisch-melancholische Töne kleidet, ohne an Schärfe einzubüßen. Außerdem enthält die Platte ihr bislang aufbrausendstes Material, wie etwa "Girl Chewing Gum" beweist, das anfänglich in bester Krautrock-Manier Metall auf Metall schlagen lässt, sich aber nach und nach kraftvoll gegen die Leere und Trostlosigkeit stemmt. Letzten Endes wohnt den Nummern etwas zutiefst Menschliches inne.
Ebenso sorgt "I/m Not Here" mit dynamischen Spannungsbögen für Lebendigkeit. "Auge/Maschine" schreitet gleich kompromisslos mit dem tosenden Post-Rock-Gitarrenspiel Andy MacFarlanes stürmisch nach vorne. Ihre Unverbrauchtheit und ihre Experimentierlaune haben sich die Schotten, seit Sommer letzten Jahres auf Mogwais Rock Action Records unter Vertrag, also bewahrt.
Dennoch fahren sie an mancher Stelle das Tempo ein wenig zurück, so dass man auf resignierende Cold-Wave-Töne nicht verzichten muss. So versetzt uns "The Arbor" mit stoischer Bass- und Gitarrenarbeit, monotonen Drumschlägen, schwebenden 80er-Jahre-Synthies und der klagenden Stimme von Graham ins Thatcher-Zeitalter zurück. Da fällt "Sunday Day13" mit ruhigem Ambient-Piano und pluckernder Elektronik vergleichsweise subtil aus, schafft jedoch gerade dadurch eine noch unbehaglichere Atmosphäre. Nein, viel zu lachen hat man mit der Scheibe nicht, aber dafür mangelt es ihr nicht an Abwechslung.
Vor allem in "Let/s Get Lost" gelingt der Band der Spagat zwischen pianolastiger Schwere und eruptiven Gitarrenausbrüchen mehr als formidabel, zumal sie ihre Tracks oftmals zu massiven Klangtürmen schichtet, ohne sie dabei allzu sehr zu erdrücken. Auf jeden Fall blitzt eine leichte Aufbruchsstimmung hier und da durch. Trotz alledem stellt der Sänger gegen Ende erschöpft fest: "It's just another heartache to me." Mit dem ständigen Kämpfen und Durchhalten stößt man irgendwann jedenfalls unausweichlich an seine Grenzen.
Da fragt man sich doch, was überhaupt diesen Planeten zu einem lebenswerteren Ort machen könnte. Wahrscheinlich nur noch ein wenig Anmut. Die kommt bei "Videograms" tatsächlich nicht zu kurz, wenn die maschinelle Rhythmik zugunsten flächiger New Order-Gitarren und melodieverliebter Synthie-Melodien allmählich in den Hintergrund drängt, während Graham wie Marc Almond zu seinen besten Zeiten hingebungsvoll aber nicht ohne Selbstzweifel vor sich hinschmachtet: "I'm afraid to tell you / When you're wrong." Zumindest die tröstliche Musik lässt für einige Minuten jegliche Ängste und Sorgen vergessen.
Anscheinend steht es mit der Welt nicht ganz so schlimm, wie man annimmt, wenn noch solche wärmenden Klänge existieren. Dessen ungeachtet erinnert uns das Album immer wieder daran, dass es inzwischen zwei vor zwölf ist. "It Won/t Be Like This All The Time" sagt schon alleine mit seiner Musik über die Zeit, in der wir leben, eine Menge aus.
5 Kommentare
Hammer Album von einer Super-Band...5/5
Band ist eine Bank.
Richtig stark! Eher ne 5/5
I beg to differ...
Die Synths sind unter aller Kanone und lösen zu jedem ihrer Einsätze auf dem Album den spontanen Reiz in mir aus, jemanden für die schäbige Auswahl dieser durchweg miesen, über Wochen im 80er-Jahre-Popbad marinierten Trash-Sounds zu ohrfeigen. Der Sänger klingt diesmal, als habe er sich vorgenommen, den Editors-Typen und den White Lies-Kerl mit einem Schuss Brandon Flowers in Personalunion zu ersetzen und reicht dabei zu keiner Sekunde an die unverhohlen wiederzuerkennenden Paten seines Vortrags heran. The Twighlight Sad hatten bei mir zugegeben auch mit ihren vorherigen Alben eher so den Status "Ferner liefen...", aber während die Vorgänger noch im unauffälligen Mittelmaß versanken, schaffen sie es mit dieser Platte immerhin, mich noch vor deren Ende zum Auflegen von was anderem zu drängen.
Maximal 2/5 an Tagen, an denen ich wesentlich besser gelaunt bin als heute.
Ausgerechnet ihr schwächstes Album wird hier als erstes rezensiert! Stimme soulburn zu und bin schwer enttäuscht von diesem Selbstplagiat (die Alben davor fand ich aber gut bis sehr gut) Und ja leider mal wieder diese grottigen Synths ausgepackt brrrrr!!