18. September 2002

"Ich freue mich auf die No Angels!"

Interview geführt von

"'Blue Eyed Soul' ist ursprünglich der Begriff, den Schwarze in Amerika etwas abschätzig gebrauchen, wenn Weiße Soulmusik machen. LAUT sprach mit Till Brönner über sein neues Album, die Zusammenarbeit mit den No Angels und andere Themen.

Hallo Till, heute Abend spielt die Champions League! Würdest du auch lieber Fußball schauen?

Es gibt tatsächlich Ereignisse, an denen ich lieber etwas anderes tun würde, weil das Musikmachen ein luxuriöser Alltag für mich ist. So was wie das Endspiel der Champions League oder die Weltmeisterschaft schaue ich mir schon gerne an, obwohl ich kein großer Fußballfan bin. Das kann man so schön zelebrieren. Wenn man so ein Spiel mit guten Freunden, Bier und Grillen verbindet, das macht einfach Spaß. Das ist kommunikativ sehr, sehr fruchtbar. Da staune ich dann auch, wie viele Leute sich davon überhaupt nicht beeindrucken lassen.

Hören Fußballfans Jazz?

Ich glaube die Allerwenigsten. Man muss sich ja schon schämen, als Jazzmusiker zu behaupten, Fußballfan zu sein. Obwohl es eine Menge Jazzmusiker gibt, die wirklich Fußballfans sind, aber ich glaube, dass jazzmusikhörende Fußballfans eher in der Minderheit sind.

Woran liegts?

Ich glaube, ohne das werten zu wollen, dass es in der Mehrzahl einfach nicht die Klientel ist, die sich Musik bewusst anhört. Ich rede von den Leuten, die jedes Wochenende zu den Spielen fahren, den eingefleischten Fans, die von Fußball so eingenommen sind, dass ihre Prioritäten klar dort liegen. Jazzmusik ist eine Musik, die eine bestimmte Art von Vorbildung voraussetzt, die selbst potentiellen Jazzfans oft nicht gegeben ist, und sich erst über lang anhaltende Anfütterung einstellt.

Das heißt, man muss aktives Interesse an der Musik haben?

Absolut. Das Gefühl und die Hörgewohnheit hat sich so entwickelt, dass man viele Dinge als selbstverständlich, normal und hochklassig empfindet, die man früher als Katzenmusik bezeichnet hätte. Man muss sich wirklich mal fragen, woran das eigentlich liegt. Es gibt wenig Musik, bei der man sich so sehr an all das Drumherum und das Innendrin gewöhnen muss, wie beim Jazz. Bei Heavy Metal beispielsweise ist klar, wie der Hase läuft, da muss ich nichts mehr erklären. Bei klassischer Musik, wenn es nicht moderne, zeitgenössische Klassik ist, erwartet mich auch meistens nichts Unerwartetes ... Wobei man sagen muss, dass bei Neuer Musik der Experiment-Charakter noch stärker eine Rolle spielt, als im Jazz. Die typischen Jazzmerkmale machen sich für mich immer noch an relativ wenigen Eckdaten fest, und dann werden die Grenzen fließend. Da ist Jazz irgendwann gar kein Jazz mehr.

Du sprichst von den Eckdaten. Du selbst bist ja so eine Art Jazzchamäleon, sehr vielseitig und wandelbar, hast mit Hildegard Knef gearbeitet, dich um alte UFA-Schlager gekümmert, kölsches Karnevalsgut musikalisch verarbeitet ... ! Was ist die gemeinsame Basis all dieser Projekte, was sind für dich die Eckdaten im Jazz?

Wenn man sich durch die Projekte durchhört, dann fällt schon eine ähnliche Handschrift auf. Interessant war für immer nur, wie ich mich mit meiner Handschrift und dem Vokabular über das ich verfüge, an Themen wage, die mit Jazz nicht direkt etwas zu tun haben. Die Grundeckwerte von Jazz machen sich bei mir an dem fest, was an Hochschulen gelehrt wird. Da habe ich eine relativ biedere Auffassung. Das ist eher harmonisches und rhythmisches Material, auf das man zurückgreift. Sobald dann Welteinflüsse dazu kommen, wie beim Bossa Nova oder Latin, muss man schon vorsichtig sein, das als Jazz zu bezeichnen. Aber es hat natürlich einen großen gegenseitigen Einfluss aufeinander. Die Grenzen sind und müssen heutzutage sehr fließend sein. Der Begriff Jazz ist heute den Musikern gar nicht mehr eigen. Das ist übrigens eine ganz gefährliche Entwicklung. Man stellt fest, dass Jazzmusiker, weil sie den ganzen liebenlangen Tag üben und nur mit sich selbst beschäftigt sind, gar nicht merken, wie sich andere Lager auf ziemlich raffinierte Art und Weise des Wortes Jazz bemächtigt haben, und etwas verkaufen, was eigentlich gar nicht Jazz ist. So dass du am Ende Musik machst, die mit einem Wort nicht einzugrenzen ist, weil zukünftige Hörer unter dem Begriff Jazz etwas ganz anderes verstehen!

Jetzt bemühe ich Dhafer Youssef, mit dem ich mich vor Kurzem unterhalten habe. Er geht gerne "fliegen" ...

Ja

... und der Jazz bietet ihm die Möglichkeit dazu.

Kann ich gut nachvollziehen. Jazz ist in meinen Augen die freiheitlichste Musik überhaupt. Es gibt keine Musik, in der du so im Moment entscheiden kannst, was du machst...

... dann wäre das auch so ein Eckpfeiler?

Absolut. Obwohl wir eben von Regeln gesprochen haben, die Freiheit (mit dieser gewissen verklärten Betonung des Wortes Freiheit) ist mit der allerwichtigste Punkt im Jazz. Da einigt man sich eigentlich nur auf eine ungefähre Route. Aber da ist das Individuum und die Freiheiten, die es sich nimmt, unbedingt gefragt.

Wird Freiheit gelehrt an der Hochschule? Oder geht es dort nicht eher um das Handwerk und die Regeln?

Freiheit und Handwerk schließen sich ja nicht gegenseitig aus. Man muss alle Handwerkszeuge zur Verfügung haben, um dann zu entscheiden, in welche Freiheit man sich selbst entlässt, und wohin man fliegen will.

Was brauchst du, um fliegen zu gehen?

Eine Band auf die ich mich verlassen kann. Musiker die sich kennen, klingen nicht zwingend jeden Abend gleich. Im Gegenteil. Sie vertrauen sich gegenseitig so sehr - das ist wie Fallschirm springen. Irgendwie kommt man schon an, man muss halt diesem immer wieder gewarteten Fallschirm vertrauen. Dann nimmt man halt den Hersteller, den man kennt. Deswegen ist die Symbiose von Musikern, die über lange Jahre miteinander gearbeitet haben, etwas Unbezahlbares.

Kannst du in bestimmten Projekten besser abheben, als in anderen? Das hängt ja sicher nicht nur von der Zuverlässigkeit und dem Vertrauen ab, sondern auch vom Groove, vom Flow ...

Auf jeden Fall. So eine Platte wie "Blue Eyed Soul" beispielsweise lässt mich an vergleichsweise wenig Punkten fliegen gehen, weil es doch ziemlich klar ist, auf was ich mich da einzulassen habe. Mein Leben lang könnte ich diese Musik nicht spielen. Aber ich habe so einen Spaß an ihr, dass ich sie doch immer wieder anders spiele. Dann muss aber in regelmäßigen Abständen richtiger Jazz gespielt werden, damit ich mich wieder "freischwimme" und meine Basis nicht vergesse. So etwas wie heute Abend, oder im Berliner Jazzclub "A-Trane". Mich selber auf dem Instrument immer auf die eigene Verfassung zu überprüfen, die übrigens gerade im Jazz absolut ungefiltert deutlich wird, ist für mich extrem wichtig. Momentane mentale Störungen oder vorübergehende Blockaden hört man sehr deutlich und schnell, gerade in der Improvisation. Das ist der direkte Spiegel deiner Seele.

Neben all deinen Projekten brauchst du also immer wieder den puren Jazz, weil du die Freiheit nur dort findest?

Absolut, den brauch ich ganz dringend. Ich würde allerdings eingehen, wenn ich mich nur damit befassen würde. Ich hab noch nicht herausgefunden, warum das bei mir so ist. Aber mir stoßen immer mehr die Umstände eines Jazzmusikerlebens auf. Von der Behandlung und der Sicht untereinander bis hin zur unfassbar festgefahrenen und arroganten Haltung mancher Veranstalter, sogenannten Jazzexperten oder mancher Medien. Das stößt mir mittlerweile so auf, dass ich bewusst sage, ich mache diesen Klischeescheiß nicht mehr mit.

Hat das etwas zu tun mit deiner Aussage "ich stehe eben mittlerweile auf Sachen, die einem puren Jazzer die Zornesröte ins Gesicht treiben"?

... und provoziere dabei aber wieder nicht! Mir wird ja immer vorgeworfen, mir fehle die Provokation. Interessant ist, dass am meisten über mich geschrieben wird, weil ich scheinbar durch das Nicht-Provozieren provoziere. Etwas zu mögen, obwohl es aus einem ganz anderen Lager kommt und mir andere Dinge abverlangt, das lässt mich ziemlich ruhig bleiben. Das ist meine Welt.

Das eben bemühte Zitat bezieht sich deshalb ja auch auf deine neue Platte "Blue Eyed Soul"! Ursprünglich hätte es ja eine House-Platte in Zusammenarbeit mit Mousse T werden sollen. Was ist aus diesem Vorhaben geworden? Liegts am House, an der Trompete oder gar an dir?

Ich hab da mehrere Antworten, aber Fakt ist, dass ich es irgendwann langweilig fand. Es kam einfach nicht zu dem Stück, was mir nicht nach fünf Minuten auf den Zeiger gegangen wäre ...

St. Germain z.B. schaffen es, den House-Charakter zu erhalten und trotzdem interessant und abwechslungsreich zu klingen.

Ja das stimmt, das muss so ein akustisches Mix werden. Aber auch dort ist der Instrumentalist immer nach einer Weile doch eingeschränkt (...). Wer mir auf dem Sektor gut gefällt, ist z.B. Bugge Wesseltoft. Er schafft es immer, mit Housebeats hervorragende Musik zu zimmern und zu zaubern, bleibt aber in meinen Augen doch auch sehr in der Atmosphäre. In der Housemusik das Instrument und vor allem die Trompete, vorne anzustellen, kann schnell zu einer billigen Angelegenheit werden. Da bist du auch ganz schnell bei diesem Hit "Would you ...?" (von Touch And Go). Sobald Trompete und House gemixt werden, kann das ganz schnell billig werden und kippen, und mir wurde das Ganze irgendwann eine Ecke zu brachial und prollig.

So, dass es eben nicht für ein Album reicht. Vielleicht mal für einen ausgewählten Track.

Ja genau. Wesseltoft macht das eben ganz gut, weil er da noch andere Sachen drüber und drunter legt. Gerade bei Jazz-House oder diesen Club-Geschichten, da merkst du, wie Musiker mit vielen Vokal-, Instrumental- und Akustikfetzen arbeiten, die haben aber mit einem Solisten als Protagonisten nichts mehr zu tun. Deswegen hab ich mich dann von dieser Idee verabschiedet.

Till, ich komme noch einmal zum neuen Album zurück. Was ist für dich der Unterschied, ob weiße oder schwarze Musiker Soul spielen? Ich spiele natürlich auf den Albumtitel an ...

Schon klar. "Können weiße Jazz spielen?", wobei ich die Soulmusik mit einbeziehe, "Können nur Schwarze das?" oder "Dürfen Weiße das überhaupt?" Diese ganze Diskussion ist für mich in dem Augenblick beendet, wo man einfach festhält, dass Jazz an Sich eine schwarze Erfindung ist. Dieses Faktum ist historisch einfach belegt.
Trotzdem kenne ich ganz viele Schwarze, die nicht für 2 Pfennig (er meint wahrscheinlich 1 Cent) swingen, die nicht singen können, und kein Feeling haben. Für mich ist interessant, wie Weiße mit dieser Musik und dieser Kultur umgehen. Das interessiert mich sehr, und hat auch mittlerweile dazu geführt, dass Blue Eyed Soul in Amerika ein hoffähiger Begriff geworden ist. Eine Zeit lang war das ein abschätzig gebrauchter Begriff von Schwarzen, wenn sich Weiße an Soulmusik herangewagt haben. Mittlerweile ist der Begriff durchaus positiv behaftet. Leute wie George Michael oder Sting gehören längst zu der Blue Eyed Soul-Gemeinde. Es gibt ganze Radio-Sender, die nur Blue Eyed Soul spielen.

"Blue Eyed" heißt übersetzt auch blauäugig.

Auch wenn das ein bisschen pathetisch klingt, ich hab mir immer geschworen, mir ein bestimmtes Maß an Blauäugigkeit zu erhalten. Diese, vor allem in Deutschland weit verbreitete Tendenz, immer alles gleich zu hinterfragen bevor man es tut, legt uns auch Steine in den Weg, die uns oft hinter amerikanischen Musikern zurück bleiben lassen. Amerikanische Schlagzeuger erzählen dir: "du kannst jetzt alle Schlagzeugschulen durchprügeln und versuchen zu kapieren und zu befolgen, aber letztlich setzt dich einfach hin und fang an. Mach es einfach." Deutschland und der Jazz sind nicht zusammen auf die Welt gekommen, soviel steht fest.

"Blue Eyed" also im Sinne von No Risk, no Fun oder Mut zum Risiko?

Genau das! Man muss sich immer mal wieder in eine neue Umgebung werfen, dann kriegt man schon raus, ob man sich dort wohl fühlt oder nicht.

Wenn ich die Vielfalt deiner Projekte so ansehe, bist du ja ein Profi im "Dich Hinein werfen".

Zumindest hab ich großen Spaß daran und ich hab auch schon festgestellt, dass Projekte nicht aufgegangen sind.

Darf ich fragen, was?

Nein! (Gelächter) ... da würde ich falsche Namen nennen.

O.K., dann werf ich dir ein paar Namen vor. Ich grabe jetzt den Trompeter schlechthin aus, Miles Davis. Was für ein Verhältnis hast du zu ihm.

Ich würde sagen, ein angemessenes. Es gibt keinen Musiker, der die Nachwelt an Instrumentalisten, vor allen Dingen im Jazz, aber auch allgemein, so beeinflusst hat, wie dieser Mann. Diese Persönlichkeit, dieses Idiom, daran ist einfach nicht vorbeizukommen. Auch er hat sich ganz viel Kritik aussetzen müssen, und darauf geschissen. Und kurz bevor er in die Kiste gestiegen ist, stellt er sich hin, und spielt in der gleichen Tiefe noch einmal die Gil Evans Projekte. Wahnsinn, dass er das zu jedem Zeitpunkt hätte machen können, und zum Schluss hat er sich noch mal - einige behaupten ja - niederreißen lassen, es zu tun. So etwas ist wunderschön.

Nils Petter Molvaer?

Nils Petter Molvaer ist zurecht mit einer so großen Fangemeinde ausgestattet. Wobei ich sagen muss, dass ich ihn nicht darum beneide, seine neuen Platten zu machen. Wenn sich so etwas über Jahre hält, ist das wunderbar. Aber mir sagt diese Musik, die ich als dunkel und teilweise bösartig empfinde, einfach nicht so viel. Ich würde ihn eigentlich gern ab und zu mal mehr wirklich Trompete spielen hören. In seiner Musik ist alles immer so verfremdet, dass man gar nicht mehr weiß, ob er wirklich spielen kann.

Chet Baker?

Chet Baker ist jemand, der mir oft sehr viel gegeben hat: In Zeiten, in denen ich mich von Leuten, die das Gefühl hatten, Jazz könne nur auf eine einzige Art und Weise gespielt werden, habe beuteln lassen müssen. Diese Meinung teile ich ganz und gar nicht. Vieles von Chet Baker teile ich auch nicht. Aber dieses tragische, etwas dauertraurige, auch romantische, in sich gekehrte, das ist schon was, was mir eher liegt, als z.B. „brachiale“ Trompetensätze von Arturo Sandoval.

Das hört man in deiner Musik ja auch. Nächster Name: Joo Kraus

Joo Kraus ist seit wenigen Monaten ein richtig guter Freund von mir. Ich kenne wenig Musiker, die so auf dem Boden geblieben sind, obwohl sie so viel Erfolg gehabt haben. Man denkt immer, was jetzt nach Tab Two kommen mag. Aber von dem Mann wird man noch richtig viel hören, ich bin ein großer Fan.

Was bringt deine musikalische Zukunft?

Ich bin gerade mit zwei Produktionen zu Gange. Über die eine kann ich noch nicht reden, über die andere schon eher. Ich produziere gerade eine Big Band DVD für die No Angels, da freue ich mich schon sehr drauf. Ansonsten habe ich gerade bei Bootsy Collins, Rosenstolz, Robi Lakatos, einem Rilke Projekt und den 12 Cellisten der Berliner Philharmoniker mitgewirkt.

Bis wann wird das mit den No Angels so weit sein?

Die Aufzeichnung findet schon im Juli statt und vorher gehe ich noch mit "Blue Eyed Soul" in Thailand, Japan und Europa auf Tournee. Es gibt viel zu tun ...

Vielen Dank für dieses anregende Gespräch.

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