laut.de-Kritik

In der Schachtel sind noch einige Hölzer.

Review von

"Feinen Menschen / muss man geben", sang schon Dirk; bei diesen Zeilen hatte ich den mir persönlich unbekannten Stuart Staples vor Augen. Staples' Art der Musik ist gar nicht unbedingt mein Metier, wie Rufus Wainwright oder Kurt Wagner schien er mir immer zu zart, um ihn zu fassen, zu zerbrechlich für mein ungestümes Gemüt. Als sprächen wir unterschiedliche Sprachen, er haucht Kammerpop, ich grunze. Was soll ich mit so jemandem anfangen, der immer so leise ist und doch so reich orchestriert?

Das "Problem" ist, dass Staples scheinbar partout nicht aufhört, Musik zu veröffentlichen mit seinem ewig völlig fertig aussehenden Compagnon Neil Fraser und den anderen Hölzern der Tindersticks. Wenn es eh unvermeidlich ist, warum also nicht bei "Soft Tissue" beginnen mit der Erschließung des Werks? "Distractions" war immerhin genau das, eher eine falsche Fährte. Zumal das, so viel sei verraten, großartige "Soft Tissue" eine Version der Tindersticks zeigt, in der die Streicher und das Brimbamborium eine untergeordnete Rolle spielen.

"New World" macht es einem ganz leicht, den Einstieg zu finden: "I won't let love become my weakness" skandieren die zurückhaltend eingesetzten Backgroundsängerinnen. Staples singt dazu leise und melodisch vor sich hin; er fliegt wie ein Vogel scheinbar zufällig und doch völlig bewusst, was einem beim Anhören aber gar nicht so auffällt. Der Nachfahre von Robin Hood scheint dabei neben einem zu stehen und in Zimmerlautstärke zu reden. Die saubere, tiefe Produktion von Staples selbst entblößt den samtenen Gesang nicht vollständig und vermeidet gleichzeitig erfolgreich einen Mattscheibeneffekt. Die tieftraurigen Texte bekommen so noch eine dunklere Färbung, da der Sänger so unmittelbar vorträgt.

"I need a place to curl up inside" stöhnt Stuart auf "Don't Walk, Run" und gibt sich genauso verlassen wie auf "Nancy": "Answer me / It was just a line of speed". Dabei bleibt er gleichzeitig spannend im Erzählen und abstrakt bzw. interpretationsbedürftig. Ob "Nancy" durch eine von ihm verabreichte Überdosis unbeabsichtigt umgebracht wurde, bleibt unklar. Nicht unklar ist der coole Bass von "Nancy", ein Lied, das in Tarantinos Beuteschema passen sollte. Musikalisch ist "New World" kaum weniger cool und dosiert seine extreme Entspanntheit mit leichtem Zug im Refrain. Kammerpop ist das schon noch, aber in einer sehr lebendigen Variante, wie "Don't Walk, Run" eindrücklich zeigt, das jede Struktur abstreift und sich fünfeinhalb Minuten um sich selbst windet.

"Falling, The Light" fällt ruhiger, aber dank seines schönen Kontrastes zwischen kantiger Percussion und Gitarren/Glocken nicht lieblich aus, sondern ist eine wunderschöne Fingerübung, die den Hörer um Nottingham herumführt. "Always A Stranger" bleiben wir alle und der Song dazu so abwechslungsreich, als würden die halben 90er-Bad Seeds spielen. "Soft Tissue" ist Bandalbum, wie die Tindersticks es vielleicht seit ihrem großen Umbruch nicht mehr waren. Die Verbindung zwischen den Musikern und Staples gefällt mit ihrem ätherischen Touch, man stupst sich gegenseitig an, oder wie Staples singt: "We meet at our edges".

Langsamer hat sich kaum jemand jemals selbst gegeißelt als auf "The Secret of Breathing": "But I have been broken / And I have been rolled / And rolled / And rolled". Da kann einer kaum mehr fassen, wie übel ihm mitgespielt wurde, und dass er trotzdem noch kann; der Schmerz bleibt nie ohne Worte und absolut nie ohne Unterhaltungswert. Sieht man dazu die gruseligen Bilder (wie das schöne Cover), die Staples Tochter gemalt hat, muss der als Vater einiges richtig gemacht haben, Stimmung am Küchentisch war wohl trotzdem komisch.

Lyrisch kommt der Höhepunkt erst mit dem vorletzten und allerbesten Song "Turned My Back". Ein lauerndes Biest, dessen Gefährlichkeit kein Stück darunter leidet, dass man weiß, dass die Tindersticks sowas nie komplett von der Leine lassen. "I held it in my hands, trembling" und das "it" ist wahlweise (vermeintliche) Freiheit, Glück, Begierde, Sehnsucht, alles verpasst und alles verloren. Die Zündholzer machen daraus einen nie den zweiten Gang verlassenden, langsam-überdrehten Call-And-Response-Zweifelshit. "Soon To Be April" schließt diese zu jeder Sekunde höchst unterhaltsame und kunstfertige Scheibe versöhnlich mit dem für die Band oft charakteristischen Zweispiel aus Keyboard und Gitarre, das einen letzten Hauch Magie auf ein tolles Album streut.

Trackliste

  1. 1. New World
  2. 2. Don't Walk, Run
  3. 3. Nancy
  4. 4. Falling, The Light
  5. 5. Always A Stranger
  6. 6. The Secret of Breathing
  7. 7. Turned My Back
  8. 8. Soon To Be April

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