laut.de-Kritik

Der schwindende Erfolg scheint befreiend zu wirken.

Review von

Diesmal haben es Empire Of The Sun besonders eilig. Nicht einmal ein halbes Jahr nach "Two Vines" veröffentlichen sie mit "Dream Machine" den gelungenen Nachfolger. Ihren Stil treu bleibend, schließen sie mit dem Titel thematisch an ihr Debüt "Walking On A Dream" an. Ganz am Nabel der Zeit zeigen sich die Australier, zu deren Werk auch immer die Inszenierung zählte, in "Stranger Things"-Optik. Bereits der Opener...

Moment! Das sind nicht Empire Of The Sun? Das sind Tokio Hotel? Igitt. Jetzt setzt es einen deftigen Verriss. Da könnt ihr euch sicher sein. Überhaupt, wie schaut denn dieses Cover aus? Wie billig die Kaulitz-Brüder, Ren und Stimpy hier auf einen fahrenden Zug aufspringen. Peinlich.

Das fünfte Album der Magdeburger siedelt sich irgendwo zwischen diesen beiden Extremen an. Aus ihren wackligen und unentschlossenen Schritten auf ihrem ersten englischsprachigem Longplayer "Kings Of Suburbia" ziehen Tokio Hotel 2.0 die richtigen Lehren. An Stelle von Dreck wie "Girl Got A Gun" nehmen sie sich über die ganze Spieldauer den Champagner-Pop aus "Love Who Loves You Back", diese hochgradig eingängige und elegante Nichtigkeit, als Vorbild. Das schmerzhafte Autotune-Massaker "Cotton Candy Sky" bleibt der einzige Totalausfall.

"Something New" stand als Single noch verloren da, ergibt als sich langsam aufbauender Opener, der an die Stimmung auf "Dream Machine" heranführt, nun durchaus mehr Sinn. Während sich Bill auf der Suche nach "Somfing nuuuh" befindet, entpuppt sich der Track als sonniger Honigbärchen-Bruder von Nine Inch Nails "Something I Can Never Have" ("Pretty Hate Machine"). Habe ich gerade Tokio Hotel und Nine Inch Nails in einem Satz untergebracht und den Vergleich nicht einmal böse gemeint? Es wird Zeit, dass du mich rausschmeißt, laut.de.

Die Rolle von "Love Who Loves You Back" übernimmt 2017 "What If". Ein tadellos schnittiger Pop-Ohrwurm, der auch einer weiteren, hier lieber anonym bleiben wollenden Person aus der Redaktion (Michael Schuh) das Urteil "neuer Tokio Hotel-Song ist gut, hüstel" entlockte. In eine ähnliche Kerbe schlägt auf der Refrain des geschmeidigen "Easy". Im diesem abwechslungsreichen, zeitweise an Erasure erinnernden Stück, singt Bill von der vergangenen Liebe und der schönen Erinnerung an die gemeinsame Kifferzeit.

Die "Stranger Things"-Ästhetik des Covers zieht sich durch sämtliche Tracks. In "As Young As We Are" tritt eine aktuelle Produktion gegen Synthesiser aus den tiefsten Achtzigern an. Beide müssen sich letztendlich einem analogen Klavier geschlagen geben. Der Schmatzfetzen "Elysa" weist in seinen Strophen Ähnlichkeiten zu Mother Love Bones "Chloe Dancer/Crown Of Thorns" ("Apple") auf, um im nächsten Moment in funkelnder "Tron"-Manier in den Nachthimmel abzuheben. Im pathetischen "Better"-Refrain holt Bill alles aus seinem dünnen Stimmchen heraus.

Zwölf Jahre nach "Schrei" könnten es sich Bill, Tom, Chip und Chap weitaus leichter machen. 2013 neben Dieter Bohlen in der "Deutschland sucht den Superstar"-Jury sitzend mussten die Kaulitze miterleben, wie der Schrott-Titan einen nach dem nächsten Kandidaten umpolte. "Wenn du auf deutsch singst, steigst du nur mit ganz Deutschland in den Ring. Auf englisch misst du dich mit der ganzen Welt", gibt dieser seit Jahren gebetsmühlenartig von sich. Die beiden Brüder nahmen die Herausforderung prompt an.

Anstatt also den Mark Forster-Pfad zu beschreiten, wie die ganze Deutsch-Pop-Kultur in ihrer couchkartoffeligen Dienstleistungs-Mentalität und Sportfreunde Stiller-Gemütlichkeit zu versumpfen und nebenbei die Nostalgie ihrer Altfans abzugreifen, gehen Tokio Hotel seither den entgegengesetzten Weg. Der schwindende Erfolg scheint auf sie eher befreiend zu wirken. Zusammen mit dem Rampenlicht lassen sie die Erwartungshaltungen hinter sich und gewinnen im Gegenzug die Möglichkeit, sich neu zu definieren.

Für den achtbaren Dance-Pop auf "Dream Machine" bleibt ihnen folgerichtig gerade einmal ein deutsches Wort übrig. "Tanzen"! ("Boy Don't Cry")

Trackliste

  1. 1. Something New
  2. 2. Boy Don't Cry
  3. 3. Easy
  4. 4. What If
  5. 5. Elysa
  6. 6. Dream Machine
  7. 7. Cotton Candy Sky
  8. 8. Better
  9. 9. As Young As We Are
  10. 10. Stop, Babe

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24 Kommentare mit 26 Antworten

  • Vor 7 Jahren

    Wer einen weiteren Einblick in die tiefgründige Gedankenwelt des Materminds Bill Kaulitz bekommen will, sollte dieses Video anschauen, wo er mit viriler Stimme und gekonntem Ami-Akzent zu Klaviergeklimper und epochialen Streichern darüber sinniert, was ihn antreibt und inspiriert und wie sich die Band entwickelt hat, während coole Bilder direkt aus dem Zentrum der deepen Galaxie gezeigt werden. Toll

    https://www.youtube.com/watch?v=VwE9k_SifsU

  • Vor 7 Jahren

    also ich muss sagen, hab dem album echt ne chance gegeben. aber ich kann auch ohne witz nicht verstehen wie herr kabelwitz dafür 3 punkte vergeben konnte?

    das album is einfach ein trauriger versuch noch ein letztes mal bisschen kohle zu machen um den luxuslifestyle der zwilinge um ein paar jährchen zu verlängern. viel wird denen ja nicht mehr übrig bleiben wenns nach dem nächsten album gar nicht mehr läuft.

    das ist halt so der typische verlauf der meisten bands, das hype album, dann das album dass darauf folgt und sich wegen dem vorherigen album noch gut verkauft, dann der flop, dann will man schnell irgendwas verändern was meistens nicht klappt, das album verkauft dann noch weniger und dann wars das.. is bei vielen künstlern so zu sehen zb auch 50 cent

    get rich or die tryin (hype)
    massacre (folgealbum)
    curties (flop)

    dann irgendweilches changemanagement, back to the roots lablewechsel

    gruß
    Jerrywise