laut.de-Kritik
Der Phantomschmerz wird gelindert.
Review von Ulf KubankeEs ist schon erstaunlich. Obwohl Tom Waits wie kaum ein anderer geradezu bestimmt ist, seine Songs auf der Bühne zu präsentieren, gibt es nur wenige reguläre Live-Alben des großen Grantlers. Mit dem längst überfälligen "Glitter And Doom" wird dieser Phantomschmerz für die Freunde seiner Kunst endlich gelindert.
Das Material der Doppel-CD besteht überwiegend aus oft sehr bluesigen Tracks der letzten zehn Jahre. Jedes einzelne Lied hechelt, schreit, keift und stampft sich unausweichlich bis in die letzten verwinkelten Hirnwindungen der Zuhörerschaft. Mit dem melodisch intensiven "Lucinda/Ain't Goin Down" fährt der Kalifornier schon in den ersten Minuten den Pegel von Null auf 100. Das infernalische Organ des Meisters hat auch mit 60 Jahren nichts von seiner Balken berstenden Kraft verloren; im Gegenteil. Jede Zeile klingt wie eine akustische Detonation. Gegen sterile Salonblues-Saubermänner wie Eric Clapton wirkt der bellende Exzentriker nicht nur optisch wie ein echter Hellboy der schweißtreibenden schwarzen Urmusik.
Der König des gehobenen Seemansgarns befreit seine mittlerweile 25 Jahre alte Piraten-Ode "Singapore" endlich vom grauen Kittel der Weill/Brecht-Phase. Der Track groovt und tanzt so leichtfüßig auf der akustischen Rasierklinge wie der feixende Klabautermann höchstpersönlich. "Away boys, away boys, heave away." Mule lautet Toms Familienspitzname, den seine Frau Kathleen ihm der berüchtigten Sturheit wegen gab. "Get Behind The Mule" schleppt sich auch wie ein alter, zäher viel zu dürrer aber unbeugsamer Maulesel durch die sechs staubigen Wüstenminuten. Man kann jeden einzelnen seiner Knochen klappern hören.
We're all gonna be "Dirt In The Ground" - ein chorloser Gospel direkt aus der Hölle - schüttelt gesanglich die Zurückgenommenheit der Studioversion gekonnt ab.
"Such A Scream" und "Make It Rain" hämmern ekstatisch die Noten wie Nägel in den Gehörgang. Wie ein Messerwerfer schleudert Waits trotz all stimmlicher Tollwut nuanciert und präzise seine Worte wie Dolche ins willige Herz des Publikums. Die spöttische Abrechnung mit Großmäulern und selbst ernannten Baggerkönigen "Goin' Out West" mutiert zum unwiderstehlich runden Talkin' Blues. Große Komik, wie Tom seine Refrainzeile " I look good without a shirt" ironisch wiederholend kommentiert und bewußt der Lächelichkeit preisgibt.
Auch die ruhige Seite eines der bedeutendsten Balladenschreibers weltweit kommt nicht zu kurz. Der zarte, tieftraurige Walzer "The Part You Throw Away" läßt uns kaum merklich eine Träne im Knopfloch verdrücken. Es war und ist stets Kennzeichen seiner Tearjerker gewesen, tragisch zu sein, aber nie trost- oder gar hoffnungslos. Der ersehnte "Barman who always
Understands" ist Tom für seine Hörer in Wahheit seit Jahrzehnten immer selbst gewesen. Auf der zweiten CD zeigt sich der brummige Conferencier von seiner gewohnt redseligen Seite. "Tom Tales" ist ein Sammelsurium mit herrlich abstrusen und hochkomischen Stories; gern auch im Dialog mit dem Publikum.
Mit rastlosen Straßenköter-Gröhler "Lucky Day" entlässt uns Waits dann viel zu schnell wieder in den schnöden Alltag. So don't cry for me. For I'm going away. And I'll be back some lucky day sind die zuletzt geschmetterten Sätze. Natürlich weinen wir. Aber auch hier mit der tröstlichen Gewissheit: es wird ein Wiedersehen geben.
26 Kommentare
Ich habe bis jetzt nur die 8 Songs gehört, welche er auf seiner Internetseite zum Download anbietet.
Singapore ist auf jeden Fall schon mal ganz wunderbar. Den grauen Kittel bezüglich Brecht/Weill habe ich aber überhört!
Fannin street geht mir wie gewohnt richtig nahe.
Freue mich drauf endlich das ganze Album zu hören.
Olle Tom ist und bleibt einzigartig.
Wird mich in nächster Zeit wohl intensiv begleiten. Mehr wenn ich es ganz besitze.
Cheers
Habs heute zum ersten Mal durchgehört.
Genial und richtiggehend faszinierend, was Herr Waits da vollführt. Wunderschön.
Zu Weihnachten wünsche ich mir eine Kubanke-Rezension ohne Pathos.
Übrigens, warum muss eigentlich immer das Wort "Meister" fallen, wenn es um Leute wie Tom Waits geht? Ich frage mich dann, wer denn eigentlich der Lehrling sein soll.
na siehssu.....alles wird gut.
Ich bin auch restlos begeistert. Waits schafft es dreckiger, ungeschliffener und näher (am Fan) zu klingen, als auf Platte. Er verschmelzt dreckigen Blues, großartige Balladen und experimentelle Einlagen zu einen großen Ganzen und schafft es dennoch immer wieder spannend und interessant zu klingen. Manche Songs wie "Lucinda", "Singapore", "I´ll Shoot The Moon" und "Make It Rain" klingen energiegeladener und besser als auf Platte, können sogar überraschen.
Zu dem Album kann ich leider nichts sagen, aber was wäre laut.de ohne Deine wunderbaren Rezensionen! Denen, die sich über die vermeintliche Pathetik Herrn Kubankes aufregen, sei gesagt, dass es wohl nur allzu verständlich ist, dass ein Fan keine Rezension ohne eine gewisse Pathetik schreiben kann - es sei ihm gegönnt!