laut.de-Kritik

Zwischen Alpha-Feminismus und esoterischen Phrasen.

Review von

Was an Tommy Genesis' Musik schon seit ihrem ersten viralen Clip zu "Execute" auffiel, ist unglaubliches Potential. Die musikalischen Ideen, die Produktion, das Charisma versprachen eine artistisch versatile und fruchtvolle Karriere im kunterbunten Fahrwasser einer M.I.A.. Das Einzige, was sie zurückhielt, waren eine dünne Stimme und die teils fragwürdig abstrakten Nonsens-Lyrics.

Mit ihrem Debütalbum machte sie dann einen großen Schritt, um diese Mankos auszumerzen. "Goldilocks X" geht nun allerdings gleich wieder zwei Schritte zurück: Wo "Tommy Genesis" unapologetisch dominanter 'Fetish Rap' noch mehr Peitsche als Zuckerbrot bereit hielt, fehlt dem neuesten Unterfangen fast jeglicher Hauch von Kante. Nicht etwa, weil Tommy sich allzu weit außerhalb ihrer Komfortzone bewegen würde. Das Songwriting wirkt auf "Goldilocks X" einfach nur schludriger als zuvor, was in verwirrenden und teils fast schon amateurhaften Momenten mündet, die sich wie eine Parodie ihrer bisherigen Karriere-Highlights anfühlen.

"Men" ist ein besonders schmerzliches Beispiel dafür. Im Kern des Songs steckt eine emanzipierende Wut, die Genesis im mantraartigen Chorus zu entladen versucht "Fuck men" wiederholt sie da ad absurdum. Wirklich greifbare Gründe für diesen lyrischen Holzhammer sucht man allerdings vergebens. Stattdessen überfällt einen der Pre-Chorus mit kreischendem Kokolores, der die stimmlichen Mängel der Rapperin in peinlichster Offensichtlichkeit darlegt. "You're not famous, you're a fetus": Nun ja.

Ähnliches ruiniert auch einen Song wie "A Woman Is A God". Da poltert zwei Minuten lang eine starke Synthline nach vorne, Tommys gelangweilte Delivery funktioniert ausnahmsweise ausgezeichnet, und dann kollidiert kurz vor Schluss die sinnbefreite Bridge so dermaßen mit dem ernsten und bestimmenden Ton des Songs, dass dieser unter lachhaft blödsinnigen Lyrics wie "This track is a smash, Ooh-ooh, ooh / I'm takin' off my skin Ooh-ooh, ooh" widerstandslos zusammenbricht.

"Goldilocks X" tut alles dafür, so exzentrisch wie möglich zu klingen, nur funktioniert davon auf musikalischer Ebene sehr wenig. Der ständige Wechsel zwischen dominanten Alpha-Feminismus und esoterischem Phrasen-Quark wirkt ebenso inkompatibel und widersprüchlich wie der Versuch, sich neue instrumentale Horizonte zu erschließen.

Auf "Fuck U U Know U Can't Make Me Cry" etwa traut sich Tommy an gemartertem Autotune-Emo, was erwartbar schief geht. Selbst "Manifesto" oder "Wild Child", denen eigentlich schon aufgrund Charlie Heats-Produktion ein gewisses Leben innewohnen müsste, mäandern nur minutenlang im Autopilot vor sich hin. Die Instrumentals fordern ein Level an Energie, das Tommys Stimmbänder einfach nicht hergeben. Der Versucht ist lobenswert, klingt aber oft unbeholfen und amateurhaft.

Die LP wirkt dann am stärksten, wenn Tommy es so schnörkellos wie menschenmöglich spielt. "Mmm" und "Wet" sind ordentlich produzierte, reduzierte Trap-Banger, die lyrisch und stimmlich nur so weit über die Stränge schlagen, wie es ihrem selbstbekräftigenden Dirty-Talk gut tut. Mit "Baby" findet sich nach hinten raus sogar noch eine für sie ungewohnt melancholische Pop-Ballade, die ebenso sehr von Tommys sentimentaler Delivery als auch von der sehnsüchtigen Saxophon-Melodie profitiert, die durchs Instrumental kriecht.

Unterm Strich ist "Goldilocks X" jedoch selbst in seinen besten Momenten all das, was Tommy Genesis bisher nicht war: Durchschnittlich, austauschbar und weitestgehend unaufregend. Was auch immer hier passiert ist, man kann nur hoffen, dass es sich nicht wiederholt. Andernfalls müsste man so langsam der Tatsache ins Auge blicken, dass alles Potential der Welt nichts nützt, wenn man es nicht aufs Papier bringt.

Trackliste

  1. 1. Peppermint
  2. 2. Kamikaze
  3. 3. A Woman Is A God
  4. 4. Manifesto
  5. 5. Wet
  6. 6. Mmm
  7. 7. Wild Child
  8. 8. Men
  9. 9. Average
  10. 10. Baby
  11. 11. Fuck U U Know U Can't Make Me Cry
  12. 12. Hurricane

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