22. September 2015

"Ich will sein wie Metallica"

Interview geführt von

Trivium gelten schon lange als das nächste ganz große Ding im Metaluniversum. Manch einer sieht in ihnen die neuen Metallica, die neuen Iron Maiden.

Mit ihrem siebten Album "Silence In The Snow" rechtfertigt das Florida-Quartett solche Thesen. Und auch verbal sieht Frontmann Matt Heafy keinen Grund, in dieser Hinsicht bescheiden zu sein. Seine Devise für die Band war schon immer, sich die höchsten Ziele zu setzen, wie er im Gespräch verrät. Erfolg und Musik geben ihm Recht.

Hi Matt, alles klar?

Ja, alles bestens. Wie geht's?

Hier ist alles cool. Ihr seid jetzt seit gut zwei Wochen in Europa oder?

Genau, wir kamen zwei, drei Tage vor Bloodstock an. Für unsere Proben waren wir in einer kleinen deutschen Stadt ... ich habe leider vergessen, wie sie heißt ... in der Nähe von Ratingen. Wir hatten also ein paar Tage Pre-Production vor Bloodstock, dann kamen einige Festivals und momentan befinden wir uns auf Pressetour.

Danach ist ja erst einmal ein bisschen Pause bis September oder?

Ja, etwa zwei Wochen, bevor wir sechs Wochen lang mit Tremonti durch die USA touren.

In diesem Zeitraum erscheint ja dann auch das neue Trivium-Album "Silence In The Snow". Beim Hören fällt sofort auf, dass sich seit "Vengeance Falls" erneut verdammt viel bei den Vocals getan hat. Hast du an irgendetwas im Speziellen gearbeitet?

Danke erst einmal für die netten Worte! Bei mir war es schon immer so: seit ich mit zwölf Jahren zur Band gekommen bin, wollte ich ein toller Sänger sein. Ich nenne mich keinen tollen Sänger – noch nicht – aber ich wollte schon immer einer sein. Und als ich angefangen habe, konnte ich nicht singen. Ich konnte nur schreien. Nach und nach kam dann immer mehr Gesang hinzu. Über die Jahre hinweg habe ich von verschiedenen Leuten gelernt. Viel von David Draiman, von Melissa Cross, manches auf Tour.

Vor etwa anderthalb Jahren spielten wir eine Show in Amerika namens Rock On The Range, bei der ich meine Stimme ruinierte. Grauenvoll. Wir mussten den Rest der Tour absagen, ich bin nach Hause geflogen, habe einen Arzt aufgesucht. Die erste Person, die mich anschrieb, war Matt von Avenged Sevenfold, der sagte: "Hey, tut mir leid, was passiert ist. Kann ich dir irgendwie helfen?" Daraufhin habe ich ihn gefragt, was er denn getan hat, als seine Stimme kaputt war. Er hat mich dann mit seinem Gesangslehrer zusammengebracht, Ron Anderson. Mit ihm arbeite ich nun seit anderthalb Jahren. Dank ihm konnte ich meine Stimme wirklich entwickeln. Doch es gibt immer noch so viel mehr zu tun. Ich arbeite sieben Tage die Woche daran, wenn wir nicht auf Tour sind. Es hilft unglaublich. Auf dieser Tour screame ich auch endlich wieder. Screaming klingt wieder gut, der Gesang klingt wieder gut, alles läuft super.

Auf dem neuen Album screamst du ja nicht mehr. War das eigentlich eine bewusste Entscheidung, die ihr schon vor dem Songwriting getroffen habt?

Es war so: Wir sagten von vornherein: "Wenn das Album nach Screams verlangt, packen wir auch welche rein." Das wäre kein Problem gewesen. Ich dachte mir: "Okay, wenn das Album zu 100 Prozent Screaming ist, ist es eben zu 100 Prozent Screaming. Wenn es zu 100 Prozent screamfrei ist, ist es eben zu 100 Prozent screamfrei." Als wir die Vocals dann hatten, klang es gut so wie es war. Wir wussten, dass es einfach keine Screams mehr brauchte. Für die Fans, die den Scream-Stoff favorisieren und unsere alten Alben lieber mögen existieren diese ja weiterhin – mit Screaming. Und wir spielen diese Songs auch weiterhin live.

Also war es nicht so, dass du dich nicht mehr wohlgefühlt hättest, zu screamen, sondern eine Entscheidung der gesamten Band.

Nein, es war keine Frage des Komforts, sondern was das Album forderte. Ob das Album es brauchte oder nicht. Und unserer Meinung war es absolut nicht vonnöten.

"Wir wollten immer einen Unterschied machen"

Nach dem Release der ersten Single "Silence In The Snow" habe ich eine euphorische Besprechung im Internet gefunden, die euch angesichts des Songs endgültig als Anwärter auf das Erbe Metallicas, Iron Maidens und Judas Priests sehen. Kannst du dir das überhaupt vorstellen – die nächsten Metallica, die nächsten Maiden zu sein?

Als ich zwölf, dreizehn Jahre alt war, habe ich zu mir selbst gesagt: "Ich will sein wie Iron Maiden, ich will sein wie Judas Priest und Metallica." Ich finde es fantastisch, wenn Bands sich so hohe Ziele setzen. Ich wünschte, alle würden das tun. Wir wollten schon immer die Band sein, die einen Unterschied macht, die die Möglichkeiten dessen überschreitet, was großartige Musik und großartige Liveshows sein können. Ich hoffe, wir sind auf dem richtigen Weg. Es fühlt sich definitiv so an. Und ich hoffe, das bestätigt sich.

Für dieses Album habt ihr zum ersten Mal mit dem Produktionsteam Michael Baskette und Josh Wilbur gearbeitet. Ist das eine bewusste Entscheidung, dass ihr in letzter Zeit zu jedem Album die Recording-Crew wechselt, um alles frisch zu halten, oder ergibt sich das einfach immer?

Wir machen nicht gern dieselbe Sache zweimal. Ich glaube der einzige, mit dem wir mehrmals hintereinander gearbeitet haben, war Jason Suecof bei "Ember To Inferno", "Ascendancy" und "The Crusade". Jedes Album war komplett verschieden. Wir sind absolut für Veränderung. Wir veröffentlichen nie dasselbe Album zweimal und wir wollen auch generell nie dieselbe Sache zweimal machen. Als es Zeit war, dieses nächste Album zu machen, gingen wir gleich zu einem anderen Produzenten. Es war Zeit, etwas Neues auszuprobieren.

Nicht nur die Produzenten waren neu bei den Aufnahmen dabei, sondern auch Mat Madiro, euer Drummer.

Ja, das war das erste Album, das Mat aufgenommen hat. Wir sind die erste Band, in der er je war. Er ist unser dritter Drummer mittlerweile. Die Leute werden wahrscheinlich überrascht sein, dass wir schon wieder einen neuen haben, aber manchmal musst du eben einfach tun, was du tun musst. Wenn eine Band einen solchen Wechsel vollzieht, ein Bandmitglied austauscht, müssen die Fans das als eine lebenswichtige Entscheidung akzeptieren. Jedesmal, wenn wir so einen Wechsel durchmachten, war es nicht "wegen diesem Drummer". Sondern, weil wir vier gemeinsam keine großartige Musik mehr zusammen machen konnten, keine großartigen Liveshows mehr spielen konnten. Diesmal war es wieder Zeit für einen solchen Wechsel.

War er auch in das Songwriting involviert?

Nein, er war nur an den Aufnahmen beteiligt.

Die Tracks stammen also alle von dir, Paolo und Corey.

Ja, genau. Übrigens nahm das Album eigentlich schon 2007 seinen Anfang. Den Titeltrack "Silence In The Snow" schrieben wir bereits damals. Der Rest der Songs entstand dann 2014 und 2015.

Und hatte "Silence In The Snow" schon damals die gleiche Ausrichtung? Oder habt ihr ihn in der Zwischenzeit noch einmal eingehend überarbeitet?

Nein, er klang 2007 beinahe exakt genauso wie heute. Wir haben den Song nach einer Tour mit Heaven & Hell in Japan geschrieben. Wir konnten Dio live erleben und Heaven And Hell! Diese Nacht hat mich unglaublich inspiriert, die Musik zu schreiben, die jetzt "Silence In The Snow" heißt. Ursprünglich sollte der Song auf "Shogun" landen. Wir haben ihn dann aber doch nicht auf das Album gepackt. Ich glaube, wir waren einfach noch nicht bereit dafür. Aber wir haben daran festgehalten und stellten fest: 2015 waren wir bereit. Jetzt haben wir den Song veröffentlicht – nach acht Jahren.

Vor dem Titeltrack gibt es auf der Platte außerdem ein Intro mit dem Namen "Snøfall". Stimmt es, dass Ihsahn dieses geschrieben hat?

Ja, das stimmt. Ihsahn ist ein sehr guter Freund von mir, ein Mentor, ein Kollege. Ich habe ihm das gesamte Album geschickt und gefragt, ob er ein Intro dafür orchestrieren könnte. Er hat es sich angehört und kam dann mit diesem fantastischen Stück an. Das ist auch unser Live-Einstieg. Wir haben jetzt schon ein paar Mal unser Set damit gestartet. Es ist wirklich unglaublich geworden.

Also hat er es nach dem Hören des Albums allein geschrieben und euch dann das komplett fertige Stück zurückgeschickt?

Ganz genau, ja. Ich habe ihm "Silence In The Snow" geschickt und gemeint: "Hier ist das Motiv. Vielleicht kannst du es ja in der Musik verwenden. Schau, wie du es interpretieren möchtest." Und es mündete in etwas, das ein Motiv in sich trägt. Allerdings unerwartet anders. Ich glaube, außer ihm hätte es niemand so komponieren können. Er hat es schon sehr zu "seinem" gemacht. Aber das Ergebnis passt ebenso hervorragend zu unserer Band.

Du bist ja selbst seit Jahren Emperor-Fan.

Oh ja, ich bin großer Fan seiner Band. Seit ich vierzehn oder fünfzehn Jahre alt war.

Wie fühlt es sich als Fan an, jetzt seine Musik auf dem eigenen Album zu haben?

Unglaublich! Und Ihsahn wird auch mein Nebenprojekt produzieren – Mrityu. Die Wurzeln dessen liegen im Black Metal. Aber es wird ein bisschen anders werden. Ich weiß noch nicht genau, wann zum Teufel wir es machen, aber eines Tages wird es soweit sein. Ihsahn ist übrigens auch Co-Writer dieses Albums.

Darauf wollte ich ohnehin hinaus. Das Projekt hast du ja schon eine ganze Weile in der Pipeline. Konkrete Pläne für Aufnahmen gibt es also noch nicht?

Nein, noch ist nichts wirklich Genaues geplant. Wir haben Demos, wissen aber noch nicht, wann wir es richtig umsetzen können, weil wir beide so beschäftigt sind momentan. Es wird definitiv passieren. Ich weiß nur noch nicht, wann.

Was Ihsahn derzeit mit seinem Soloprojekt macht, unterscheidet sich ja doch komplett von Emperor

Er ist ein immenser Einfluss bei allem, was ich tue. Er hat niemals dasselbe Album zweimal veröffentlicht. Er fürchtet sich niemals davor, genau das zu tun, was er will. "Eremita" und "Das Seelenbrechen" sind meiner Meinung nach absolut genredefinierend. Sie haben mit Black Metal gemacht, was Black Metal mit allem anderen gemacht hat. Black Metal war eine Rebellion innerhalb des Metal. Und ich finde, er hat genau dieses Ethos wieder auf Black Metal angewendet.

"Wer gutes Essen nicht zu schätzen weiß, verpasst etwas!"

Im Black Metal spielt oft die Natur eine große Rolle. Bei den letzten Trivium-Outputs – besonders "In Waves" – hatte ich das Gefühl, als würde die Natur auch auf euch einen großen Einfluss haben. Bei "Silence In The Snow" scheint es ja nicht anders zu sein. Kommt das vielleicht teilweise auch durch deinen Black Metal-Hintergrund?

Mit Sicherheit. Bei "In Waves" hast du trostlose Naturlandschaften gesehen und die Wälder, die bei allem sehr vorherrschend waren. Bei "Silence In The Snow" hatte ich den Eindruck verschneiter japanischer Landschaften im Kopf. Wenn die Dokumentation zum Album erscheint, wirst du sehen können, dass die Waldschauplätze in gewisser Weise wieder auftauchen. Du wirst verschiedene Elemente sehen, in den unterschiedlichen Welten der Videos. Diese Woche wird übrigens ein neuer Clip erscheinen ("Blind Leading The Blind", A.d.R.). Um zur Frage zurückzukommen: ja, ich lasse mich immer gern von meinem Umfeld inspirieren. Ich bin eine Person, die sehr durch Visuelles angeregt wird. Ich muss Bilder sehen, um Musik zu inspirieren. Ich bin sehr von Filmregisseuren beeinflusst. Manchmal inspiriert mich das Schauen von Filmen zum Beispiel viel mehr als Musikhören. Es hilft mir, etwas zu sehen, wofür ich den Sound kreieren kann. Und umgekehrt: Wenn ich Musik mache, kann ich mir mitunter bildlich vorstellen, was darüber sein sollte.

Einerseits willst du also Bilder in Musik bannen, andererseits aber auch selbst Bilder erzeugen mittels deiner Musik.

Beides, genau. Ich genieße es total, Musik zu etwas zu schreiben, das in meinem Kopf eine Gestalt hat oder das ich tatsächlich sehen kann. Ebenso lasse ich das Gegenteil zu. Wir hatten die Musik zu "Silence In The Snow" geschrieben und gaben das weiter an Jonpaul Douglass, den Mann, der diesmal für das gesamte Albumartwork verantwortlich zeichnet. Wir tauschten ständig Inspiration aus. Ich habe ihm Musik geschickt, er schickte mir Visuals. Er schickte mir Visuals, ich schickte ihm Musik. Beide Kunstformen sollten sich gegenseitig inspirieren.

Ist denn in visueller Hinsicht wieder ein größeres Konzept zum Album geplant? Zum Beispiel wie die Videoserie zu "In Waves"?

Ja. Die Videos hängen zwar nicht zusammen wie sie es bei "In Waves" taten. Aber ich verspreche: Alles, was zu diesem Album herauskommt, wird fantastisch. Das Künftige wird auch kein bisschen wie das Video zu "Silence In The Snow" sein. Du wirst schon sehen.

Eng mit dieser Präsentation nach außen hängt auch die Social Media-Aktivität zusammen. Darauf würde ich gerne noch zu sprechen kommen. Viele Bands posten heutzutage so ziemlich alles, während sie ein Album aufnehmen. Du bist als Fan quasi den gesamten Recording-Prozess lang anwesend. Ihr dagegen habt komplett geschwiegen. Auch bei "Vengeance Falls" schon. Und es funktioniert. Kannst du kurz erklären, warum genau ihr euch für diese Strategie entschieden habt?

Wir haben mit Trivium schon immer versucht, das Gegenteil von dem zu machen, was alle anderen tun. Uns fiel auf, dass irgendwie jede Band auf der ganzen Welt zur selben Zeit aufzunehmen schien und alle posteten das gleiche Foto. Ein Mischpult. Ein Drumset. Jemand am Computer. Jemand biertrinkend am Computer. Es wurde einfach so fade: zu sehen, wie jede einzelne Band exakt dasselbe tat.

Also haben wir uns gefragt: "Was kann anders werden? Wie können wir uns von den anderen unterscheiden? Okay, lasst uns einfach niemandem erzählen, dass wir ein Album aufnehmen; wir posten einfach nichts darüber, bis das Ding im Kasten ist." Sonst wäre das, als würde man das Making-Of schon sehen, bevor das Produkt überhaupt erschienen ist. Als wolltest du den neuen "Star Wars"-Film gucken, würdest aber schon vorher das gesamte Making-Of kennen. Das macht keinen Sinn. Du solltest zuerst das Endprodukt sehen. Danach kannst du dir anschauen, wie es entstanden ist.

Wir wollten sichergehen, dass das erste, was an die Öffentlichkeit kommt, wirklich vollendet ist. Wir stellten sicher, dass den ersten Einblick ein Song und ein Video geben. Jetzt haben wir gerade die Audiospur zum zweiten Song hinterher geschoben. Und wie gesagt: Diese Woche kommt aus dem Nichts noch ein Video. Wir wollen die Dinge einfach anders machen. Bei jedem Album. Jedes Artwork-Set war anders. Jede Präsentation war anders.

Wahrscheinlich ist es dafür noch ein wenig früh, aber habt ihr denn schon Ideen für das nächste Album? Was dort anders werden soll?

Wir planen immer im Voraus. Wir haben immer schon Ideen, wohin es als nächstes gehen soll.

Kannst du schon etwas verraten?

(lacht) Nein, sorry. Wie gesagt: Wir überraschen die Leute gern.

Du bist ja auch großer Essensfan. Vielleicht zum Schluss noch ein paar Worte dazu. Wie fiel denn deine Zeit in Europa gerade kulinarisch aus?

Letzte Woche war super! Wir hatten tolles Essen in Basel in der Schweiz, in Mailand, in Paris ... und mir fällt der Name der ersten Stadt, in der wir waren, immer noch nicht ein. In Luxemburg haben wir auch sehr gut gegessen. In Wien. Eigentlich durchgehend sehr gut. Gestern Abend haben wir in Berlin sehr gut gegessen und getrunken – in einer tollen Cocktailbar namens "Lebensstern". Wenn du in einer Band bist und gutes Essen und guten Alkohol nicht zu schätzen weißt, verpasst du wirklich etwas im Leben. Das ist die beste Nebensache dieses Jobs. Du kommst überall in der Welt rum und hast die Möglichkeit, das Beste zu sehen, zu essen und zu trinken, was das jeweilige Land zu bieten hat.

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