25. März 2019

"Das ist nichts für ängstliche Leute"

Interview geführt von

Zehn Jahre ist es her, dass Tua "Grau" veröffentlichte und Hip Hop-Deutschland mit neuen Sounds infizierte. EPs und eine Vielzahl anderer Projekte verkürzten die Wartezeit auf ein zweites Album, der "Tua" nun endlich ein Ende setzt.

Auf "Tua" verarbeitet der Ausnahmekünstler persönliche Erfahrungen wie das Aufwachsen in der Vorstadt oder den Tod des Vaters und verwebt den Inhalt kunstvoll mit seiner Musik. Wenn es denn einen roten Faden gibt, so spinnt er sich wohl entlang des Wortes Verdichtung, das uns immer wieder als Ausgang für sehr grundsätzliche Fragen nach der Bedeutung von Ästhetik, universelle Codes der Kunst und gesellschaftliche Unzufriedenheit diente.

Du warst jetzt im Urlaub mit den Orsons. Hast du das gebraucht?

Ja ne, es waren ja eher Workations.

Stimmt, Stichwort O.I.-Playlist.

Genau, das findet man dann noch heraus, was das sein soll. Es war mal angedacht als ein Urlaub und dann hat es sich irgendwie woanders hin entwickelt und wohin genau, das sieht man dann.

Was sind deine Pläne für die nächsten Wochen?

Jetzt gerade ist ziemlich viel los, denn das Album kommt ja bald raus. Prelistening-Zeugs, Vorbereitung auf die Club-Tour und außerdem arbeite ich ja noch in anderen Projekten, wo auch immer was anfällt, was ganz schnell fertig werden muss.

Was wäre so ein Projekt?

Ich sag nix ohne meinen Anwalt!

Ne?

Nee… Am Ende des Jahres, irgendwann mal, wenn alles durch ist, gehe ich dann in mich und frage mich, was jetzt daran Spaß gemacht hat und was nicht. Bis dahin denke ich auch nicht richtig nach, sondern heiz einfach mal durch, lass es einfach passieren und freue mich über alles was kommt.

Du hast jetzt mit "Tua" einen One-Shot herausgebracht, etwas in der Art wirst du nicht ein zweites Mal machen können…

Will ich auch gar nicht!

War es eine Erleichterung, das Album schließlich frei zu geben?

Absolut! Ich war nicht fertig in dem Moment, in dem ich es abgegeben habe. Es war so ein, 'ja okay, jetzt muss es einfach raus'. Die letzte Nacht bin ich wahnsinnig geworden, ich hatte den absurden Plan noch einen letzten Song zu schreiben und war dann so 2 ½ Tage wach und konnte nicht pennen. Es war so ein Nadelöhr am Ende, ich hatte das Gefühl, dass das Album total verdichtet ist, alles hat hundert Gründe, warum es da ist. Es war eine Schnapsidee zu sagen, jetzt mach ich nochmal irgendeinen Song, als würde man nochmal die falsche Flüssigkeit dazugeben und das ganze Verhältnis stimmt nicht mehr.

Klingt anstrengend.

Ja voll! Ich kann auf jeden Fall nicht jedes Jahr so ein Album machen. Das ist ja so ein Bumerang-Effekt, wenn man so ein Ding durchgeackert hat, dann will man natürlich etwas Einfaches machen und sich ein bisschen locker machen. Das nächste Album wird dann wohl nicht ganz so schwer (kurze Pause) wiegend.

Irgendwas mit den Orsons also?

Das weiß man ja nicht, ich meine jetzt bei Tua.

Ein Happy-Album vielleicht?

Happy-Album?

Du hast einmal gesagt, jeder Künstler habe eine Range, auf der er sich bewegen kann, damit es noch authentisch rüberkommt. Würdest du das pauschalisieren wollen? Es gibt ja auch Künstler, die das genaue Gegenteil vorleben.

Ja genau, ich muss das schon relativieren, ich bin ja nicht die Deutungshoheit, am Ende ist es meine Range. Aber ich habe das Gefühl, für eine bestimmte Art von Künstler, der eine persönliche Involvierung daran hat und vieles selbst macht, sich also als Charakter hinein investiert, solche Künstlerinnen und Künstler können nicht beliebig weit nach rechts oder links raus. Da ist es eine Sache der Persönlichkeit, wie die Musik sein kann. Ändert sich die Persönlichkeit und der eigene Zustand, kann es sein, dass sich auch die Musik mit verändert.

Also du könntest dir schon vorstellen, etwas komplett anderes zu machen, je nachdem wie es dein gegenwärtiger Zustand zulässt? Also ein Vorfall, eine Veränderung in deiner Biographie, die auf deine Kunst abfärbt?

Ja voll, es gibt ja auch eine Entwicklung auf dem Album, wo ich das Gefühl habe, die letzten vier Songs versuchen Antworten zu geben. Das sind Themen, die mich beschäftigen als verheirateter Familienvater und als erwachsener Mensch. Sicher würde ich in der Zukunft eher daran anknüpfen als jetzt nochmal so etwas wie "FFWD" zu erzählen, da war ich jung, verkokst und dumm, aber geil (lacht). Deswegen ist "Tua" eben das die Stränge zusammenführende Album geworden, das von der Vergangenheit ins Jetzt führt und zeigt, wo ich mich gedanklich und emotional gerade aufhalte.

Das wäre wo?

Ja, inhaltlich spiegelt sich das vor allem in Songs wie "Dana" oder "Gloria". Am Ende von "Gloria" heißt es: 'ich will nicht darüber hinaus, sondern darüber hinweg'. Das ist eigentlich die zentrale Frage des Albums: Warum ist man nicht zufrieden mit dem, was man hat, beziehungsweise wieso will ich immer das, was ich nicht habe? Das das sind so Dinge, auf die ich keine Antworten habe, die aber als Fragen massiv über meinem Leben hängen. In Deutschland muss niemand Hunger leiden, vielen geht es gut, rein äußerlich ist alles besser als vor zwanzig Jahren, trotzdem sind wir nicht signifikant glücklicher, aber warum? Das beschäftigt mich. Bei "Dana" habe ich es in eine Liebesgeschichte eingeflochten, aber das ist eine voll einfache Runterbrechung, und ich habe nicht das Gefühl, dazu schon alles erzählt zu haben.

Warum ist gerade "Tua" der Nachfolger von "Grau" geworden? Dazwischen hast du einige EPs veröffentlicht, die auch den Namen Album verdienten. Kannst du das näher ausführen?

Ja klar, da geht es gar nicht um eine Spieldauer oder so, sondern um eine Formulierung in meinem Kopf als das alles zusammenführende Album. Es war kein Austoben, sondern ein Feilen. Der Kern davon, was Tua darstellt, sollte darin enthalten sein und was in diesem Kosmos alles möglich ist. Der Unterschied bei einer EP wie "Stevia" ist eben, dass ich ein einzelnes Element von dem was Tua ausmacht aufgegriffen und ausgearbeitet habe, das Fernweh, die Sehnsucht, das Mittelmeergefühl. Ich habe nicht so explizite Songs über so große persönliche Themen geschrieben. Bei "Grau" war das so und dann lange nicht. Sie waren schon persönlich, aber nicht so explizit verankert und eindeutig.

Ja stimmt, "Tua" ist, was das betrifft, diverser geworden. Klar, die Melancholie überwiegt, aber poppige Elemente haben eben auch ihren Platz gefunden. Es sind einige Uptempo-Tracks dabei, die ziemlich vorwärts gehen.

Für mich war es eine große Challenge, zu versuchen, auf dem Album nicht lauter riesen Kopfgeburten zu machen, also solche Werke, die sieben Minuten gehen, ganz viel abhandeln und wie ein Film funktionieren, sondern die Waage zu halten zwischen Tracks, die substantiell sind oder sein wollen und mir viel bedeuten, wo ich mir jedenfalls viele Gedanken zu gemacht habe, und kleinen Songs, die nicht weniger durchdacht sind, aber nicht so daher kommen. Aber wo du von Groove und treibenden Beats sprichst: Ich habe auch ab und zu die 90er zitiert. Es gab eine Phase, wo ich dachte, 'hey, ich mache alles voll mit 90er-Zitaten', wovon ich dann aber doch gelassen habe. Es ist Drum 'n' Bass drin, traurige Dance-Elemente, so wie Moby, Faithless "Insomnia" und viele 909-Drums. Am Ende hatte ich aber doch eben Lust, das nicht einfach zu zitieren, sondern in meine Musik zu übersetzen.

Wo taucht Moby auf?

Bei "Liebe lebt", da ist so ein gechopptes Sample, das aus dem gleichen Kosmos wie "Why Does My Heart Feel So Bad" stammt. Es ist die gleiche Machart im Grunde, ich sehe auch immer so ein kleines gezeichnetes Männchen, das traurig entlangläuft.

"Vorstadt" beginnt ja ebenfalls bei den 90ern: du springst von Boom Bap, zu Dipset und Chipmunk-Sound zur Gegenwart.

Ja! Die Idee war, den Track sich so entwickeln zu lassen wie die Musik und ich als Person in der Zeit waren. Anders als bei den kleineren Tracks steht am Anfang von Songs wie "Vorstadt", "Gloria" oder "Bruder II" eine Grundidee, ein Themenbereich oder eine Gefühlsverdichtung, von wo aus eine Entwicklung einsetzt und Musik und Inhalt aufeinander reagieren und sich anpassen. Nimm zum Beispiel "Bruder": er verlässt Deutschland, geht in die Türkei und kehrt nicht wieder heim. Es macht einfach Sinn, das auch über die Musik zu transportieren: sie transponiert zum Ende, wechselt also die Tonart, und statt Drum 'n' Bass wird der dritte Verse von orchestrierter Nahostmusik begleitet. Auch bei "Vorstadt" hatte ich fünf verschiedene Beat-Enden, am Ende war es dann meine persönliche Version von Zeitgeist, die daraus entstanden ist.

"Die Meinungen von Max Herre, Casper oder Peter Fox waren sehr aufschlussreich"

Mir ist aufgefallen, dass sich Tracks, die sich eindeutig lesen lassen mit solchen abwechseln, die eher abstrakt funktionieren. Das schmerzhaft konkrete "Vater" wird eingeholt von "Tiefblau", das eine Bewegung einfängt, nicht mehr.

Genau! Ich hatte einfach das Problem, dass ich nach "Vater" irgendwie weiter machen musste, schließlich konnte ich damit nicht das Album beenden, das wäre ja furchtbar gewesen und ich selbst habe ja auch weiter gemacht. Einen klassischen 'Kopf hoch, Bruder, es wird wieder!'-Song zu machen, das geht nicht Untuamäßiger. Aber es geht halt trotzdem wieder aufwärts, muss es ja auch, und da kam dieses Gefühl, dass man von tief unten wiederauftaucht.

Und hier sind es ja auch die unterschiedlich verwendeten Field Recordings, die Kohärenz zwischen den einzelnen Tracks stiften.

Ja, richtig! Ich habe versucht, am Field Recording-Thema dranzubleiben, außerdem habe ich Arpeggios – hier nach oben verlaufende Synthies - eingebaut, die über den Track hinaus weiterlaufen. Verschiedene Stilfiguren und Elemente, die auftauchen und verschwinden, verdichten und zusammenhalten sollen. Aber um noch einmal auf "Tiefblau" zurückzukommen: Die Notwendigkeit nach "Vater" weitermachen zu müssen, führte mich dazu, Form und Inhalt aneinander zu orientieren. Alles was ich so Pathetisches geschrieben habe, so 'Zeit für eine neue Zeit'-Zeugs, konnte ich nicht verwenden. Am besten blieb das, was einfach nur formell war, "wir steigen auf" (singt) und alles andere steigt mit auf. Form folgt Inhalt und andersherum, Verdichtung halt. Dadurch entsteht eine Musik, die man künstlerästhetisch nennen kann, glaube ich.

Das soll was bedeuten?

Wenn ich schaue, wer meine Musik hört und ich kann das mittlerweile auf social media ja ziemlich gut nachvollziehen, dann sind das unfassbar viele Leute, die selbst Künstler sind. Klar gibt es auch die, die meine Musik wegen ihres melancholischen Inhalts hören, aber eben auch solche, die das rein ästhetisch interessiert und denen etwas daran liegt, was warum wo seinen Platz haben könnte. Wenn man bereit ist zuzuhören, kann man vieles entdecken und Sinn herstellen, allerdings auch mit dem Risiko, die außen vor zu lassen, die nicht bereit sind zuzuhören. Daran knüpft das wirtschaftliche Problem an, dass es eigentlich nicht viel Fläche gibt für sowas. Ich freue mich über jeden, der trotzdem relaten kann, aber es ist eigentlich eine Zeit für super destillierte, was habe ich letztens gelesen, 'hochsexualisierte Roboter-Kinderlieder'. Also die ganzen Superpop-Hits, die von der Melodieführung einfache Kinderlieder sind.

Auf Albumlänge würde ich mit deiner Einschätzung mitgehen, andererseits finden sich auf "Tua" ja schon Songs, die sich fürs Radio eignen, meinst du nicht?

Genau, dieses Mal wollte ich genau wissen, ob das was ich da mache auch funktioniert, ich hatte vor, die Leute an der und der Stelle zu berühren. Früher haben mich andere Meinungen nicht so sehr interessiert, für "Tua" habe ich mich daher entschieden, mich einem intensiven Feedback-Loop auszusetzen. Und so habe ich mir ein A&R-Team aus Künstlern zusammengesucht, die ich interessant finde und teilweise auch ganz andere Musik machen als ich.

Wer war Teil dieses Teams?

Mit Max Herre habe ich mich viel unterhalten, mit Peter Fox habe ich mich getroffen, Jan Delay, mit Casper, Tarek, Yassin hat sich das angehört, Leute von meinem Label und gute Freunde. Alles Leute, deren Meinung ich nachvollziehen kann und deren Musikgeschmack ich kenne. Das war total aufschlussreich! Ich erinnere mich, wie Peter Fox neben mir saß und sich mein depressives Bumsgesicht-Album angehört hat. In dem Moment wurde mir klar, dass "Stadtaffe" ja eigentlich ein super einfaches, poppiges und positives Album ist und meinen Songs im Vergleich dazu die Beats fehlen. Das war so ein Moment, wo ich dachte: da muss noch etwas passieren!

Dennoch bist du es, der am Ende die Fäden zusammenführt. Kannst du dir vorstellen, mal mit einem anderen Produzenten was zu machen?

Ja klar, das kann ich mir schon vorstellen, das passiert ja bereits bei den Orsons. Aber ja, dieses allein arbeiten ist natürlich eine große Komponente bei mir. Vom ersten Gedankenfunken bis zu dem Moment, wo ich es zum Mastering abschicke, mache ich alles selbst. Und das ist natürlich irgendwie ehrenvoll und was auch immer, aber auch ganz schön dumm und ineffizient. Ich weiß nicht einmal, ob es die Sachen besser macht, weil oft ist es einfach sinnvoll zwischendrin jemanden zu haben, der dir sagt: 'Hey, du rennst da gerade einem Gespenst hinterher.'

"Es hat sich nicht ergeben, dann musste ich mich ergeben"

Übrigens: In deiner Albuminfo sind als Einflüsse Burial und James Blake gelistet.

Was?

Ja, James Blake hatte mich auch irritiert.

Ich wunder mich öfters, was da so drinsteht. Klar, wir suchen immer nach 'ähnlich wie'-Referenzen, aber ich habe das Gefühl, je älter ich werde, desto weniger 'ähnlich wie' ist es am Ende, weißt du. Wenn ich es selbst klassifizieren müsste, dann ist es der relativ eigenständige Versuch eines melancholischen Pop-Entwurfs, der sich kein Fick um Genres kümmert (lacht). Ich bin da sozusagen das Zentrum und weil ich so viel allein mache, habe ich einfach viele Möglichkeiten unterschiedliche Formen aufzugreifen, was mir auch Spaß macht. Ich glaube die Diversität des Ganzen, die macht es aus und funktioniert nur deswegen, weil an so vielen Stellen der Versuch unternommen wurde, es dann trotzdem dicht zu machen. Was ich hoffe, was nicht passiert ist, ist, dass man das Album anmacht und es sind zehn verschiedene Künstler, die man hört. Ich hoffe man ist immer wieder überrascht, wo das hingeht, aber es bleibt alles im Rahmen, das wäre mein Wunsch.

Es ist natürlich auch hilfreich, vorab zu wissen, dass sich das Album in drei Phasen einteilt.

Idealerweise muss man es gar nicht wissen. Allein über die Selbstbetitelung lassen sich viele Brücken schlagen. Du, ich habe so viel versucht, da sind so viele Dinger über die Klippe gesprungen, gerade die, die stärker zum Pop tendieren. Ich hätte viel lieber für den letzten Teil des Albums nochmal zwei Tracks geschrieben, die positiver und leichter sind. Ich habe es einfach nicht hinbekommen, obwohl ich mich als Privatmensch schon so fühle. Aber es hat sich nicht ergeben und dann musste ich mich irgendwann ergeben.

Wobei der letzte Track ja schon positiv ist.

Tröstlich, fröhlich nicht wirklich.

Aber positiv!

Du bist aber auch ein nachdenklicher Typ, würde ich jetzt mit einem Mallorca-Party-Atzen hier sitzen, der würde sagen, das ist wieder so ein schlecht gelaunter Scheiß und ich würde sagen: 'fair enough'. Weißt du, ich kann Häme darüber verstehen! Für Leute, die Angst um ihre Maskulinität haben, wenn sie das hören, für die ist das nichts. Aber für Leute die bereit sind, sich in etwas hineinfallen zu lassen und Musik lieben, für die ist das gedacht. Das ist Musik für Leute, die Musik lieben.

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