laut.de-Kritik
Synthie-Pop mit deutlichem Bekenntnis zu Soul und Funk.
Review von Martin MengeleLange nichts gehört von Twin Shadow. Vor zwei Jahren überlebte George Lewis Jr. mit zwölf Bandkollegen auf der "Eclipse"-Tournee einen schweren Bus-Unfall. Dabei hätte er fast eine Hand verloren. Zwar kann er sie heute wieder normal benützen, doch Lewis fiel nach dem Ereignis in ein tiefes Loch. Eine anschließende Depression und die Trennung von der Freundin taten ihr Übriges.
Der Ursprung des Albumtitels wäre damit schon hergeleitet (caer = spanisch für "fallen"). Auch ohne das so hallgesättigte wie dissonante Keyboard, das einem in "Bombs Away" entgegen wabert, wird deutlich, dass es um tiefgründigere Emotionen geht. Der fragile Sprechgesang möchte eine traurige Geschichte ins Kissen hauchen (oder heulen). Funktioniert aber nur so mittel, erst der Refrain versöhnt mit seinem ausgewogenerem Soul-Timbre.
Lewis stellt aber von Anfang an die richtigen Fragen, etwa "Wie hätte es Prince gemacht?" Und er beantwortet sie gleich mit "Genau so!": Der "Sexy Motherfucker" irrlichtert im Auftakt-Twang des simplen Gitarrenriffs der Vorab-Single "Saturdays" so auffällig umher, dass man beinahe Diebstahl proklamieren möchte. Die Stimme mag so affektiert wie das Vorbild klingen, die Hookline reicht aber nicht ganz bis nach Paisley Park. Dennoch: Ein Funkrock-Schmachtfetzen mit unaufdringlicher Hommage.
Doch trotz handfester Stimmbegabung erliegt Lewis mit "Sympathy" dem unerklärlichen Reiz, seinen Gesang durch einen Vocoder-Fleischwolf zu drehen - mit zweifelhaftem Resultat. Selbst wenn es nach wie vor in Mode ist, besonders in den diversen R'n'B- oder Soul-Subgenres, degradiert es vorliegendes Stück zu einem unterproduzierten Timberlake-Klon ohne jegliche Superbowl-Halftime-Qualität.
Simple Geister, simple Rhythmen könnte man dem mit Glockenspiel und Claps auf gefällig getuneten "Too Many Colors" vorwerfen. Frisch selbstverliebt fehlt eigentlich nur noch eine Cowbell zur perfekten Schnulze. Etwas zu gewollt vielleicht, aber mit einer Extraportion Marshmallow-Komfortzone.
Die lodernde John-Carpenter-Bassline, die Lewis für "Obvious People" direkt aus dem Assault-Thriller geklaut haben mag, verschlägt ihn auf düstere Pfade in schummrige Hinterhöfe und schmierige Absteigen. Nicht ganz abseits jeglichen Neons und Glamour findet Twin Shadow hier zur hedonistischen Grundhaltung zurück. Erneut schwelt das im Auftakt angeklungene dissonante Keyboard und hinterlässt einen Beigeschmack aus David Lynch und Chromatics: Cinemascope-Synthiepop ohne Untertitel.
So wildert Lewis auch im Jahr 2018 deutlich in 80er-Jahre-Ästhetik und Reminiszenzen an die New Romantics. Dieses Mal außerdem mit deutlicher Bekenntnis zu Soul und Funk. Mitreißende Leidenschaft und die beabsichtigte Emotionstiefe bleibt er streckenweise aber schuldig.
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