laut.de-Kritik
Buena Vista Joshua Tree.
Review von Michael SchuhMan muss es positiv sehen: Hätten U2 nicht Lust gehabt, 40 Songs aus ihrem reichhaltigen Back Catalogue zu covern, wären sie womöglich auf die Idee gekommen, stattdessen neue Songs zu schreiben. Da schlägt das Fanherz doch höher bei der Nachricht, dass auf "Songs Of Surrender" Evergreens der modernen Rockgeschichte einen neuen Anstrich bekommen. Und zwar vom Original persönlich.
Ganz so einfach ist es natürlich nicht. Für U2 steht einiges auf dem Spiel. Niemand glaubt ernsthaft, dass diese 40 Lieder in neuen Versionen besser klingen. Raumgreifend dagegen die Furcht, dass sich die Iren unbotmäßig an den eigenen Klassikern vergreifen, liebgewonnene Melodien mit neuen ersetzen, jugendlichen Esprit extrahieren, seltsame Arrangements ersinnen und Textzeilen ändern. Was sie selbstverständlich auch alles tun. Wer es mit einer halben Milliarde iTunes-Nutzern aufnimmt, entwickelt hierfür die nötige Gelassenheit.
Alle U2-Mitglieder haben mittlerweile die 60 überschritten und schauen nun auf diese Songs zurück, teilweise komponiert in einer Zeit, "als wir ein Haufen sehr junger Männer waren", so The Edge. Wie die irische Antwort auf den Buena Vista Social Club träumen sich U2 zurück in ihre Vergangenheit und versuchen dabei, so relaxt wie möglich rüber zu kommen. Immerhin: Das gelingt ihnen überzeugend. Man hat zu keiner Zeit das Gefühl, einer der Musiker würde sich überanstrengen.
Am wenigsten Drummer Larry Mullen Jr. Ausgerechnet das Gründungsmitglied, das in diesem Herbst erstmals bei U2-Konzerten aus gesundheitlichen Gründen nicht auf die Bühne steigen wird und die Band zuletzt als "gutherzige Diktatur" unsanft geißelte, begnügt sich hier meistens mit Percussion-Beiträgen. Gleich der Opener "One" zeigt warum: "Songs Of Surrender" soll vor allem Ruhe und ein Maximum an Seriosität ausstrahlen, wofür Mullens Instrument offenbar als ungeeignet erachtet wurde. Im Mittelpunkt steht meistens das Klavier, sanfte Basslinien, Akustikgitarren und natürlich Bonos Stimme.
Die ist nach wie vor unverkennbar. Meistens bricht der Sänger die Überemotionalität der großen Hits geschickt mittels altersweisem Brummen, klettert bei Bedarf aber immer noch in schwindelige Tonhöhen. Gleichzeitig erweckt sein Vortrag etwas zu oft den Eindruck, als habe er die Songs im Ohrensessel eingesungen. Den inbrünstigen Klimax in "One", die Zeile "Love is a temple / Love the higher law", übernimmt 2023 ein Kirchenchor. Die reduzierte Herangehensweise spiegelt sich im folgenden "Where The Streets Have No Name" wider, einer ätherischen Orgel-Etüde, für die außer Bono und The Edge niemand benötigt wurde. Vielleicht eine gutherzig diktatorische Entscheidung.
Auch für "Sunday Bloody Sunday" benötigt das Duo keine Unterstützung. Der Song funktioniert wie im Mai 2022 in der U-Bahn-Station in der ukrainischen Hauptstadt Kiew allein mit akustischer Gitarre. Bono nutzt die Gelegenheit, dem Song über den Nordirland-Konflikt gleich mehrere neue Zeilen zu widmen: "Here at the murder scene / The virus of fiction, reality TV / Why so many mothers cry / Religion is the enemy of the Holy Spirit guide / And the battle just begun / Where is the victory Jesus won?"
Die alten "Stories For Boys" aus dem Postpunk-Korsett in eine Klavier-Ballade zu transferieren, ist auch nicht die schlechteste Idee. Tatsächlich arbeitet sich die Melodie in dieser Version fast besser heraus als im Original. Es funktioniert nicht immer: Im einstmals ebenso stürmischen "11 O'Clock Tick Tock" kullert das klassische Edge-Riff trotz Schlagzeug-Beteiligung von Mullen Jr. nur müde im Midtempo vor sich hin.
Ob "Beautiful Day", "Pride (In The Name Of Love)" oder "Bad", in dessen Lyrics Bono den Albumtitel schmuggelt: U2 lassen aus den Originalen stets relativ vorhersehbar die Luft zugunsten der intimen Atmosphäre raus, und wecken mit zunehmender Spieldauer die Sehnsucht nach einer etwas fulminanteren Coverversion. Stattdessen wird etwa "Desire" in einer Robinson-Club kompatiblen Lagerfeuer-Danceversion vorgetragen, in der irritierenderweise The Edge ausschließlich seine Kopfstimme bemüht. Das will natürlich auch niemand hören.
"With Or Without You", "I Still Haven't Found What I'm Looking For" oder auch "All I Want Is You" fließen unspektakulär und träge dahin, und man wundert sich, dass das Aushängeschild von U2 - Bonos Stimme - auf dem leisen Material nicht mehr Charisma ausspielt. Insgesamt erdrückt einen auf "Songs Of Surrender" die schiere Masse an Songs - weniger wäre hier definitiv mehr gewesen.
Der Non-Album-Track "Electrical Storm" entfaltet zum Beispiel ungeahnte Atmosphäre, in "Dirty Day" und "Vertigo" hieven Geige und Cello die Originale auf ein neues Tableau und das Riffmonster "The Fly" tragen sie sogar als lässigen Bossanova vor. Aus bereits im Original phlegmatischen Songs wie "The Miracle (Of Joey Ramone)" oder "The Little Things That Give You Away" holen sie indes erwartungsgemäß nicht mehr heraus.
"Songs Of Surrender" ist so etwas wie die späte Rache der Iren, nie für ein "MTV Unplugged" eingeladen worden zu sein. Die musikalische Reise von "One" bis zum abschließenden "40" zeigt allerdings auch, dass eine Häutung nicht jeder Bombasthymne zugute kommt. U2 schauen jedoch schon wieder nach vorne: 20 Songs des kommenden Albums "Songs Of Ascent" sind laut Bono bereits eingespielt.
14 Kommentare mit 6 Antworten
Hallo. In meinen Augen ein ziemlich belangloses Werk. Warum tut man so etwas. Ich meine, wenn mir langweilig ist schreibe ich was neues.
Aber das "schaffen einer intimeren Atmosphäre" ist nicht nötig.
Hallo zurück!
Warum tut man so etwas? Die Frage wollte ich Bono schon mehrfach stellen.
Ich hab gute Nachrichten für dich, NutMaster. M. Kruse geht ins Dschungelcamp. Du bist frei! Ist das nicht klasse?
Dieser Kommentar wurde vor einem Jahr durch den Autor entfernt.
Review-Titel 5/5.
Rest halt was es ist. Für die einen Rockgeschichte, für die anderen Kernschrott.
Gähnen...
Alte Herren langweilige, blutleere Musik. Muss ich mir nicht antun. Werde ich auch nicht.
Nach Herren muss ein Komma hin.
Überflüssig. Dann doch lieber die Originale. Bonos Stimme hat auch schon mal besser geklungen.
Sinnlos bloody Sinnlos