laut.de-Kritik

Die graue Eminenz des Prog läutet die letzte Runde ein.

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Im 49. Jahr seit der Bandgründung ist die Vitalität von Van Der Graaf Generator ungebrochen. Dürfte die Kontinuität mit der ein Neal Morse seine Alben veröffentlicht, Bandgründer und Mastermind Peter Hammill als Solokünstler nur ein müdes Lächeln auf die Lippen zaubern, ist es um den Output der am meisten verkannten Prog-Band dieses Planeten nicht so üppig bestellt. Von der Hochphase in den Siebzigern folgte eine lange Durststrecke bis zur Reunion im Jahre 2005. Mit "Do Not Disturb" folgt nun das Studioalbum Nr. 13.

Seit einer Dekade sind die Briten nurmehr als Trio unterwegs. Saxophonist David Jackson verließ die Band nach "Present" und hinterlässt aufgrund seines markanten Spiels zwischen Free Jazz und prägnanten Riffs eine nicht zu schließende Lücke. Gerade abgefahrene Passagen wie der Mittelteil von "Man Erg" sind ohne dessen prägenden Einwürfe undenkbar. Live entfachen Hammill und Co. das Feuer und können aufgrund ihrer Performance einiges auffangen. Auf Platte klingt das Resultat zwar songwriterisch formidabel, im Bandsound fehlt jedoch ein zentrales Element. Insofern überrascht es wenig, dass Hammill die Gitarre wieder mehr in den Fokus rückt und somit die Schärfe und Prägnanz, die Jacksons Spiel auszeichnet, zurück ins Klangbild holt. Dies geschieht insbesondere im Opener "Aloft" und bei "(Oh No I Must Have Said) Yes", das wie ein Mischung aus Dire Straits und Rush zu Hemisphere-Zeiten klingt.

Alles was seit 2005 erschienen ist, kann man in der diskografischen Einordnung als Alterswerk bezeichnen. Erstmals steht jedoch auch die Option im Raum, dass dies der Schwanengesang der Prog-Gründerväter sein könnte. Melancholische Momente gibt es bei den Briten standesgemäß zuhauf, doch den letzten Track mit schwebenden Orgeltönen auszustaffieren und mit "Go" zu betiteln, kann durchaus als unmissverständliches Zeichen
gedeutet werden. Die graue Eminenz des Prog läutet die letzte Runde ein.

Bei aller Retrospektive - die zentralen lyrischen Motive sind Zeit und Erinnerung - transferiert das Trio seine Stärken in die heutige Zeit ohne einen Deut kompromissloser als noch in den Siebzigern zu Werke zu gehen.

Nachdenklicher und vor allem grauer treten die Herren auf, aber sie gehen kratzbürstig wie eh und je zu Werke. Dies liegt sicherlich auch daran, dass die Band die Stücke komplett ausgearbeitet hat, bevor sie das Studio enterte und sich so auf die energetisch beste Performance besinnen konnte.

Das Songwriting klingt sehr durchdacht und ufert nach Belieben aus, ähnlich den Highlights aus den Siebzigern. Hammill, Banton und Evans verleihen ihren kleinen Kunstwerken spielerisch überraschende Wendungen. Dies betrifft sowohl das große Ganze, denn die meisten Stücke bis auf das instrumentale "Shikata Na Gai" und der Abschluss "Go" bestehen aus mehrteiligen Kompositionen. Auch im Kleinen spielt die Band kein Riff und keine Akkord-Struktur wie man sie schon tausendmal gehört hat, sondern versieht sie mit kleinen rhythmischen Finessen und harmonischen Details. Speziell bei "Alfa Berlina" und "Almost The Words" ziehen Hammill und Co. alle Register ihres Könnens.

Prog-Fans, die auf Inside Out- oder Kscope-Produktionen schwören, seien gewarnt. Der Sound ist auf der neuen Platte äußerst altbacken und so gut wie unbearbeitet. Dafür klingen Van Der Graaf Generator authentisch und in Bezug auf das Songwriting inspiriert wie kaum eine der jüngeren Exponenten progressiver Gangart. Das Trio verbindet den traditionelle Prog-Sound mit Klängen fernab ausgetretener Pfade.

Die Hoffnung, dass es mit Van Der Graaf Generator noch weitergeht, stirbt zuletzt. Ein würdiger Abschluss wäre "Do Not Disturb" aber in jedem Falle.

Trackliste

  1. 1. Aloft
  2. 2. Alfa Berlina
  3. 3. Room 1210
  4. 4. Forever Falling
  5. 5. Shikata Ga Nai
  6. 6. (Oh No I Must Have Said) Yes
  7. 7. Brought To Book
  8. 8. Almost The Words
  9. 9. Go

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1 Kommentar

  • Vor 7 Jahren

    Danke für das schöne Review zu diesem tollen Album.
    Gerade der etwas altbackene und somit raue Sound gefällt mir, da dieser dafür sorgt, dass die melancholische Grundstimmung des Albums nie in glatten, belanglosen Schönklang abdriftet. Es ist zwar typisch Van Der Graaf Generator, aber dennoch irgendwie neu. Eine derartige, identitätswahrende Weiterentwicklung ist gar nicht mal so einfach. Es wäre natürlich schön, wenn das noch nicht das letzte Album wäre.
    Habt ihr eigentlich schon mal über einen VDGG-Meilenstein nachgedacht? Ich wäre für "Pawn Hearts" oder "Godbluff".